
Vor vier Jahren sprang der Marvel-Konzern mit deutlicher Verspätung auf den Me-too-Zug auf und präsentierte mit „Captain Marvel“ die erste weibliche Hauptheldin in seinem testosteronlastigen Franchise-Universum. Das Einspielergebnis von satten 1,13 Milliarden Dollar sollte, möchte man meinen, eine solide Grundlage bilden, um in einem Sequel Figur und Story mit mehr Komplexität anzureichern. Aber Regisseurin Nia DaCosta verpasst die Chance, aus der Hauptfigur eine tragfähige weibliche Kino-Ikone zu machen, indem sie in "The Marvels" allein auf die quantitative Verstärkung der Frauenpower setzt.
In „Captain Marvel“ wurde Carol Danvers (Brie Larson) als Einzelgängerin vorgestellt, die ihre Superkräfte emotional unter Kontrolle bringen musste. Aber als nun die Kree-Anführerin Dar-Benn (Zawe Ashton) ein Loch in die Raum-Zeit-Decke des Universums schießt, ist Schluss mit dem einsamen Heldinnen-Dasein. Aus Gründen, die demnächst auf Wikipedia bestimmt ausführlicher als im Film erklärt werden, wurden die „Lichtkräfte“ Carols mit denen von Monica Rambeau (Teyonah Parris) und der aufgeweckten Teenagerin Kamala Khan (Iman Vellani) miteinander verbunden. Und so brennt der Film erst einmal ein chaotisches Bäumchen-wechsel-dich-Feuerwerk ab, in dem die drei Heldinnen im Sekundentakt zwischen einen Freiflug im Weltall, einem Kampf gegen Kree-Soldaten und einem Wohnzimmer in New Jersey rochieren.
Hastig düsen die Heldinnen von Planet zu Planet
Während Carol sich aufgrund eigener Schuldgefühle aus der Vergangenheit schwer mit dem Teambuilding tut, sorgt die lebenslustige Kamala, die schon in der TV-Serie „Ms. Marvel“ den Weg vom Comic-Fan zur Comic-Heldin gegangen ist, für gute Stimmung. Ohnehin ist schon bald keine Zeit mehr für psychologischen Tiefgang, denn die Heldinnen müssen hastig von einem Planeten zum nächsten düsen, was zumindest optisch für ein wenig Abwechslung sorgt.
Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass aus der Flickenteppich-Dramaturgie kein sinnvolles Ganzes entstehen will. Schlimmer noch als die schlingernde Storyline wirkt die fehlende emotionale Relevanz der Figuren und ihrer Beziehungen zueinander. Der Start von „The Marvels“ wurde mehrfach verschoben, weil Produzent Kevin Feige mit mehrwöchigen Re-Shoots und ausufernder Postproduktion den Film nach seinen Vorstellungen zu retten versuchte. Herausgekommen ist ein inkohärentes Werk ohne eigene Handschrift, das auch visuell nicht den Marvel-Standards entspricht. Das Branchenmagazin Variety zeichnete kürzlich in einer ausführlichen Reportage ein deutliches Bild von der Krise des „Marvel Cinematic Universe“, das sich mit einem übermäßigen Output an TV-Serien und Kinofilmen zunehmend ins Reich superheroischer Beliebigkeit manövriert. „The Marvels“ ist ein deutlicher Beleg für diese Entwicklung und gerade als Film, der die weibliche Seite des Comic-Universums bereist, eine herbe Enttäuschung.