Ulrich von Hutten: Franke, Ritter, Humanist, Dichter, Streiter mit dem Wort und der Waffe. Den größten Triumph seines Lebens genoss er in Augsburg. In wenigen Jahren stürzte er so tief, wie kaum ein Mensch stürzen kann. Sein kurzes Leben und sein Werk beweisen, dass es möglich ist, national zu empfinden und dennoch nicht „rechts“ zu stehen.
1488: Deutschland ist im Umbruch. Die großen Fürsten werden mächtiger, das Volk leidet. Der Kaiser ist zwar oberster Repräsentant des Deutschen Reichs, das weite Teile Italiens umfasst. Aber ohne die Fürsten kann er kaum noch etwas bewirken. Auch die Bürger in den Städten erstarken. Die großen Verlierer sind, neben den Bauern und den Tagelöhnern, die freien Reichsritter.
Ulrich von Hutten scheint schwächlich, aber klug
Dabei hatten Ritter im Mittelalter das Reich stark gemacht. Als Wehrstand hatten sie Kriegsknechte unter Waffen zu halten und Heerfolge zu leisten, wenn der Kaiser rief. Dieser belehnte sie dafür mit Gütern und Leibeigenen. Sie hatten die Gewalt im Reich. Ihren Kopf brauchten sie dazu nicht. Nun halten die Fürsten und der Kaiser sich Privatheere und benötigen keine Gewaltmenschen, sondern Offiziere und Beamte. Sie finden sie vor allem im gebildeten Bürgertum.
Ulrich scheint schwächlich, aber klug. Sein Vater schickt ihn ins Kloster. Etwas lernen und eine Pfründe ergattern soll er. Ulrich tickt anders. An der Erfurter Uni schließt er sich den Humanisten an. Wird wie sie Philologe und Dichter, lernt in alten Schriften graben. Rückbesinnung auf das alte Griechenland und Rom ist in Mode.
Martin Luther ist der größte Empörer
Huttens Vision: Die Ritter machen den Kaiser stark – gegen die Kirche, gegen das Ausland und gegen die Fürsten. Sie sorgen dafür, dass diese die einfachen Leute nicht mehr ausbeuten. Dieses Ziel verfolgt er, immer in Bewegung – physisch und geistig –, empfindsam und angriffslustig, in seinen Dichtungen. Diese werden zu Kampfschriften. Seine Echokammer: die befreundeten Humanisten, die an sich wenig an Politik interessiert sind. Sein Sprachrohr: der aufblühende Verlags- und Buchhandel. Das geschriebene Wort ist aus den Klöstern bei den Menschen angekommen. Eine Öffentlichkeit ist entstanden. Ideen und Interessen kommen in neuen Wettstreit.
Kaiser Maximilian I. wird auf Ulrich von Hutten aufmerksam
Mit dieser Öffentlichkeit gerät auch die Macht der Kirche höchst bedrohlich für diese infrage durch Gelehrte wie Luther, Zwingli oder Calvin. Und auf deren Seite stellen sich immer größere Teile des niederen Klerus, der Bürger und sogar des Adels. Maximilian, stets auf der Suche nach Lobrednern, wird auf den ritterlichen Dichter aufmerksam. 1517 krönt er ihn mit dem Lorbeer des Poeta laureatus – in Augsburg, der wichtigsten Stadt im Reich neben Frankfurt und Nürnberg. Constantia, Tochter des Humanistenpaars Peutinger, hat den Kranz geflochten. Huttens politische Ideen jedoch verfangen beim Kaiser nicht recht. Der leiht sich lieber Geld bei den Fuggern und verpfändet ihnen sein Eigentum, um Landsknechte zu dingen.
Maximilian stirbt 1519 früh. Sein Nachfolger Karl V. denkt global. Er spricht nicht einmal Deutsch, sondern seine spanische Muttersprache. Die überseeischen Kolonien werden immer wichtiger. Karl muss seine Macht sichern in seinem ganzen Reich, „in dem die Sonne nicht untergeht“, wie er selbst sagt. Dazu braucht er Rom. Den deutschen Ritter und Dichter Hutten braucht er nicht. Also lässt er ihn links liegen, stellt er sich gegen die Reformation und gegen die evangelischen Fürsten – anders als sein französischer Kollege Franz. Der unterstützt die deutschen Protestanten, um Kaiser Karl zu schwächen, während er zu Hause die Reformation unterdrückt.
Nach Luther verfällt Hutten der Reichsacht
Auf einem Reichstag 1521 in Worms versucht Karl den Volkshelden Luther zum Widerruf seiner Thesen zu zwingen und widrigenfalls gewaltsam auszuschalten. Sein Plan misslingt, da Sachsenfürst Friedrich, Luthers Brotherr, den Reformator entführt und versteckt. Nach Luther verfällt Hutten – der übrigens dem katholischen Glauben nie abschwört – der Reichsacht. Jeder darf ihn nun jagen und töten.
In seiner ausweglosen Lage greift Ritter Ulrich zu einem alten, verbotenen Mittel: zur Fehde. Er schließt sich dem pfälzischen Ritter Sickingen an. Dieser greift mit Tausenden Kriegern 1522 den Kurfürsten von Trier an. Er scheitert, denn andere deutsche Fürsten kommen dem Kurfürsten zu Hilfe. Sickingen fällt im Kampf. Hutten ist schutzlos. Und unheilbar krank – er schleppt eine Syphilis mit sich.
Er flieht in die Schweiz. Die Reformation ist dort stark. Zwingli in Zürich versteckt ihn auf einer unbewohnten Insel im Zürichsee, so wie der Sachsenherzog Luther auf der Wartburg versteckt hatte. Dort stirbt Hutten am 29. August 1523 „elend“ – das alte Wort für einsam und heimatlos. Bis zuletzt schreibt er gegen die Mächtigen an und glaubt unerschütterlich an den unvermeidlichen Sieg seiner Sache. Er hinterlässt nichts als seine Schriften. Bei dem Römer Tacitus hat er die Geschichte von Arminius dem Cherusker wiedergefunden, der Germanien einte und Rom vertrieb – den deutschen Gründungsmythos. Hutten gerät in Vergessenheit, nicht aber seine Arminius-Erzählung. 250 Jahre später erinnert sich das romantische Deutschland wieder an Hutten. Patrioten und Nationalisten, Liberale und Sozialisten berufen sich auf ihn. Dem Dichter Hutten ein dichterisches Denkmal zu errichten, bleibt dem Schweizer Conrad Ferdinand Meyer vorbehalten.