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Interview
Timm Kröger: „Deutsche Schauspieler neigen dazu, immer viel zu viel zu machen“
Der Regisseur Timm Kröger präsentierte seinen Film „Die Theorie von Allem“ bei den Filmfestspielen in Venedig. Ein Gespräch über Physik und Schwarz-Weiß vor dem Filmstart.
Noemi Schneider
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:09 Uhr

Herr Kröger, Sie haben sich dafür entschieden, Ihren Film „Die Theorie von Allem“, in dem es um einen jungen Physiker in der Schweiz geht, in Schwarz-Weiß zu drehen. Weshalb? 

Timm Kröger: Schwarz-Weiß verweist nicht nur auf die Vergangenheit, sondern drängt auch gewisse Nebensächlichkeiten an den Rand. Licht und Schatten treten stärker hervor, es geht in dem Film um Gegensätze, um Leben um Tod, Schicksal versus Chaos, Liebe versus Paranoia. Und das lässt sich sehr gut mit diesem starken Kontrast veranschaulichen.

In dem Film geht es auch um Physik, genauer gesagt um Quantenphysik. Wurde Ihnen die Liebe zur Physik in die Wiege gelegt? 

Kröger: Nein. Ich habe zwar Lehrer-Eltern, aber die unterrichten Deutsch, Sport und Französisch. Ich war immer schlecht in Mathematik, bis ich begann, Filme zu schauen, die von genialen Mathematikern handeln wie „Good Will Hunting“ oder „A Beautiful Mind“. Und dann hatte ich plötzlich nicht mehr eine Fünf in Mathe, sondern eine Eins, weil ich mir in den Kopf gesetzt hatte, ein Mathematikgenie zu sein. Ich wollte einen Film machen, der das Klischee vom genialen jungen Physiker, der mit Kreide tolle Formeln in das Fenster malt, aufnimmt, aber auch bricht.

„Die Theorie von Allem“ hat seine Weltpremiere Anfang September im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele in Venedig gefeiert. Bei der Programmvorstellung sagte der Festivaldirektor Alberto Barbera damals, er sei sich nicht ganz sicher, ob er alles verstanden habe, aber es gehe vermutlich auch gar nicht darum. Was sagen Sie dazu? 

Kröger: Der Film hat viele Ebenen, und man versteht ihn vielleicht nicht unbedingt beim ersten Mal. Er gibt Hinweise, aber die sind teilweise sehr versteckt, und so geht man einer Verschwörung nach, die sich vielleicht nie ganz auflösen lässt. So wie der junge Physiker im Film, Johannes Leinert, einer Verschwörung hinterherjagt, die er nie verstehen wird. Vielleicht ist es aber auch gar keine Verschwörung …

Bei der Pressekonferenz in Venedig erzählte der Hauptdarsteller Jan Bülow, dass die Regieanweisung, die Sie am häufigsten gegeben haben, lautete: „Mach weniger! Mach weniger!“ Wieso das? 

Kröger: Deutsche Schauspieler neigen dazu, immer viel zu viel zu machen. Das hat vielleicht mit der Theatertradition hierzulande zu tun. Das Missverständnis kommt daher, dass Emotion als etwas aufgefasst wird, was nur in Stimme und Ausdruck passiert. Das ist nicht wahr. Es ist ein ästhetisches Gesamtergebnis von Kamera, Musik, Zeit, Rhythmus zwischen „Leere von Gefühl“ und „Erwartung von Gefühl“ im Gesicht der Darsteller. Die „Erwartung von Gefühl“ ist etwas, was ich in ein vermeintlich leeres Gesicht setzen kann, und deswegen sagt man als Regisseur immer: „Mach weniger!“ Davon lebt der Film noir. Und Jan Bülow hat das auch verstanden, und deswegen war er fantastisch für diesen Film.

Ihre Traumbesetzung? 

Kröger: Ja, denn Jan Bülow hat sich, obwohl er ein extrovertierter Mensch ist, so schön in diesen introvertierten, irgendwie emotional verklemmten Menschen Johannes Leinert hineinbegeben. Ich weiß nicht, ob ich immer alles glaube, aber ich finde es immer interessant. Er erinnert mich an Hermann aus „Die Zweite Heimat“ von Edgar Reitz, an diesen jungen Komponisten, diesen Genie-Tölpel, der quasi in Betten fällt und durch die Welt stolpert, die ihm prinzipiell offensteht. So einer ist der Johannes auch. Wenn man eine deutsche Heldenreise erzählt, muss der Held irgendwie so sein, denke ich. Zumindest in der Zeit der 1960er Jahre und wenn es um Physik geht. Und Jan Bülow war perfekt dafür.

Auch Hanns Zischler ist mit von der Partie.

Kröger: Den hatte ich ganz früh vor Augen. Hanns ist so ein warmer, großzügiger Mensch, und er spielt in diesem Film genau das Gegenteil. Und auch sein Antipode – es gibt ja zwei Doktorväter in diesem Film, die fast psychologische Gegensätze darstellen – war eine Entdeckung für mich.

Den zweiten Doktorvater, einen ziemlich versoffenen Physiker, verkörpert der österreichische Schauspieler Gottfried Breitfuß. Wie sind Sie auf ihn gekommen? 

Kröger: Er ist ein Freund von Jan Bülow, den ich zufällig in Zürich, am Fluss bei einer Dose Bier kennengelernt habe. Ein großartiger Schauspieler, ein wunderbarer Mensch, aber leider viel zu wenig bekannt – das ändert sich jetzt, hoffe ich.

Eine Hauptrolle in dem Film spielt auch der Schnee. 

Kröger: Der gehörte zur Kernidee. Man denke nur an „Drei Männer im Schnee“, wenn dieses merkwürdig „Deutsch-Naive“ auf eine amerikanisch erzählte Verschwörung trifft, da gehört Schnee einfach dazu. Schnee ist etwas Wunderschönes, aber symbolisch betrachtet bedeutet er den Tod.

Am Ende des Films taucht plötzlich eine den deutschen Zuschauerinnen und Zuschauern sehr vertraute Erzählerstimme auf, die dem Filmemacher Dominik Graf gehört. 

Kröger: Dominiks Stimme ist für mich untrennbar mit deutscher Kultur verbunden. Ich liebe seine Stimme. Er hat das Hörbuch des Romans „Imperium“ von Christian Kracht gesprochen. Und dieser Film hat vielleicht auf mehreren Ebenen mit Christian Krachts Werk zu tun, weil darin auch popkulturelle Versatzstücke miteinander kombiniert werden wie in seinen Romanen. Ich hatte das Gefühl, Dominik Graf könnte genau die Art von Geist, Humor und auch Abgrund, die der Film miteinander verbindet, intuitiv verstehen. Und das hat er. Wir haben nur kurz telefoniert, und dann hat er, glaube ich, in einer halben Stunde diesen Epilog aufgenommen.

In „Die Theorie von Allem“ gibt es Mysteriöses und Unheimliches, aber auch Romantisches und Komödiantisches. Ihr Film wechselt immer mal wieder die Tonart/Tonalität und changiert zwischen den Genres – er macht in gewissem Sinne aber auch selbst eine Entwicklung durch. Kann man das so sagen?

Kröger: Für die Idee muss ich mich vor allem bei meinem Drehbuchautoren Roderick Warich bedanken. Am Ende versucht sich der Film von der gescheiterten Heldenreise, die er erzählt, zu lösen und daraus etwas Neues zusammenzubinden. Und er wird, finde ich, erwachsener und verändert sich emotional auf eine Art, die man wahrscheinlich nicht erwartet, wenn man den Film anfängt zu schauen. Ich glaube, Leute, die den Film mögen, werden finden, dass der Epilog vielleicht sogar der schönste Teil des Films ist. Es geht um die gebrochene Biografie eines Menschen, dessen Geschichte – die wir doch mit ihm erlebt haben – ihm fundamental nicht geglaubt wird. Es ist fast so, als hätten sich die Gesetze der Physik geändert, nur um ihn für immer im Unrecht zu lassen. Ich glaube, man muss kein Physiker sein, um mit diesem Gefühl – welches tragisches und ironisches Potenzial hat – etwas anzufangen.

 
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