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Augsburg
"Angel’s Bone": In dieser Oper ist der Menschen des Engels Wolf
Für "Angel’s Bone" hat die chinesisch-amerikanische Komponistin Du Yun den Pulitzer-Preis bekommen. Zu Recht? Das lässt sich nun in Augsburg nachprüfen, wo das Stück erstmals in Europa aufgeführt wurde.
Stefan Dosch
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:23 Uhr

„Europäische Erstaufführung“ steht gleich unter dem Stücktitel auf dem Deckblatt des Programmhefts. Ja, man ist mächtig stolz am Staatstheater Augsburg, sich „Angel’s Bone“ geangelt zu haben. Hat für ebendiese Oper doch die aus China stammende, heute in den USA lebende Komponistin Du Yun vor ein paar Jahren den Pulitzer-Preis erhalten, eine Auszeichnung, die auch hierzulande Prestige besitzt.

„Angel’s Bone“ nach einem Libretto des Kanadiers Royce Vavrek stellt ein Ehepaar in den Mittelpunkt, Mr. und Mrs. X.E., deren Ehe nur noch auf dem Papier besteht. Unzufrieden und finanziell angespannt lebt man noch unter einem Dach, als buchstäblich vom Himmel zwei Engel vor die Haustüre fallen. Vor allem Mrs. X.E. sieht das als Zeichen einer höheren Gerechtigkeit, endlich der Misere zu entkommen. Sie befiehlt ihrem Mann, die beim Sturz gebrochenen Flügel von Boy Angel und Girl Angel zu stutzen. Die beiden jungen Engel, die eigentlich auf Hilfe der Menschen gesetzt hatten, sind fortan dem Ehepaar ausgeliefert. In der Kirchengemeinde prahlt Mrs. X.E. von der Schönheit der Engelsfedern, wer daran teilhaben wolle, könne dies tun gegen Geld. Männer wie Frauen sind fasziniert, erkaufen sich ihr Stündchen mit Girl oder Boy Angel, und wer zahlt, der schafft auch an. Mr. X.E. packt ob des perversen Treibens schließlich das Gewissen und er zieht für sich die tödliche Konsequenz, was seiner Frau nur gelegen kommt. Schwanger von Boy Angel, schiebt sie alle Schuld auf den toten Gatten.

Missbrauch von Schutzbedürftigen

Der gesellschaftspolitisch-aktuelle Bezugsraum, den die Handlung von „Angel’s Bone“ durchmisst, ist unschwer zu erkennen: die Versklavung der Schwachen, der Missbrauch von Schutzbedürftigen, MeToo, Umgang mit Flüchtlingen … Es ist jedoch die Stärke des Stücks, dass es sich nicht im Reißerischen erschöpft, sondern nach den Triebkräften fragt, die hinter dem Tun der Menschen stehen. Wann fällt die Fassade der Zivilisation, was muss geschehen sein, bevor der Mensch zum Wolf wird? In „Angel’s Bone“ ist es ein durch den modernen way of live hochgezüchtetes Glücksversprechen, das mit der Realität zu keiner Zeit in Übereinstimmung gelangt, das jedoch in dem Moment seine Chance wittert, wenn alle Hürden plötzlich weg sind, hier symbolisiert durch den „Fall“ der Engel. „Angel’s Bone“ wartet durchaus nicht mit einseitigen Zuschreibungen auf, die religiöse Vorstellungswelt, in der das Ehepaar X.E. sich bewegt, ist Stellvertreter für viele ähnliche Sinngebäude. Es sind auch keineswegs nur Männer, die sich ihr Vergnügen mit dem hilflos im Keller gehaltenen Girl Angel erkaufen; explizit zeigt die Oper, dass auch Frauen sich ihre Wünsche erfüllen lassen gegen Zahlung an das Zuhälterpaar.

Auf diesem Weg der klaren Benennung bei größtmöglicher Offenheit der Darstellung bewegt sich auch die Inszenierung von Antje Schupp für das Staatstheater Augsburg. Dass es hier um Missbrauch, ja um Vergewaltigung geht, wird nicht explizit gezeigt, ein vorgezogener Vorhang verhüllt eine entsprechende Szene, doch die Matratze am Boden und ein sich dem weiblichen Angel nähernder Schmerbauch geben ausreichend Hinweis, eingedenk der alten Regie-Maxime: Das intensivste Kino findet noch immer im Kopf statt. Zentrales Element des Bühnenbilds (Christoph Rufer) in der Spielstätte Martinipark ist ein auf einer Drehbühne gelagerter kastenförmiger Aufbau, der mal als Küchenschrank fungiert, ein ander mal als eine Art Regal – und immer wieder sich verwandelt in einen Flügelaltar wie jenen in Isenheim mit den Tafelbildern des Mathis Grünewald. Das ist nicht bloß ein wohlfeiler Hinweis auf den religiösen Hintergrund des Ehepaars und das Martyrium der beiden Engel im Stück. Wo Mrs. X.E. sich selbst die herbeigesehnte Hilfe „von oben“ vorgaukelt, zeigen Video-Vergrößerungen Details von Grünewalds Verkündigung auf einem der Altar-Flügel.

Für Augsburg nochmals überarbeitet

Du Yuns Musik zu „Angel’s Bone“ ist ein Konglomerat unterschiedlichster Stile und Genres. Mittelalterliche Vokalmusik trifft auf Indie-Avantgarde der düsteren Art, swingender Jazz auf Dreigroschenoperhaftes, Geräusch steht neben klassischem Orchesterklang. In dieser Vielfalt liegt aber auch ein Manko: Die Musik bleibt zu sehr dem Illustrativen verhaftet, ist zu sehr akustische Bebilderung, als dass sie eigenständige musikalische Wege ginge, das krasse Geschehen in tönende Form zu verwandeln. Gleichwohl werfen sich die Augsburger Philharmoniker unter Leitung von Ivan Demidov mit großem Energieeinsatz in die (für Augsburg noch mal von Du Yun erweiterte) Partitur.

Mrs. X.E. ist der profilierteste Charakter des Stücks, das macht auch die Inszenierung deutlich, welche die Figur mit reichlich Zügen des Durchgeknalltseins versieht. Luise von Garnier schont sich denn auch nicht mit Überschnappen der Stimme und sardonischer Mimik, hart an der Grenze zur Karikatur. Wiard Witholt gibt passgenau den tiefinnerlich devoten Ehemann, der Eigenständigkeit nur im Suizid gewinnt. Alma Naidu und Claudio Zazzaro sind die beiden Engel in der ergreifenden Pracht ihrer zerschundenen Flügel (Kostüme: Mona Hapke), deren Ausdrucksspektrum jedoch weitgehend eingeschränkt ist auf die Äußerung von Schmerz – dies jedoch schmerzhaft intensiv und ganz besonders, wenn Alma Naidu von der „fleischfressenden“ Misshandlung durch einen ihrer Peiniger berichtet: der stärkste Moment der Aufführung.

Zustimmung am Ende für alle Beteiligten, auch für die anwesende Du Yun. Ob „Angel’s Bone“ nach seiner europäischen Erstaufführung jedoch vergleichbarer Erfolg zuteilwird wie jenseits des Atlantiks, wird sich allerdings noch weisen müssen.

 
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