Herr Voges, Sie sind Intendant des Wiener Volkstheaters und bringen gerade für das Berliner Ensemble die Correctiv-Recherche über das geheime Treffen der Rechten in Potsdam auf die Bühne. Stichwort „Remigration“. Wie sind Sie zu diesem Stoff gekommen?
Kay Voges: 2016, als ich Intendant am Theater Dortmund war, habe ich schon einmal mit Correctiv etwas szenisch auf der Bühne umgesetzt. So ist in den Jahren zwischen den Journalistinnen und Journalisten von Correctiv und mir ein kontinuierlicher Austausch entstanden. Deshalb habe ich auch von dieser Recherche erfahren – Correctiv kam mit der Idee der szenischen Lesung auf mich zu, um die Verbreitung des Inhalts zu vergrößern.
Warum haben Sie zugesagt?
Voges: Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um eine Aufklärung zu geben, was in dem rechten Milieu und bei der AfD los ist. Dazu sehe ich das Theater als einen politischen Ort, wo wir über Zukunft debattieren und die Gegenwart analysieren. Da ist die Zusammenarbeit mit Journalistinnen und Journalisten ein wichtiger Punkt für mich. Ich mache das nicht nur mit Correctiv, sondern in Wien auch mit dem Recherchekollektiv Dossier. Ich finde wichtig, dass wir politische Themen an den Ort bringen, der der Gesellschaft gehört, nämlich an das Theater. Das ist der Ort, an dem wir uns als Gesellschaft Zeit nehmen, die Komplexität der Welt wahrzunehmen. Anschließend können wir uns darüber gemeinsam austauschen.
Warum zeigen Sie die Recherche über die deutsche rechtspopulistische Partei AfD auch in Wien?
Voges: Ich finde, dass Österreich identische Probleme hat. Auch in Österreich wird dieses Jahr gewählt. Die FPÖ, die Schwesterpartei der AfD, hat einen sehr hohen Stimmenzuwachs. Und aus Österreich kam der Hauptredner des Potsdamer Treffens, Martin Sellner, der den Impulsvortrag geliefert hat. Ich glaube, es ist auch für Österreicherinnen und Österreicher wichtig zu wissen, was für ein Gedankengut in Österreich existent ist.
Wie hat man sich vorzustellen, wie Sie die Correctiv-Recherche auf die Bühne bringen?
Voges: Wir konnten mit beteiligten Journalisten sprechen. Wir wollen die menschenverachtende Sprache und die kruden Forderungen der Rechten ausstellen, um sie kenntlich zu machen. Und wir wollen Situationen darstellen, die uns vielleicht ein tieferes Verständnis geben.
Wie haben Sie den Text verfasst? Schreiben Sie den beteiligten Rechten in Potsdam Sätze zu? Oder geht die Recherche so tief, dass Sie einfach wörtlich das übernehmen können, was in Potsdam gesagt worden ist?
Voges: Wir haben Gedächtnisprotokolle von Journalistinnen und Journalisten bekommen, außerdem haben wir Fotomaterial bekommen. Teilweise machen wir ein Reenactment des Treffens in Potsdam, teilweise auch einen Kommentar und einen Versuch zu verstehen, wie dieser Journalismus funktioniert und was an diesen Tagen in dem Hotel in Potsdam passiert ist.
Die Recherche hat schon hohe Wellen im Vorfeld geschlagen. Gibt es noch Neues, das auf der Bühne präsentiert wird?
Voges: Die Journalistinnen und Journalisten arbeiten gerade noch an einer weiteren Geschichte über dieses Treffen und wir hoffen, dass wir das zeitgleich mit der Recherche auf der Bühne veröffentlichen können.
Es wird noch mehr Details geben als bislang bekannt?
Voges: Es wird noch schlimmer.
Auf einer Theaterbühne rechnet das Publikum in der Regel damit, einen künstlerisch überarbeiteten Stoff zu sehen. Wie funktioniert das mit einer Recherche? Wieso diese Form?
Voges: Ich glaube, dass das Theater ein Ort des gemeinschaftlichen Erlebens und des gemeinschaftlichen Nachdenkens über unsere Zeit und Welt ist. Wir reflektieren Gegenwart. Dieser Abend betrifft unsere jüngste Vergangenheit und unsere unmittelbare Zukunft. Wir wollen uns dort gemeinsam mit den Menschen dieser Recherche widmen. Diese Recherche muss maximale Verbreitung finden, ob es nun in Print-Medien oder im Fernsehen oder im Radio oder auf der Straße bei Demonstrationen ist – oder eben im Kulturbereich. Diese Geschichte ist von einer solchen Unfassbarkeit, das muss erzählt werden. Wenn wir uns an das „Nie wieder“ nach dem Zweiten Weltkrieg halten wollen, sind alle Alarmanlagen an. Jetzt gilt es aufzupassen, dass das „Nie wieder“ wirklich ein „Nie wieder“ ist. Deshalb mag ich den Slogan „Nie wieder ist jetzt“.
Wie haben Sie selbst auf das Alles reagiert, als Sie damit konfrontiert worden sind?
Voges: Vieles war mir bekannt. Aber mit dieser Deutlichkeit und Klarheit habe ich nicht gerechnet. Das hat mich schockiert. Daher rührt dann auch der Reflex bei mir als Theaterschaffendem. Das ist so unfassbar, das müssen wir erzählen, damit keiner sagen kann: Das haben wir nicht gewusst. Es hat ja auch etwas mit Demokratie zu tun, dass wir mündige Bürger sein müssen, die frei entscheiden können. Dazu müssen wir auch erzählen, was hinter diesen Entscheidungen steht.
Die szenische Lesung am 17. Januar im Berliner Ensemble ist ausverkauft. Es gibt aber trotzdem Möglichkeiten, sie zu sehen. Wie?
Voges: Wir streamen die Vorstellung im Berliner Ensemble. Der Live-Stream wird auf den Websites des Berliner Ensembles, vom Volkstheater Wien und von nachtkritik.de gezeigt. Jeder hat von zu Hause aus die Möglichkeit, unmittelbar zuzusehen. Was mich besonders freut ist, dass sich einige Theater bereit erklärt haben, den Stream gemeinsam zu schauen. Bochum, Oberhausen und Hannover bieten wie wir am Wiener Volkstheater Public Viewings an, Zuschauerinnen und Zuschauer können den Stream gemeinsam verfolgen und hinterher darüber sprechen.