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Interview
Wolfgang Flatz: "Ich bin ein hoffnungsloser Romantiker"
Seit 50 Jahren lebt Wolfgang Flatz in München – nun ist der Aktionskünstler in der Pinakothek der Moderne angekommen. Dort lässt er seine Tätowierungen versteigern.
Haut-Kunstprojekt des Künstlers Flatz.jpeg       -  Der Künstler Flatz zeigt eine naturgetreue Nachbildung seiner Haut und seines Körpers an einem Fleischerhaken hängend in der Pinakothek der Moderne. Bei einer Vernissage seiner Ausstellung 'Flatz. Something wrong with physical sculpture' am 8. Februar 2024 wird u. a. die Haut des Künstlers in einer Live-Auktion von Christie's in der Pinakothek der Moderne versteigert.
Foto: Felix Hörhager, dpa | Der Künstler Flatz zeigt eine naturgetreue Nachbildung seiner Haut und seines Körpers an einem Fleischerhaken hängend in der Pinakothek der Moderne. Bei einer Vernissage seiner Ausstellung "Flatz.
Christa Sigg
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:12 Uhr

Herr Flatz, als Kind haben Sie sich mit der nagelneuen Lederhose in einen Kuhfladen gesetzt. Das riecht nach einer ersten Performance, mit der man zumindest die Eltern provoziert. 

Wolfgang Flatz: Mit fünf Jahren war das keine Provokation. Nach den Stoffhosen, die meine Mutter genäht hatte, war das die allererste Lederhose, und der Vater sagte: Damit kannst du dich jetzt überall hinsetzen. Für mich hieß das, egal wo. Natürlich gab es gleich ein paar Schellen.

Musste der kleine Wolfgang alles ausprobieren? 

Flatz: Kann schon sein. Ich war in der Schule immer der Kleinste, aber auch der Flinkste und der Mutigste. Wenn sich die anderen nicht mehr getraut haben, bin ich gesprungen. Nicht, weil ich provozieren wollte, sondern weil ich einen wahnsinnigen Minderwertigkeitskomplex hatte.

Mut spielt eine große Rolle in Ihrem Werk, auch Mutproben? 

Flatz: Mutproben habe ich keine gemacht, aber Grenzen ausgetestet und, wenn es ging, sie verschoben. Künstler sind die Einzigen, die Grenzen überschreiten und verschieben dürfen. In allen anderen Berufsfeldern wird man dafür sanktioniert. Der Künstler ist sogar gefordert, an gesellschaftliche Grenzen zu gehen.

Wenn man sich heute anschaut, wie Sie sich mit Dartpfeilen bewerfen ließen oder zwischen zwei Eisenplatten hängend hin- und hergeknallt sind, nimmt einen das richtig mit. Waren das solche Grenzen? 

Flatz: Für mich hat sich genauso die Frage nach den Grenzen der Kunst gestellt. Wie übertrete ich die? Das passiert meistens, indem man anderen zu nahe tritt. Ich habe vor nichts mehr Angst, außer, andere Menschen unnötig zu verletzen – mit meiner Schärfe, mit meiner Sprache, auch mit meinem Benehmen.

Sie hätten bei der Darts-Performance wie der heilige Sebastian enden können. Hatten Sie wirklich keine Angst vor einer gefährlichen Verletzung oder vor den Schmerzen? 

Flatz: Das Risiko habe ich in Kauf genommen. Bei vielleicht zehn von 50 Performances in meinem Leben war klar: Wenn irgendwas daneben geht, war das der letzte Auftritt. Ich gehe konzeptionell vor und denke mir alles minutiös bis zum Schluss aus. Entscheidend sind drei Punkte: Schaffe ich es körperlich? Mental? Und ist die Arbeit so stark und tragfähig, dass ich in zehn Jahren sagen kann, es war richtig, sie zu machen? Dreimal ja hieß, machen und das größte Risiko einkalkulieren: den Tod.

Mit Tätowierungen ist man vor 50 Jahren noch richtig aufgefallen. 

Flatz: Ja, wahrscheinlich habe ich den Boom mitinitiiert, schon 1975 bekam ich mein erstes Tattoo. Noch lange bevor die Höhlenmalerei entstand, hatte es bereits die Körpermalerei gegeben. Warum? Um klarzumachen, wo man steht, welche Position man in einer Gruppe hat. Wer sich vor 50 Jahren tätowieren ließ, hat sich aus der Gesellschaft genommen. Nur Kriminelle, Gefangene und Seemänner ließen sich tätowieren. Halbwelt eben.

Jetzt sind es in 50 Jahren 13 Tattoos geworden, war’s das? 

Flatz: Vor zwei Jahren kam mein letztes dazu – eines der größten und schwierigsten, das sich dezidiert mit dem Tod auseinandersetzt. Mors certa, hora incerta, der Tod ist gewiss, die Stunde nicht. 

Hat Ihr Unfall diese Auseinandersetzung befördert? 

Flatz: Auf dem Zebrastreifen über den Haufen gefahren zu werden, ist schon heftig. Es gab Freunde, die meinten, das sei meine größte Performance gewesen. Idioten! Eine Performance plant man. Ja, der Unfall hat mir die Endlichkeit wieder bewusst gemacht. Auch die Verletzlichkeit. Ohne dass du etwas dazu tust, kann von der einen auf die andere Sekunde alles vorbei sein. 

Und jetzt tragen Sie Ihre Haut zu Markte – im wahren Wortsinn. Am Donnerstag kann man sich erst einmal eine Fotografie des entsprechenden Tattoos ersteigern, nach Ihrem Tod gibt es dann das „Original“ auf der Haut. Graust es Ihnen nicht?

Flatz: Moral und Ekel spielen in der Kunst keine Rolle, sondern nur beim Betrachter.

Höher kann man die Auktion kaum hängen: Dirk Boll, Vorstand bei Christie’s, wird sie am Donnerstag durchführen. Wie hat sich das ergeben? 

Flatz: 2013 hat mir Dirk Boll sein Buch „Das ABC der Kunstmärkte“ geschickt. Und ich dachte mir, dann schicke ich ihm jetzt mein Konzept zur Versteigerung meiner Tattoos. Dann kam eine Mail zurück, er könne sich noch sehr gut an die Documenta 9 erinnern, ich sei der erste Künstler mit einem konzeptionellen Tattoo gewesen. Unter den 500 Praktikanten der Documenta war ausgerechnet er damals mein Fahrer. Was für ein Zufall! Als er hörte, dass ich in der Pinakothek der Moderne ausstelle, war er sofort dabei. 

In Ihrem Werk spielen Männlichkeitssymbole wie Boxsäcke, Autos, Kraftmaschinen eine zentrale Rolle. Warum? 

Flatz: Weil man sich mit Gewalt und Aggression auseinandersetzen muss. Ich habe als Kind beides intensiv erfahren. 

Ihr Vater war im Krieg? 

Flatz: Ja, aber er war nicht gewalttätig. Allerdings konnte er keine Emotionen zeigen, und da war auch keine Empathie. Zuckerbrot und Peitsche hieß sein Erziehungskonzept. Wenn alles okay war, gab‘s nix, wenn nicht, wurde man bestraft. Körperlich drakonisch. Das ist meine Prägung. Als Kind war ich extrem verschüchtert, hatte immer Angst vor dem Vater. Das hat sich erst gelöst, als ich mit dem Studium begann. 

Bei Ihrer ersten Aktion 1974 auf einer Brücke sind Sie auch gleich verhaftet worden. Auf einem Plakat haben Sie sich schuldig bekannt, einen schweren Unfall verursacht zu haben. 

Flatz: Das hat nicht im musealen Kontext stattgefunden und ist als Regelverletzung rigoros abgestraft worden. Mir wurde mit der Psychiatrie gedroht. Aber damals gab es den Begriff Performance noch gar nicht, das wurde alles als wilder Aktionismus abgetan. 

Jetzt sind Sie im geschützten Raum des Museums mit einer großen Retrospektive. 

Flatz: Und ich habe nach 50 Jahren ein Déjà-vu. Der Ausstellungstitel „Something Wrong With Physical Sculpture“ bezieht sich auf die Arbeit, die mich nach einem Motorradunfall nackt mit den Krücken zeigt. Dieses Bild sollte auch aufs Plakat, das dann in U-Bahnen und sonst wo hängen wird. Absurd, aber das Plakat wurde abgelehnt. Ein Dienstleister zensiert Kunst? Im vorauseilenden Gehorsam. Wo leben wir denn? 

Die Begründung? 

Flatz: Der Jugendschutz. Mit der Moral kann man inzwischen wieder viel begründen. 

Wie in Ihrer Anfangszeit. Kommt die Ausstellung zum richtigen Zeitpunkt? 

Flatz: Sie ist überfällig! Ich lebe seit 50 Jahren in München, wurde dreimal zur Documenta geladen, es gibt in Dornbirn ein eigenes Flatz-Museum, ich stelle auf der ganzen Welt aus. Aber in 50 Jahren waren nur zwei Kulturreferenten bei mir: Jürgen Kolbe und jetzt Anton Biebl. Auch von den Münchner Museumsleuten bin ich – bis auf Bernhart Schwenk von der Pinakothek der Moderne – völlig ignoriert worden.

Der letzte Satz in einem Ihrer Gedichte lautet „Ich war der Beste. Der wollte ich immer sein“. 

Flatz: Ich bin aber auch ein hoffnungsloser Romantiker.

 
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