
Hallo zusammen. Man sagt ja, es gäbe keine Beziehung, die so emotionsbeladen ist wie die zwischen Mutter und Tochter. Wie verhält es sich bei Ihnen?
Armgard Karasek: Wir finden die Beziehung überhaupt nicht kompliziert.
Laura Karasek (fällt ihrer Mutter ins Wort): Die Frage lautete, ist die Beziehung emotionsgeladen?
Armgard Karasek: Doch, emotionsgeladen ist sie schon. Laura ist sehr temperamentvoll und schreit mich auch gerne mal an.
Laura Karasek: Ich deute das aber als Zeichen von Nähe und Liebe, wenn man jemand auch mal anschreien kann. Dass ich laut werde, steht auch dafür, dass mich die Situation berührt.
Sie haben das Buch "Das Gespräch unseres Lebens" geschrieben, in dem Sie darauf hinweisen, wie wichtig es ist, rechtzeitig miteinander zu sprechen, die Dinge nicht aufzuschieben, um den anderen besser verstehen zu lernen. Wie kamen Sie auf die Idee?
Armgard Karasek: Wir sprechen einfach gerne miteinander. Das war schon immer so, und es geht dabei munter zu. Und dann gab es den Gedanken, dass das, was wir besprechen, auch für andere interessant sein könnte.
Sie redeten über Gott und die Welt, den ersten Kuss, das Älter werden, Streit, Liebe Beruf, Glück, Exzesse, Enttäuschungen. Was haben Sie Neues voneinander gelernt?
Laura Karasek: Wir können uns nun auf jeden Fall besser verstehen. Ich habe gelernt, dass meine Mutter gewisse Sachen nicht nur macht, um mich zu korrigieren und zu belehren.
Armgard Karasek: Ich habe gelernt, dass Laura an die Dinge sehr viel temperamentvoller herangeht, als ich das mache. Ich bleibe immer am Boden, wenn ich über Lösungen von Problemen nachdenke, Laura explodiert erst einmal. Ich finde wichtig, dass man den anderen so kennenlernt, wie er ist und warum er so ist. Wenn es gar das eigene Kind ist, dann rückt man ihm dadurch noch einmal näher. Man entwickelt mehr Verständnis füreinander.
Laura Karasek: Und man bekommt Antworten auf Fragen aus der Kindheit. Beispielsweise auf die Frage, ob ich ihr nicht ähnlich genug war, zu viel war, zu impulsiv. Das Gefühl hatte ich. Es war aber nie der Fall, wie sich herausstellte.
Sie sind teilweise berührend offen miteinander. War das so angelegt oder hat sich das so ergeben?
Armgard Karasek: Das hat sich tatsächlich erst im Gespräch ergeben. Man kommt da auf Vieles, das man sich selbst gar nicht eingesteht. Bei mir war es unter anderem die Frage, wovor ich Angst habe. Zum Beispiel Einsamkeit. Und wenn man das ausspricht, erschrickt man erst einmal darüber. Es war erstaunlich, auf wie viele Themen wir über das Gespräch kamen. Und es war sehr schön, weil ich ehrliche Antworten bekommen habe.
Das Buch beginnt mit einem Dialog, den man typischerweise Frauengespräch nennen würde: Es geht um Aussehen und Kleidung. Warum sind Sie nicht mit inneren Werten wie Ehrlichkeit, Intelligenz, oder Freundlichkeit eingestiegen?
Armgard Karasek: Ich würde sagen, es leitet auf den Charakter und die Schrulligkeiten von uns beiden hin. Laura hat beispielsweise Angst, umarmt zu werden. Wir wollten uns der Sache von außen nach innen nähern und dabei nicht schon auf den ersten Seiten das Innerste nach außen kehren. Wir wollten, dass die Leserinnen und Leser sich erst einmal mit uns vertraut machen. Denn die kennen uns ja noch nicht.
Laura Karasek: Ich glaube, dass es im ersten Kapitel nicht nur ums Äußere geht. Auf die Frage: Was siehst du, wenn du in den Spiegel schaust, geht es auch sehr viel um die Frage der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Ich empfinde es als spannend, dass man seine eigene Verletzlichkeit über Äußerliches lebt. Außerdem sind Frauen heute nach wie vor mit Themen wie Selbstoptimierung und Optik beschäftigt. Auch das Thema Älterwerden wird bei Frauen nach wie vor stärker thematisiert als bei Männern.
Laura, Sie haben ein spezielles Verhältnis zu High Heels. Was machen die genau mit Ihnen?
Laura Karasek: Ich fühle mich mit denen direkt weiblicher. Auf diesen Schuhen fühle ich mich sexy und als Femme fatale. Das ist wie beim Alkohol trinken oder Musikhören, da manövriert man sich in so ein bestimmtes Gefühl rein. Ich kann mich in hohen Schuhen selber manipulieren.
Armgard, peinlich sei Ihnen Ihre Tochter gewesen, wenn sie zu aufgedonnert aus dem Haus gegangen ist, schreiben Sie.
Armgard Karasek: Ich finde, das ist dann zu tussig. Ich gehe selbst ja durchaus auch geschminkt ins Büro. Aber dann dezent. Ich wollte mich aber immer schon nicht über mein Äußeres definieren. Wenn man sich in High Heels bewegt und topless aufbrezelt, setzt man dadurch schon eindeutige Signale. Mir ist das zu viel Beschäftigung mit dem Körper.
Laura Karasek: Ich will nur sagen: Ich sitze gerade ungeschminkt und mit nassen Haaren vor meiner Mutter. Aber das ist völliger Quatsch. Ich gehe weder zur Mani- noch zur Pediküre. Ich verwende also nicht wahnsinnig viel Zeit auf mein Äußeres. Aber wenn ich mal ausgehe, dann finde ich es auch schön, wenn es glitzert. Ich trage aber keine künstlichen Wimpern, sondern mache mich auch oft in fünf Minuten fertig. Ich finde, deine Einschätzung als wahnsinnig abwertend, Mama!
Armgard Karasek: Es ist auch nicht verwerflich, sich hübsch zu machen. Aber dieses Aufdonnern setzt an Männer das eindeutige Signal: Schaut mal her, wie toll ich aussehe!
Ihr vor acht Jahren verstorbene Vater und Ehemann, der Publizist Hellmuth Karasek, gehörte zu den großen deutschen Kulturkritikern. Wie ist hier das Gefühl? Sind mit ihm wichtige Themen unaufgearbeitet geblieben?
Armgard Karasek: Ich habe sehr, sehr viel mit meinem Mann gesprochen. Das fehlt mir auch heute am meisten, diese Auseinandersetzungen über alles, was einem im Leben so widerfährt. Das war sehr anregend, egal ob es um Gesellschaft, Musik, Kunst oder Politik ging. Wir haben viel unternommen, hatten auch viele Gäste zu Hause und es waren tolle Abende. Ich habe aber das Gefühl, mit meinem Mann über alles gesprochen zu haben, was für uns wichtig war.
Laura Karasek: Ich habe mit meinem Vater ein sehr inniges Verhältnis gehabt. Wir haben auch über alles gesprochen. Er war genauso emotional wie ich. Wenn ich Liebeskummer hatte, war er sogar nützlicher als meine Mutter. Mein Vater konnte das ganze Leiden nachvollziehen. Ich hätte schon noch ein paar Fragen, die ich ihm gerne stellen würde. Er fehlt mir. Denn er hat mich nie in der Rolle der Mutter, Moderatorin oder Schriftstellerin erlebt.
Hellmuth Karasek soll sehr gut gekocht haben. Wie darf man sich das früher bei den Karaseks vorstellen. Wurde bei Ossobuco über Literatur gesprochen oder waren das eher banale Alltags-Gespräche wie in den meisten anderen Familien?
Armgard Karasek: Es wäre albern zu sagen, wir hätten keine banalen Alltagsgespräche geführt. Natürlich haben wir auch übers Einkaufen gesprochen. Aber es war schon so, wenn wir meinen Mann mit dem Problem einer ungerechten Mathelehrerin konfrontiert haben, hat er sofort das Thema gewechselt und von einer Inszenierung von Peter Zadek erzählt und hat mich als Theaterkritikerin ins Gespräch verwickelt. Die Kinder mussten dann schon sehr laut werden, um wieder am Gespräch beteiligt zu werden.
Laura Karasek: Der Tisch war bei uns schon eine Art Bühne: Man durfte meinen Vater nicht langweilen. Wir haben uns aber auch gegenseitig hochgeschaukelt. Wer keine Pointe auf Lager hatte, der hatte verloren.