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Kommentar
Von wegen Eskapismus: Die zeitgenössischen Romane spiegeln den Zustand der Welt
Krieg, Verderben, Klimakatastrophe – ein wenig Weltflucht wäre schön. Doch bei der Leipziger Buchmesse spiegeln aktuelle Romane den Zustand der Welt. Muss es denn immer so politisch sein?
Buchhandlung       -  Blickt man auf die Neuerscheinungen des Frühjahrs, zeigt sich: Eskapismus ist out. Aktuelle Romane spiegeln den Zeitgeist, kommentieren das gesellschaftspolitische Geschehen und zeichnen ein eher düsteres Bild der Gegenwart.
Foto: Rolf Vennenbernd, dpa | Blickt man auf die Neuerscheinungen des Frühjahrs, zeigt sich: Eskapismus ist out. Aktuelle Romane spiegeln den Zeitgeist, kommentieren das gesellschaftspolitische Geschehen und zeichnen ein eher düsteres Bild der ...
Felicitas Lachmayr
 |  aktualisiert: 27.03.2024 02:59 Uhr

In der Ukraine und in Nahost tobt der Krieg, Rechtspopulisten gewinnen an Einfluss, die soziale Ungleichheit nimmt zu, der Klimawandel bedroht die Lebensgrundlage von Millionen Menschen. 

Der Zustand der Welt wirkt düster, eine Katastrophenmeldung jagt die nächste. Da möchte man ausbrechen und in eine andere, schönere Welt entfliehen. Romane, Gedichte und Erzählungen sind seit jeher ein bewährtes Mittel zur Realitätsflucht. Buch aufschlagen und abtauchen in imaginäre Welten, um innere Ängste und äußerliche Unsicherheiten zu vergessen.

Die Romantiker waren die Meister des Eskapismus

Die Romantiker waren die Meister des Eskapismus. Sie fühlten sich schon Ende des 18. Jahrhunderts von den gesellschaftlichen Umbrüchen überfordert, wandten sich gegen das Rationale und Aufklärerische, beschworen das Mystische und die Natur als idealen Zufluchtsort herauf. Caspar David Friedrich hielt seine Traumwelten in Bildern fest, Joseph von Eichendorff erschuf sie in sehnsuchtsvollen Erzählungen. Etwas verkitscht und heimattümelnd, aber immerhin ein wenig Weltflucht – tut ja auch mal gut.

Davon hat die zeitgenössische Literatur allerdings wenig zu bieten. Blickt man auf die Neuerscheinungen des Frühjahrs und die Leipziger Buchmesse, die heute startet, zeigt sich: Eskapismus ist out. Aktuelle Romane spiegeln den Zeitgeist, kommentieren das gesellschaftspolitische Geschehen und zeichnen ein eher düsteres Bild der Gegenwart. Da geht es um Abgründe der Großstadt („Auf den Gleisen“) oder des Mutterseins („Liebesmühe“), um Fluchtursachen („Weiße Flecken“) und geplatzte Träume („Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah“), um die Drogenepidemie in den USA („Demon Copperhead“) oder das Aussterben der Kleinstadtfamilie („Die Arbeiter“).

Die aktuelle Literaturszene ist vielstimmig und politisch

Wer als Literatin oder Literat relevant sein will, schreibt über gegenwärtig Relevantes, liefert feministische Perspektiven, stellt Geschlechterzugehörigkeiten infrage, erzählt von Traumata, sozialer Ungerechtigkeit, vom harten Großstadtleben oder von den Abgehängten auf dem Land. Erfolgsautorin Juli Zeh seziert seit Jahren das Dorfleben, die Schwierigkeiten zwischen Ost und West und gilt als Versteherin gegenwärtiger Probleme in Deutschland. 

Autorinnen und Autoren positionieren sich auch abseits ihrer Werke. Kim de l’Horizon rasierte sich bei der Buchpreisverleihung in Frankfurt die Haare, um sich mit den Frauen im Iran zu solidarisieren. In offenen Briefen haben Schriftsteller ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine oder mehr Solidarität mit Israel gefordert. Die Literaturszene ist vielstimmig und politisch. Wer Gesellschaftskritisches beizutragen hat, wird rezensiert, nominiert und ausgezeichnet. Kunst darf und soll politisch sein, das ist unbestritten. Sie soll analysieren und kommentieren, aber der Zeitgeist sollte nicht das einzige Kriterium sein.

Die Gegenwart hat auch Schönes zu bieten

Ein gutes Buch muss sich nicht in gesellschaftlichen Problemen und Schwarzmalerei ergehen, es darf auch einfach mal ablenken, Leichtes erzählen und ja, auch Weltflucht ermöglichen. Das Bedürfnis ist da, vor allem bei jungen Menschen. Auf TikTok präsentieren junge Frauen ihre liebsten Romances, die schon fast altmodisch von der romantischen Zweierbeziehung erzählen. Autorinnen wie Sarah J. Maas oder Colleen Hoover begeistern Millionen mit Fantasyromanen und Liebesschmonzetten. Man muss nicht gleich in Sehnsuchtsfantasien schwelgen und heile Welten heraufbeschwören, aber die Gegenwart hat auch Schönes zu bieten – und auch davon lässt sich erzählen. 

 
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