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Sudbury
Ein Premier in Affengestalt
Karikaturen haben in England eine lange Tradition. Im 18. Jahrhundert wurde der Zeichner James Gillray zum Star. Eine Ausstellung zeigt eine Auswahl seiner provokanten Werke.
Susanne Ebner
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:38 Uhr

Der Toast springt heraus. Fast verbrannt und mit dem irritiert wirkenden Gesicht von Rishi Sunak auf der Vorderseite der quadratischen Brotscheibe ist er eine Metapher für die schwindende Macht des britischen Premierministers. Denn wer in Großbritannien „toast“, also angeröstet ist, steckt in der Klemme. Die Karikatur des Briten Christian Adams ist eine von vielen, die sich in diesen Tagen über den konservativen Politiker und die zerrüttete Tory-Partei lustig machen.

Bissige politische Zeichnungen haben im Königreich eine lange Tradition. Dabei entwickeln Cartoonisten wie Peter Brookes, der täglich für die Times zu Stift und Papier greift, ihren eigenen, unverwechselbaren Stil. Einer der wichtigsten Vertreter, und wohl der erste echte Star unter den Karikaturisten, war der Engländer James Gillray, geboren im Jahr 1756. Seinem Werk ist eine Ausstellung im Gainsborough's House in der englischen Kleinstadt Sudbury, etwa eine Zugstunde von London entfernt, gewidmet.

Die provokantesten Bilder werden zuerst gezeigt

Gillray schöpfte aus dem Vollen, denn er profitierte von der Intensität des politischen Lebens jener Zeit. So griff er etwa immer wieder die Rivalität zwischen der Tory-Partei unter Premierminister William Pitt und den damals einflussreichen konservativen Whigs unter James Fox auf. Auch das Königshaus, die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege waren für ihn eine reiche Inspirationsquelle.

James Gillray studierte Kunst

In London geboren, studierte Gillray an der Royal Academy of Arts, wo er das Zeichnen erlernte. Nachdem er die Akademie verlassen hatte, strebte er zunächst eine Karriere als Grafiker an, erkannte dann aber, dass seine Berufung die Karikatur war. Diese wurden im 18. Jahrhundert nicht etwa in Zeitungen abgedruckt, sondern in Schaufenstern gezeigt. Oder sie kursierten in Kaffeehäusern und Tavernen.

Clayton deutet amüsiert auf ein weiteres Bild, diesmal aus dem Jahr 1793. Es zeigt den ersten Besuch eines Botschafters des Osmanischen Reiches bei George III. Zu seinen Füßen sitzt der Premierminister Pitt, dargestellt als ein kleiner Hausaffe des Monarchen. „Er pisst sich vor Angst in die Hose, angesichts der Größe des Gegners“, erklärt der Kurator. Die Witze von damals, sie funktionieren noch heute.

Gillrays Provokationen blieben jedoch nicht ohne Folgen. Im Gegenteil: Seine berufliche Laufbahn glich angesichts von Beschwerden und immer neuen Verordnungen eher einer Art Spießrutenlauf. Ende des 18. Jahrhunderts rief die Regierung etwa dazu auf, jeden anzuprangern, der aufrührerische Inhalte veröffentlichte. 1796 wurde der Zeichner wegen Blasphemie verhaftet, aber gegen Kaution freigelassen.

Karikaturen waren ein riskantes Geschäft und sind es noch

Karikaturen waren ein riskantes Geschäft und sind es noch. Erst vor wenigen Wochen wurde Steve Bell, einer der bekanntesten britischen Zeichner, vom Guardian nach jahrzehntelanger Zusammenarbeit entlassen. Anlass war ein Bild, das den israelischen Präsidenten Benjamin Netanjahu mit einem Skalpell in der Hand zeigt. Auf seinem Bauch prangt die Naht einer Operation, in der Form des Gazastreifens.

Die Zeitung ging laut Bell davon aus, dass es sich um eine antisemitische Metapher handele, weil es so aussah, als wolle Netanjahu „ein Pfund Fleisch“ aus sich herausschneiden; in Anspielung auf das, was der Jude Shylock in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ seinem christlichen Schuldner antut. 

Bell betonte jedoch, dass er sich auf eine Zeichnung des amerikanischen Karikaturisten David Levine bezogen habe. Dieser hatte in den 1960er Jahren den ehemaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson nach einer OP ähnlich dargestellt. Dessen Narbe zeigte die Umrisse Vietnams, so der 72-Jährige. Der Fall löste in Großbritannien eine Diskussion darüber aus, wie weit Karikaturisten gehen dürfen und können.

James Gillray jedenfalls wurde nach seiner Verhaftung „weniger kritisch“, so Clayton. Angesichts des Zweiten Napoleonischen Krieges finanzierte die britische Regierung eine umfangreiche Kampagne gegen Napoleon Bonaparte, um die hohen militärischen Ausgaben zu rechtfertigen. Der Zeichner verwandelte seinen nachdenklichen Napoleon in einen winzigen, zornig wirkenden Mann, obwohl dieser keineswegs kleiner war als ein durchschnittlicher Franzose seiner Zeit. Damit prägte er das Bild des Kaisers, bis heute.

Infos zur Ausstellung: „James Gillray: Characters in Caricature“ ist noch bis einschließlich 10. März 2024 im Gainsborough's House in Sudbury zu sehen. Das Museum hat täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt für Erwachsene beträgt umgerechnet rund 17 Euro. Für Kinder, Jugendliche und Studenten ist der Eintritt frei.

 
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