Nachtschwarz der Raum. In dunklem Grafit-Ton die Möblierung: technoide Objekte zwischen Bunker, Mausoleum und Zelle. Türen, die geschlossen sind, Gänge, die zu nummerierten Räumen führen, kaltes Neonlicht. Ein labyrinthischer Ort auf rotierender Drehbühne. Nichts für Menschen mit Klaustrophobie. Für die Dramatisierung des Kafka-Romans „Das Schloss“ im Residenztheater in München hat Thilo Reuther eine grandiose Schreckensarchitektur entworfen, in welcher 100 pausenlose Minuten lang das letzte, unvollendet gebliebene Mammutwerk des Prager Dichters Franz Kafka (1883–1924) als Horrortrip in ein totalitäres System gezeigt wird.
Zum 100. Todestag inszenierte Karin Henkel eine eigenwillige Hommage an den schwierigen Autor, dem Dutzende von Literaturwissenschaftlern und Philosophen, ja selbst Soziologen ihre eigenen Interpretationsstempel aufdrückten. Auch die Regisseurin, bekannt für ihre intensive textliche Feinarbeit bis kurz vor Aufführungsbeginn, hat sich an einem neuen Zugang versucht. Meisterlich in der Optik, intensiv das sogenannte Kafkaeske der Atmosphäre zitierend, dessen Motive zu eindringlichen Bildmetaphern verdichtet – doch im Effekt: ein hochartifizielles Kunst-Exerzitium, das den Betrachter zwar ununterbrochen staunen lässt ob all der szenischen Einfälle, des immensen Aufwands und der perfekten Mechanik des Geschehens, doch innerlich nicht berührt.
Am Residenztheater in München wird Kafkas "Das Schloss" zu einem grotesken Panoptikum
„Es war spätabends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schlossberg war nichts zu sehen“. So beginnt Kafkas 1922 entstandener Roman, den Max Brod zwei Jahre nach seinem Tod veröffentlichte. Wir sehen den Landvermesser, müde, desorientiert, zunächst in Schlafkittel und langer Unterhose wie ein Anstaltsinsasse, später luftig gewandet in städtischem Look. Darauf folgt eine Reihe von absurden Verhören mit abstrusen Fragen, gestellt von immer neuen Subalternen. All die Sekretäre, Kastellane und Kontrolleure verwandelt Henkel in ein groteskes Panoptikum genderfluider Kunstfiguren in skurriler Bewegungschoreografie. Für sie gilt das Stilmittel der Wiederholung immer sinnloser werdender Fragen, bis sich die Verwirrung im Auflösen der Syntax, ja sogar dem Vertauschen von Vokalen manifestiert – was zu höchst komischen Momenten führt.
Erst verdoppelt sich Landvermesser K., später vervielfältigt er sich. Es gibt äußerlich fast identische K.s: Junge und Alte, Erwachsene und Kinder, deren Aktionen wie ein Räderwerk nahtlos ineinandergreifen. Ihnen gemeinsam ist das Abhandenkommen existenzieller Verlässlichkeit, die Konfrontation mit einem undurchschaubaren Machtapparat. Selbst Friedas Identität ist multipel; eigentlich Klamms Geliebte, lässt sie sich mit K. ein. Ihn sucht K., doch außer auf zwei verschwommenen Fotos taucht er nicht auf. Allerdings muten diese Aufnahmen wie Porträts Kafkas an – schließlich steckt ja nicht nur im „Schloss“ sehr viel Biografie.
Regisseurin Karin Henkel bedient sich äußerst sparsam an Kafkas "Das Schloss"
Leider bedient sich Regisseurin Henkel äußerst sparsam am Originaltext; der größte Teil besteht aus verbalen Endlosschleifen, da alle K.s dasselbe sagen. Nur zum Ende hin gibt es eine längere Passage. Geschickt integriert sie in ihre Bearbeitung jedoch nicht nur Stellen aus Erzählungen wie der „Verwandlung“ oder „In der Strafkolonie“, sondern auch die entsprechenden surrealen Bildzitate. Also Gregor Samsa in Gestalt krabbelnder Monsterkäfer und eine bedrohliche Hand, die sich mit ihren manikürten spitzen Nägeln herabsenkt, um dem Delinquenten das Urteil in die Haut zu ritzen. Ein ästhetischer und historischer Bruch – ebenso wie die beiden Hochhaus-Projektionen im Hintergrund und die Songs der wunderbaren Pollyester. Es bleiben Rätsel und Geheimnisse, ganz wie bei Franz Kafka.
Weitere Aufführungen im Residenztheater am 15. und 16. Februar.