
Pünktlich zur Eröffnung der 80. Filmfestspiele in Venedig zeigt sich die Sonne wieder über der Lagunenstadt. Ansonsten läuft in diesem Jubiläumsjahr aber nicht alles wie geplant. Der Streik der Drehbuchautoren und Schauspieler in Hollywood wirft seine Schatten darauf. Die internationalen Stars machen sich rar. Der ursprünglich geplante Eröffnungsfilm, das Tennisdrama „Challengers“ von Luca Guadagnino, wurde wenige Wochen vor Festivalstart zurückgezogen, als klar war, dass die Hauptdarstellerin Zendaya wegen des Streiks nicht nach Venedig kommen würde. Stattdessen läuft am Eröffnungsabend die italienische Produktion „Comandante“ von Edoardo De Angelis.
In dem Film nimmt der faschistische U-Boot-Kommandant Salvatore Todaro – der Film basiert auf einer realen Begebenheit – im Oktober 1940 die Besatzung eines belgischen Handelsschiffes an Bord auf, nachdem er ihr Schiff versenkt hat, und bringt sie an Land. Das Drama auf See, das sich optisch irgendwo zwischen Christopher Nolans „Dunkirk“ und Wolfgang Petersens „Das Boot“ verortet, ist ein testosterongeschwängertes patriotisches Heldenepos über italienische Menschlichkeit. Die Frage des belgischen Kapitäns, weshalb er, Salvatore, ihn und seine Männer gerettet habe, beantwortet der U-Boot-Kommandant mit: „Perché siamo italiani – weil wir Italiener sind!“
In Hollywood werden Italiener nicht mit italienischen Schauspielern besetzt
Die Einzige, bei der das nicht stört, ist der Star des Films, die spanische Schauspielerin Penélope Cruz, die als gramgebeugte Furie Laura Ferrari sogar den Autos die Schau stiehlt. Denn natürlich geht es vor allem um Autos. Ein Sieg beim legendären „Mille Miglia“ (Tausend Meilen)-Autorennen auf öffentlichen Straßen im Norden Italiens soll die Firma aus der Krise retten. Penélope Cruz sagte ihre Teilnahme an den Filmfestspielen kurzfristig ab, Adam Driver, Michael Mann, Patrick Dempsey und natürlich ein Ferrari sorgten auf dem roten Teppich am Donnerstag für Gekreische und Glamour.
Bei den Filmfestspielen in Venedig läuft ein Beitrag über den Diktator Augusto Pinochet
Auch der chilenische Wettbewerbsbeitrag „El Conde“ (Der Graf) widmet sich einem Mann in der Krise. Pablo Larraín verdammt den faschistischen Diktator Augusto Pinochet zum ewigen Leben als Vampir, der am liebsten sterben würde. Zu Beginn des Films erklingt in der heruntergekommenen Behausung des ergrauten Generals der Radetzkymarsch von Johann Strauss, in pinkfarbener Frakturschrift flimmert die Titelsequenz über die Leinwand. So vielversprechend diese blutrünstige Netflix-Farce in Schwarz-Weiß beginnt, so langatmig und wirr gerät sie mit der Zeit. Exorzismus, Katholizismus, Familienrat, Verrat, Vergangenheitsbewältigung, kombiniert mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, steigern sich zu einer merkwürdigen Groteske, an der Christoph Schlingensief wahrscheinlich seine Freude gehabt hätte.
Nach so viel maskuliner Vergangenheitsbewältigung ist das außer Konkurrenz laufende, hervorragend besetzte Kammerspiel „L’ordine del tempo“ (Die Ordnung der Zeit) der 90-jährigen italienischen Regisseurin Liliana Cavani, die am Eröffnungsabend mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk geehrt wurde, eine Wohltat. Inspiriert vom gleichnamigen Bestseller des Physikers Carlo Rovelli widmet sich Cavani der Zeit, die aus den Fugen gerät, als ein Asteroid Kurs auf die Erde nimmt und das Beziehungsgeflecht einer Geburtstagsgesellschaft durcheinanderwirbelt und neu ordnet.
23 Filme konkurrieren in diesem Jahr um den Goldenen Löwen. Mit Spannung werden die kommenden Premieren erwartet, „Maestro“ über Leonard Bernstein von Bradley Cooper, „Priscilla“ von Sofia Coppola über Priscilla Presley und natürlich der deutsche Beitrag „Die Theorie von Allem“ von Timm Kröger.