
Herr Ohler, in Ihrem Bestseller „Der totale Rausch“ haben Sie den exzessiven Drogenkonsum im Nationalsozialismus nachgewiesen. In Ihrem neuen Buch „Der stärkste Stoff“ erzählen Sie die Geschichte von LSD. Kann das Schreiben über Drogen süchtig machen?
Norman Ohler: Der Suchtfaktor steckt weniger im Thema als im Schreiben selbst. Es macht mir Spaß zu recherchieren, in Archiven zu wühlen und mich im Schreiben zu versenken, ich kann nicht damit aufhören.
Wie kamen Sie zum LSD?
Ohler: Bei den Recherchen zu „Der totale Rausch“ bin ich auf Dokumente gestoßen, die Versuche der Nationalsozialisten mit Meskalin und anderen halluzinogenen Substanzen im KZ Dachau nahelegten. Das fand ich interessant, aber ich hatte damals nicht genug Informationen, um es zu beschreiben. Jetzt bin ich der Spur noch mal gefolgt und auf ein paar spannende Fakten gestoßen.
Zum Beispiel, dass ein Schweizer Chemiker 1943 den ersten LSD-Trip der Menschheit erlebte, in seinen Notizen von fantastischen Bildern schwärmte und sich zugedröhnt über die Hässlichkeit der technischen Welt wunderte.
Ohler: Es muss ein fulminanter Rausch samt Sehstörungen und Lachreiz gewesen sein, den der Chemiker Albert Hofmann erlebte. Das LSD war versehentlich in seinen Blutkreislauf gelangt. Beflügelt von der positiven Wirkung unterzog er sich weiteren Selbsttests, reduzierte die Dosis auf ein Minimum und praktizierte das, was wir heute Microdosing nennen.
Was war so besonders am LSD?
Ohler: Es war stärker als alle anderen Substanzen und wirkte nicht auf den Körper, sondern auf den Geist. Die Firma Sandoz, heute Novartis, hoffte auf die Entwicklung hochwirksamer Medikamente und setzte auf die Erforschung des Mutterkorns. Der Pilz wächst auf Roggen und war wegen seiner giftigen Wirkung gefürchtet. Sandoz war es gelungen, die wirksamen Stoffe aus dem Mutterkorn zu isolieren und Medikamente gegen Migräne oder Blutungen herzustellen. Bei seinen Versuchen stieß Hofmann dann auf eine Verbindung, die stärker war als alle anderen.
Die potente Wirkung blieb nicht unbemerkt. Auch die Nazis experimentierten mit LSD. Warum waren sie daran interessiert?
Ohler: Die Nazis waren auf der Suche nach einer Wahrheitsdroge, die sie bei Verhören einsetzen konnten. Dafür experimentierten sie mit halluzinogenen Stoffen an KZ-Häftlingen. Nach dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler wuchsen die paranoiden Kontrollfantasien. Über Kontakte zum Sandoz-Chef geriet das LSD in den Fokus der Nazis, was nach Kriegsende auch die Amerikaner interessierte.
Was versprachen die sich davon?
Ohler: Im Kalten Krieg war alles relevant, was die Nazis erforscht hatten, von Nukleartechnik bis zu biochemischen Waffen. Auch die Amerikaner fantasierten von einer Substanz zur Bewusstseinskontrolle und sahen Potenzial im LSD. Der Stoff wurde nur noch im Geheimen getestet und Versuche, ihn als Medikament auf den Markt zu bringen, wurden vereitelt.
LSD als Mittel der psychologischen Kriegsführung, klingt wie ein schlechter Krimi.
Ohler: Manche Dokumente lesen sich auch so. Die CIA testete LSD ohne Einwilligung an Psychiatriepatienten, Wissenschaftlern oder eigenen Agenten. Manche erlitten psychische Störungen, einer starb unter mysteriösen Umständen. Gleichzeitig gelangte der Stoff in Künstlerkreise. Autoren wie Allen Ginsberg oder Aldous Huxley schwärmten von der bewusstseinserweiternden Wirkung. In den 1960er Jahren wurde LSD populär, aber mit der restriktiven Anti-Drogenpolitik unter Richard Nixon verboten. Dadurch war die Erforschung des Stoffs für medizinische Zwecke wieder blockiert.
Wurden damit Chancen vertan?
Ohler: Die Forschung macht heute dort weiter, wo Albert Hofmann vor 80 Jahren stehen geblieben war. Wir könnten viel weiter sein, wenn Psychedelika wie LSD medizinisch untersucht worden wären. Vielleicht wären Alzheimer oder Demenz schon gut behandelbar.
Wie wirkt LSD im Gehirn?
Ohler: Das Ego-Zentrum wird mit weniger Energie versorgt, dafür kommen andere Hirnregionen stärker zum Einsatz. Die LSD-Moleküle docken an bestimmte Rezeptoren an und schaffen neue neuronale Verbindungen. Einfach gesagt: Das Gehirn kommt aus seinem Trott heraus, und es entstehen neue Gedanken, die einen anderen Blick auf die Welt ermöglichen.
Was bedeutet das konkret für die medizinische Anwendung?
Ohler: Es gibt mittlerweile seriöse Studien von Universitäten weltweit. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Psychedelika nicht nur bei Demenz oder Alzheimer, sondern auch bei Depressionen, Traumata oder Suchtverhalten helfen können. Denn durch die Neuorganisationen von neuronalen Prozessen im Gehirn können negative oder repetitive Denkmuster durchbrochen oder degenerierte Zellen stimuliert werden.
In den letzten Jahren hat sich viel getan. Wo stehen wir aktuell?
Ohler: Oft ist von einer psychedelischen Renaissance die Rede. In einigen US-Bundesstaaten ist Psilocybin, ein Wirkstoff der in psychoaktiven Pilzen steckt und dem LSD ähnelt, legalisiert. Auch MDMA, besser bekannt als Ecstasy, wird bald als Therapeutikum zugelassen werden. Pharmazeutische Startups forschen unter Hochdruck an psychedelischen Medikamenten, auch etablierte Konzerne dürften am Thema dran sein.
Auch weil es Gewinne verspricht?
Ohler: Demenz zählt zu den künftigen Volkskrankheiten. 2050 könnten 170 Millionen Menschen weltweit betroffen sein. Die Entwicklung eines Medikaments wäre für die Pharmaindustrie ein Riesengeschäft. Der Druck auf die Gesetzgeber wächst, denn es ist absurd, Stoffe zu kriminalisieren, die medizinisch nützlich sein könnten. In vielen Ländern ist LSD verboten, was Studien oder die Zulassung von Medikamenten erschwert.
Sie haben es selbst in die Hand genommen und versorgen ihre Mutter, die an Alzheimer leidet, mit LSD in kleinen Dosen. Gab es Bedenken in der Familie?
Ohler: Mein Vater war jahrelang Richter am Oberlandesgericht Rheinland-Pfalz, er hatte Skrupel. Aber als er mehr über LSD und dessen Wirkung wusste, wollte er es versuchen, denn es gibt bislang kein wirksames Medikament gegen Alzheimer. Wir haben meine Mutter gefragt und den Hausarzt mit einbezogen. Meine Eltern machen das jetzt seit zwei Jahren, und die Ergebnisse sind gut.
Wie wirkt LSD bei Ihrer Mutter?
Ohler: An den Tagen, an denen sie einen Tropfen in den Frühstückskaffee bekommt, ist ihre kognitive Leistung besser. Sie spricht flüssiger und macht Dinge, die sie lange nicht gemacht hat, sie liest Zeitung oder duscht allein. Ihr scheint die Mikrodosierung zu helfen, deshalb setzen wir sie weiter ein.
Haben Sie es auch ausprobiert?
Ohler: Ja, bei mir wirkt es wie ein Kaffee am Morgen. Ich bin wacher und habe mehr Energie. Aber anders als Koffein, das schnell verfliegt, hält die Mikrodosis fünf oder sechs Stunden an. Viele denken bei LSD an bunte Farben und Halluzinationen, aber in winzigen Mengen erlebt man keinen Rausch, sondern das Gehirn wird angeregt.
Ganz legal ist Microdosing nicht. Mal direkt gefragt: Wo haben Sie das LSD für Ihre Mutter her?
Ohler: Ich beziehe es aus Quellen, die ich bei den Recherchen kennengelernt habe. In einigen Ländern wie der Schweiz wird LSD schon legal hergestellt und in der Psychotherapie eingesetzt. Aber in Deutschland kommt man nicht so einfach an mikrodosiertes LSD.
Sollte sich das ändern?
Ohler: Die gesamte Drogenpolitik muss sich ändern, denn sie fußt nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern dient einer Ideologie. Die Gesetzgebung geht an der Realität vorbei, weshalb sich viele Menschen nicht daran halten. Die Prohibition muss enden und die Politik neue Wege gehen. Man kann natürlich nicht plötzlich alle Substanzen legalisieren, es müssen Regularien entwickelt werden, und es braucht einen gesellschaftlichen Diskurs wie aktuell bei der Legalisierung von Cannabis.
Sie schreiben von einer biochemischen Mauer in den Köpfen der Menschen, die durch eine jahrzehntelange Antidrogenpolitik errichtet wurde. Wie sollte die Gesellschaft mit Drogen umgehen?
Ohler: Menschen haben sich immer gerne berauscht, ob mit Alkohol oder anderen Stoffen. In einer freien Gesellschaft sollte die Wahl der Substanz in der Verantwortung des Einzelnen liegen. Menschen, die bestimme Stoffe verteufeln, wissen oft nichts darüber. LSD wirkt im Gegensatz zu Alkohol nicht toxisch und macht körperlich nicht abhängig. Es könnte ein Segen für die Menschheit sein, stattdessen wird es kriminalisiert.