Mr. Rosenwinkel, Sie haben gerade Ihr neues Album veröffentlicht. Es ist nach „The Remedy“ von 2008 das zweite Livealbum, das im Village Vanguard aufgenommen wurde. Was macht diesen Ort so besonders?
Kurt Rosenwinkel: Es ist das Mekka des Jazz. Es ist ein geheimnisvoller Ort. Es gibt ihn seit 1935, soweit ich mich nicht irre, und alle Größen des Jazz haben dort schon gespielt. In dem Raum spürt man den Geist der letzten fast 100 Jahre. Es ist großartig, dort zu spielen, denn es ist einfach der beste Jazzclub der Welt – wegen seiner Geschichte, aber auch wegen seines Sounds und der Ausrichtung des Publikums. Es ist ein unglaublicher Ort, und wenn man dort spielt, kann man einfach abheben, denn es gibt keine Ablenkung. Das Publikum und die Band werden dort eins und gehen auf gemeinsame Reise.
Sie spielen mit Musikern aus allen Genres und haben selbst mit zahlreichen Bands die unterschiedlichste Musik veröffentlicht. Warum war jetzt wieder die Zeit für ein klassisches Jazzalbum?
Rosenwinkel: Ich gehe immer gerne zu den Wurzeln zurück, bevor ich mich wieder weit davon entferne. Das ist alles Teil meines inneren musikalischen Kosmos. Wenn ich zum Beispiel mit Caipi (Rosenwinkels Jazz-Rock-Projekt, Anm. d. Red.) spiele, ist das ein bestimmter Aspekt meiner musikalischen Heimat. Aber die Straight-Ahead-Nummern sind wie ein roter Faden in meiner Entwicklung. Daher komme ich darauf immer wieder gerne zurück. Es fühlte sich jetzt gerade richtig an, diese Musik zu spielen.
Sie spielen oft mit jungen Musikern zusammen und bieten ihnen auch eine Plattform auf Ihrem Plattenlabel „Heartcore“.
Rosenwinkel: Ich bin sehr dankbar für meine Situation, als erfahrener Musiker der nächsten Generation zu helfen, das ist ein großes Privileg. Ich steuere gerne meinen Teil dazu bei, junge Musiker nach oben zu bringen und mich im Rahmen meiner Möglichkeiten um ihre Musik zu kümmern. Es gibt so viele großartige Acts da draußen und ich finde es hochspannend, zu hören, was und wie sie spielen. In meiner Band, mit der ich diese Woche spiele, ist am Saxofon ein ganz junger Kerl, gerade mal 19 Jahre alt – er heißt Aidan McKeon – und er spielt so unglaublich (lacht). Und ich sehe, was es für ihn bedeutet, jetzt zum ersten Mal hier im Vanguard zu spielen. Es freut mich, dass ich diesen tollen jungen Musikern ein solches Erlebnis bieten kann. Denn das haben sie wirklich verdient.
Lassen Sie uns nun ein wenig in die Vergangenheit reisen. Wie kam es dazu, dass Sie die Gitarre als Instrument wählten – oder hat die Gitarre eher Sie gewählt?
Rosenwinkel: Mein erstes Instrument war das Klavier, aber ein Freund von mir hatte Gitarrenunterricht und eine Akustikgitarre zu Hause. Eines Tages drehte sich „Sgt. Peppers“ von den Beatles auf seinem Plattenteller und ich habe mir seine Gitarre geschnappt und einfach dazu gespielt. Ich habe die Töne gesucht und weitergespielt. Er war erst mal ein bisschen sauer, weil ich wohl schon ein paar Dinge spielen konnte, die er noch nicht konnte, obwohl er ja derjenige war, der Unterricht hatte (lacht). Ich ging dann zum gleichen Lehrer, der eigentlich alle Kids in der Nachbarschaft unterrichtete, und er zeigte mir Ziggy Stardust von David Bowie, Woody Guthrie und all die Folk- und Rocksongs. Da war es um mich geschehen. Ich bekam eine elektrische Gitarre und begann, meine eigenen Songs zu schreiben. Damals stand ich auf AC/DC, Ozzy Osbourne und Kiss und diesen ganzen Hardrock-Kram und hatte eine Band mit meinem Freund. Eigentlich hatte ich immer Bands, selbst als ich noch Klavier spielte. Ich hatte Bands, seit ich neun Jahre alt war. Mit 17 war ich wieder mehr am Klavier, denn in Bezug auf Jazz ist einfach alles in diesem Instrument. Es ist sehr komplex, Jazz auf die Gitarre zu übersetzen. Ich habe mir ein Jahr am Piano gegeben, aber mir wurde klar, dass ich an der Gitarre einfach besser bin. Dann ging es ans Berklee College of Music, dort habe ich mich richtig auf die Gitarre fokussiert.
Saxofonist Joshua Redman hat mal gesagt, dass Sie ein Mann mit vielen musikalischen Tugenden sind. Eine davon ist die Improvisation. Was macht die Freude am Improvisieren und am Livespiel für Sie aus?
Rosenwinkel: (Überlegt) Nun, es geht darum, in einem Raum innerhalb eines bestimmten Moments eine gewisse Chemie zu erzeugen, die auf einem fast spirituellen Level zu spüren ist. Das Stück, das wir spielen, ist dann das Vehikel für uns, Emotionen und Gefühle zu transportieren und mit der spirituellen und metaphysischen Realität des Universums zu interagieren, verstehen Sie? (lacht) Das Improvisieren geschieht mit allen Menschen, die gerade anwesend sind, das Publikum ist also auch ein Teil dessen, was gerade passiert. Die Seelen von Band und Publikum werden eins, deswegen klingt es dann auch Abend für Abend anders.
Am 12. Juli werden sich dann die Seele Ihres Quartetts mit den Seelen des Publikums am Rosenpavillon im Botanischen Garten vereinen.
Rosenwinkel: Yeah! Ich freue mich sehr darauf!