Kaum hat sich die Tür des Reisebusses geöffnet, geht das Gebrüll los. Wie losgelassene Rottweiler bellen die Ausbilder auf die aussteigenden jungen Männer ein, beschimpfen und beleidigen die angehenden Rekruten, scheuchen sie auf den Appellplatz, bis alle stramm und die Füße auf den vorgezeichneten Abdrücken exakt im 45-Grad-Winkel zueinander stehen. Man kennt diese Szenen. Von Stanley Kubricks "Full Metal Jacket" (1987) bis zu Sam Mendes "Jarhead" spannt sich ein ganzes Genre sogenannter Boot-Camp-Filme, die sich mit der brutalen Grundausbildung in den amerikanischen Streitkräften auseinandersetzen.
In seinem autobiografischen Spielfilmdebüt "The Inspection" gewinnt Regisseur Elegance Bratton dem bekannten Stoff eine ungewöhnliche Perspektive ab. Denn der 25-jährige Afroamerikaner Ellis French (Jeremy Pope), der sich im Jahre 2005 freiwillig zu den US-Marines meldet, ist homosexuell. Wie für viele andere Rekruten ist die Armee für ihn der letzte Ausweg.
"The Inspection" erzählt von homophoben Höllen
Seit seinem 16. Lebensjahr lebt Ellis auf der Straße. Als die konservativ-christliche Mutter herausfand, dass ihr Sohn homosexuell ist, hat sie ihn aus der Wohnung geworfen. Neun Jahre später steht er mit einem Blumenstrauß in der Hand vor ihrer Tür. Für die Bewerbung bei der Armee braucht Ellis seine Geburtsurkunde. Nur widerwillig lässt Inez (Gabrielle Union) den Sohn herein und legt sichtbar angewidert Zeitungen auf dem Sofa aus, bevor er sich hinsetzen darf. Die Geburtsurkunde in der Hand, sagt sie: "Dieses kleine Stück Papier ist alles, was mir geblieben ist von dem Traum, den ich für dich hatte. Wenn du nicht als der Sohn zurückkommst, den ich zur Welt gebracht habe, dann ist diese Urkunde gegenstandslos."
Mit der Einberufung kommt Ellis von einer homophoben Hölle in die nächste. "Bist du Kommunist? Bist du homosexuell?", schreit der Ausbilder ihn an. Auch das gehört zu dem absurden Aufnahmeritual des ersten Tages. "Nein, Sir", antwortet Ellis. Aber die Wahrheit kommt schon bald ans Licht. Als er unter der Dusche mit den anderen Rekruten in seine sexuellen Fantasien abgleitet, ist das Ergebnis der Erregung für alle sichtbar.
Die Kritik: Regisseur Bratton stellt sein Alter Ego nicht nur als Opfer dar
Mit Billigung des Ausbilders Leland Laws (Bokeem Woodbine) wird er in der Dusche brutal zusammengeschlagen und muss sich im Schlafsaal eine neue Pritsche weit weg von den anderen suchen. Aber Ellis ist nicht nur körperlich, sondern auch mental ein zäher Bursche. In all den Jahren auf der Straße und in Obdachlosenheimen hat er gelernt, einzustecken und wieder aufzustehen. Auch wenn die homophoben Attacken und Diskriminierungen kein Ende nehmen, gibt es unter den Rekruten und auch bei den Ausbildern Menschen, die sich versteckt oder offen für ihn einsetzen. Schließlich gilt Kameradschaft als wichtigste Tugend bei den Marines.
Aber bis dahin ist es ein langer Weg für den schwulen, angehenden Soldaten, der bei einer Tauchübung von seinem Ausbilder fast ertränkt wird und dessen Ergebnisse bei den Schießübungen manipuliert werden.
Dennoch weigert sich Regisseur Elegance Bratton, sein Alter Ego im Film als bloßes Opfer darzustellen. Trotz aller Schikanen geht Ellis gestärkt und nicht gebrochen aus der Grundausbildung hervor. Das gilt auch und besonders für sein Selbstverständnis als homosexueller Mann. Ohne die Verhältnisse zu verklären, zeichnet Bratton äußerst differenziert die Dynamik, die Ausgrenzungsmechanismen und schließlich auch den Zusammenhalt der maskulinen Zwangsgemeinschaft, in der sich die Ausgestoßenen der Gesellschaft als zukünftige Soldaten neu definieren.
"The Inspection" versteht sich nicht als Antikriegsfilm
Anders als die meisten Werke dieses Genres versteht sich "The Inspection" nicht als Antikriegsfilm. Mit dem Ende der Ausbildung und vor dem ersten Einsatz im Irak endet der Film, der in der Tristesse des Militärcamps immer wieder Momente von poetischer Schönheit als Überlebenselexier für seinen jungen Helden findet. Herausragend sind die schauspielerischen Leistungen des Jeremy Pope, in dessen Augen sich ein ganzer Kosmos von widersprüchlichen Gefühlen spiegelt, und der unglaublichen Gabrielle Union, die in zwei kompakten Auftritten eine furiose Mutterfigur zum Leben erweckt und deren monströse Homophobie mit all ihrer emotionalen Zerstörungskraft mutig herausarbeitet.