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Kino
Wie Milli Vanilli aus dem Pophimmel abstürzten
Der Filmemacher Simon Verhoeven hat den Musikskandal um das Duo, das nicht selbst sang, in "Girl you know it's true" auf die Leinwand gebracht – sehr unterhaltsam, aber auch lehrreich.
Julian Reischl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:38 Uhr

Den Skandal um Milli Vanilli in einen Film packen wollte Regisseur Simon Verhoeven schon lange, denn er war dabei, als die beiden Tänzer Rob und Fab noch gar nicht Milli Vanilli waren, aber schon im Münchner P1 mit ihren Moves begeisterten. Dabei, als sie in einer kometenhaften Karriere in kürzester Zeit zu Megastars aufstiegen, deren Hits weltweit rauf und runter liefen. Und natürlich dabei, wie der Rest der Welt, als die Blase platzte, als alle sich abwendeten, weil sie kein einziges Wort ihrer Hits selbst gesungen hatten. Doch im Gegensatz zu frei erfundener Fiktion ist ein Stoff wie dieser nicht so leicht umzusetzen. Verhoeven hatte schon nicht mehr an eine Verfilmung geglaubt, als ihm mitgeteilt wurde, dass das Projekt nun zu haben sei. Größere Fische im Filmgeschäft hatten die Idee letztlich fallen lassen. Rund 30 Jahre nach dem Skandal konnte Verhoeven endlich mit der Arbeit beginnen.

Herausgekommen ist ein sehr unterhaltsamer Spielfilm mit stark dokumentarischen Aspekten, ein Biopic. Bemerkenswert ist zunächst einmal, dass viele der Beteiligten von damals in die Produktion einbezogen wurden. Das erforderte massives Vorschussvertrauen aller, denn hier werden ja echte, heute lebende Menschen namentlich genannt und nachgespielt. Eine Gratwanderung. Allein Robert Pilatus, einer der beiden Performer, verstarb schon in den späten 90ern. Seine Interessen wurden von seiner Schwester Carmen vertreten.

Der Film "Girl You Know It's True" spielt auf einer emotional aufgeladenen Ebene

Ein geschickter dramaturgischer Kniff hebt den Film auf eine emotional aufgeladene Ebene: In einer Art Rahmenhandlung blicken Fabrice Morvan, gespielt von Elan Ben Ali, und Robert Pilatus, gespielt von Tijan Nije, auf Milli Vanilli zurück und führen den Zuschauer so durch die Handlung. "Sie bekommen so die Stimme, die sie nie hatten. Das kann nur Kino", führt Verhoeven bei einem Publikumsgespräch in Augsburg aus.

Sie treffen auf Frank Farian, einen erfolgreichen Selfmade-Musikproduzenten, dessen Leben ein eigenes Biopic wert ist, der schon einen Song fix und fertig in der Tasche hat: Ein Remix eines fast unbekannten Stücks aus Baltimore, neu arrangiert, von Profis eingesungen und bereit für die Welt – er braucht nur noch zwei Stars, die als Frontmänner alle Blicke auf sich ziehen. Frauen kennen das, lange schon müssen sie als "Eye Candy" herhalten für Film und Fernsehen, und das ebenfalls, ohne je ernsthaft zu Wort zu kommen. 

Das in Ungnade gefallene Duo Milli Vanilli wird nicht verherrlicht

Produzent Frank Farian, der es zuvor schon unter anderem mit Boney M. in die Hitparaden geschafft hatte, nutzte jedenfalls die natürliche Bühnenpräsenz seiner beiden Schützlinge gekonnt und trieb die Hitmaschine zu Höchstleistungen. Unweigerlich stieg Fab und Rob der Ruhm zu Kopfe, und es kam zum Zwist. "Wenn du die ganze Zeit Stimmen hörst auf Playback, vor 40.000 Leuten stehst, und alle jubeln, und dann bist du auch noch high – dann würde ich auch denken, dass das meine Stimme ist", fasst Simon Verhoeven die Situation zusammen. Weder verherrlicht er das in Ungnade gefallene Popduo, noch stellt er Frank Farian oder andere Beteiligte als durchtriebene Antagonisten dar. "Der mächtige weiße Ausbeuter und die total unschuldigen schwarzen Opfer, das passt klar ins Narrativ unserer Zeit. Aber das ist nicht komplex genug."

Eine sichere Linie für Drehbuch und Inszenierung lieferte schließlich Todd Headlee, damals ein junger Assistent des amerikanischen Labels, der für die Jungs einen Ferrari, dieses neumodische Sushi sowie auch Mädels und Drogen ranschaffen musste. Er saß zwischen den Stühlen, durfte natürlich nah am Star sein, aber andererseits musste er loyal zum Label sein, das nichts anderes will als maximales Geld herauspressen. Er lieferte der Filmproduktion einen Koffer voller Faxe, in dem sämtliches Hin und Her schließlich schriftlich vorlag, was Verhoeven unleugbare Beweise zu den tatsächlichen Abläufen dieser Zeit gab, und damit Verhandlungssicherheit gegenüber allen Beteiligten. Wer hätte je gedacht, dass Buchhaltung auch zu etwas nutze sein kann?

Heute hat sich nicht so viel geändert, wie man meinen möchte. "Wenn bei Ed Sheeran, Coldplay oder Beyoncé rauskommen würde, dass sie nicht selber singen, würde es auch einen heftigen Shitstorm geben", meint Verhoeven, "es würden wohl nur kritischere Fragen gestellt."

Ein besonders schöner Effekt des Films ist jedoch, dass das komplette Kapitel Milli Vanilli nun in einem Film nacherlebt werden kann. Das wird zukünftigen Generationen zeigen, dass ein schöner Schein nicht ewig aufrechterhalten werden kann und sich die Wahrheit früher oder später Bahn bricht.

 
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