
Herr Lesch, mit Martin Walch, Leiter des Merlin Ensembles Wien, haben Sie das Programm "Die Vier Jahreszeiten im Klimawandel" entwickelt. Haben Musik, Klima und Umwelt etwas miteinander zu tun?
Harald Lesch: Wir müssen uns ja mit der Welt auseinandersetzen, und eine der schönsten Formen ist die Musik. Wenn ich Außerirdische treffen würde, würde ich sie nicht nach den Naturgesetzen fragen, sondern nach dem Besonderen an ihnen, also welche Musik sie machen oder welche Bilder sie malen. Musik ist eine ganz wichtige Form des Ausdrucks. Wir explizieren an Vivaldis Musikstück, wie die Jahreszeiten in der Erdgeschichte entstanden und wie sie sich heute unter dem Einfluss des Klimawandels verändern. Es ist eine moderne Interpretation einer Musik, die wahrscheinlich für immer da sein wird.
Die Zuschauer werden bei Ihnen auf eine musikalische und wissenschaftliche Zeitreise mitgenommen. Ist es unabdingbar, zu diesem Thema weit auszuholen?
Lesch: (lacht) Ich bin ein hinterhältiger Hochschulpädagoge und versuche immer, von hinten durch die Brust ins Auge zu kommen. Ich habe es schon mit Hiobsbotschaften probiert, aber gerade die Kombination von Musik und Wissenschaft kommt unheimlich gut an. Sie gibt einerseits die Möglichkeit, sich zu entspannen bei einer wunderschönen Musik, die alle kennen. Und auf der anderen Seite kann ich mich bei diesem Projekt wie Wasser zwischen die Lücken schieben. Es ist ein weiterer Versuch, das Thema Klimawandel einem Publikum nahezubringen, das eigentlich gar nicht so gerne damit zu tun hat. Ältere Herrschaften hören nicht gerne, dass das, was wir in den letzten 70 Jahren so gemacht haben, überhaupt nicht gut fürs Klima war.
Sind Sie in einer musischen Familie aufgewachsen? Waren Ihre Eltern aufgeschlossen gegenüber den schönen Künsten?
Lesch: (lacht) In der Kneipe meiner Eltern und Großeltern stand eine Musicbox! Ich bin mit Bert Kaempfert, Bill Ramsey und Roy Black aufgewachsen. Heute spiele ich Klavier, meine Frau Cuatro-Laute und mein Sohn Gitarre.
Haben Sie als Jugendlicher mit Rockmusik gegen Ihre Eltern rebelliert?
Lesch: Nein, ich habe mich als Jugendlicher eigentlich ziemlich wohlgefühlt. Natürlich war ich Fan von T. Rex, Supertramp oder Barclay James Harvest. Aber später wurde es ein bisschen intellektueller mit Bands wie Dire Straits. Irgendwann habe ich Jazz für mich entdeckt, und bei einem Konzert von Dave Brubeck war es um mich geschehen.
Musik erhöht angeblich den Intelligenzquotienten und hat bessere Schulleistungen zur Folge. Wie erklären Sie sich das?
Lesch: Kunst ist eine ganzheitliche Erfahrung und in jeder Hinsicht persönlichkeitsbildend. Es ist viel besser, Musik zu machen, als sich in der Schule besonders zu spezialisieren. Musik, Kunst und Sport sind extrem wichtige Fächer, die die Kreativität fördern. Das alles gehört zu unserer Intelligenz.
Als 16-Jähriger benötigten Sie Förderunterricht im Fach Mathematik, bis Sie bei einem Fahrradunfall einen Schädelbasisbruch erlitten. Seitdem gelten Sie als mathematisch hochbegabt.
Lesch: Das ist ein Mythos, es war nur ein Schädelbruch! Es lag wohl nur daran, dass ich vorher viel zu faul war. Mit physiologischen Veränderungen hatte es jedenfalls nichts zu tun. Die Wochen im Evangelischen Krankenhaus in Gießen haben dazu geführt, dass mir klar wurde: So geht es nicht weiter! (lacht) Wir waren der erste Jahrgang, der mit Grund- und Leistungskursen zu tun hatte, und bei mir lief es in Mathe nicht wirklich gut. Aber nach dem Unfall bin ich in den Leistungskurs gegangen, weil ich mir dachte: Harry, jetzt zeigst du mal, was du kannst!
Das entscheidende Maß für den Klimawandel sind die weltweiten Treibhausgase, insbesondere die CO2-Emissionen. Und die steigen bekanntlich immer weiter. Warum tritt die Politik dem Klimawandel bislang nicht wirksam entgegen?
Lesch: Als Wissenschaftler kann ich es nicht verstehen, zumal wir schon seit Jahrzehnten darauf hinweisen. Das findet man sogar schon bei Hoimar von Ditfurth Ende der 1970er Jahre. Wir Menschen haben es nicht geschafft, uns in unserem Energiehunger zu bändigen und früh genug darauf hinzuweisen, dass es viel vernünftiger ist, mit elektrischem Strom aus erneuerbaren Energien zu fahren und Industrieprozesse anzutreiben. Wir leben im Kapitalozän, dem Erdzeitalter, das durch das Geld geprägt ist. Wir haben alle unsere Lebensäußerungen durchökonomisiert. Viele meinen, die fossilen Ressourcen seien billiger. Aber gerade hat die Münchener Rückversicherung veröffentlicht, wie viele Milliarden uns der Klimawandel im letzten Jahr gekostet hat. Solange das aber nicht in die ökonomischen Zusammenhänge eingepreist wird, machen wir einfach weiter. Der große Soziologe Max Weber sagte: Es gibt Menschen, die leben für die Politik, und Menschen, die leben von der Politik. Professionelle Politiker haben immer die Angst, dass sie nicht wiedergewählt werden, weil sie ihren Lebensunterhalt mit Politik verdienen. Das wird in dem Moment problematisch, wenn die Wissenschaft Maßnahmen einfordert, aber die große Mehrheit der Wähler das nicht so sieht.
Warum ist das Thema Klimawandel Laien und Klimawandelskeptikern oft schwer zu vermitteln?
Lesch: Klima ist das über 30 Jahre hinweg ermittelte Wetter. Wir können mit Statistiken nur schlecht umgehen und müssten eigentlich auf diejenigen vertrauen, die sie uns erklären. Das Vertrauen in wissenschaftliche Rationalität hat aber abgenommen, weil sie unsere ökonomischen Wünsche und Hoffnungen konterkariert. Die Wissenschaft fordert immer, weniger Energie zu verbrauchen, und die Wirtschaft redet uns ein, immer mehr zu fliegen. Hochzeitsreisen gehen heute nicht mehr nach Italien, sondern nach Mauritius. Das Thema Klimawandel setzt Grenzen, und mit Grenzen hat unsere Wachstumsgesellschaft ganz große Schwierigkeiten. Man darf es auch psychologisch nicht unterschätzen, was es bedeutet, wenn man ein oder zwei Generationen die Arbeit ihres Lebens vor die Füße wirft und ihnen die Schuld am Zustand der Welt gibt.
Die Lösungen – technologisch gesehen – haben wir ja schon. Macht Ihnen das Hoffnung?
Lesch: Bauherren haben längst begriffen, dass Gas- und Ölheizungen Quatsch sind. Heute hat jeder Neubau Fotovoltaik auf dem Dach und eine Wärmepumpe. Das läuft ja alles, aber es sollte aus dem ideologischen Parteiengezänk rausgenommen werden. Das Thema ist nicht Rot, Grün oder Blau, sondern eigentlich nur Technik. Es sollte bitte wissenschaftlich behandelt werden. Die Energiewende hinzukriegen, ist eine Riesenchance für die Wirtschaft. Und das macht mir Hoffnung.
Haben die Politiker, die die entsprechenden Entscheidungen treffen, Sachkenntnis über den Klimawandel?
Lesch: Ich möchte hier meinen Kollegen Volker Quaschning zitieren: "Wenn jemand von Technologieoffenheit spricht, dann ist das technologische Ahnungslosigkeit." Dem schließe ich mich uneingeschränkt an. Es gibt sicherlich ein paar Politiker, die davon Ahnung haben, aber oft sind die nicht in der Position, dass sie Entscheidungen treffen können. Und diejenigen, die Entscheidungen treffen, sind oft von einer Ahnungslosigkeit geschlagen, dass es einen schauert.
Sie sind also nicht optimistisch hinsichtlich des Überlebens der Menschheit angesichts der von ihr angerichteten ökologischen und kriegerischen Verwüstungen?
Lesch: Ich tue, was ich kann, und versuche auch mit diesem Musikprojekt, Leute darüber zu informieren, in der Hoffnung, dass irgendwann die dringend notwendigen politischen Entscheidungen durchgeführt werden. Die technische Seite macht mir die größte Hoffnung, solange man nicht an Wunderwaffen glaubt. Wir müssen von den fossilen zu den erneuerbaren Ressourcen übergehen. Dadurch können wir ein Viertel unseres Primärenergieverbrauchs einsparen. Das wird natürlich Geld kosten. Deshalb müssen wir aus der Energiewende ein Apolloprogramm machen.