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München
Münchner Kammerspiele blicken auf Frauen im Krieg
Welche Rolle spielen Frauen im und gegen den Krieg? Damit setzt sich das „Female Peace Palace Festival“ der Münchner Kammerspiele auseinander. Und liefert Antworten über das Theater hinaus.
Laura Mielke
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:22 Uhr

Vergessene oder nicht beachtete Geschichten von Frauen und ihre Rolle in Kriegen: Das ist der Fokus, den Dramaturgin Olivia Ebert im FemalePeace Palace, einem Festival der KammerspieleMünchen, setzt. Sechs Figuren in fantasievollen Kostümen steigen aus dem Rauch auf, der in der Mitte der Bühne durch ein großes Loch austritt. Sie tragen bunte hautenge Anzüge, auf denen Brüste und Vulven nachgezeichnet sind. Auf ihren Köpfen bunte Perücken. Die sechs Personen verkörpern die führenden Figuren des Frauenfriedenskongresses in Den Haag 1915 in "Anti War Women".

Das FemalePeace Palace möchte "vergessenes feministisches Erbe" und bislang nicht erzählte Geschichten auf die Bühne holen. So auch die der Münchnerinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, die den Frauenfriedenskongress organisierten, nachdem zu den ersten beiden internationalen Haager Friedenskonferenzen nur Männer zugelassen wurden. 1500 Frauen aus 16 Ländern forderten während des Ersten Weltkrieges eine Form feministischer Außenpolitik und Gewaltfreiheit. In einer Zeit, in der sie noch kein Wahlrecht hatten. "In unseren Geschichtsbüchern ist von diesem Kongress aber keine Rede", sagt Dramaturgin Olivia Ebert. Anderthalb Jahre planten die Kammerspiele gemeinsam mit dem Literaturarchiv Monacensia das Programm. 

"Anti War Women" befasst sich mit Frauenrechtlerinnen im Ersten Weltkrieg

Für "Anti War Women" arbeiteten sich Regisseurin Jessica Glause und ihr Team in die Protokolle und Schriften des Frauenfriedenskongresses ein. Glauses Schwerpunkt sind recherchebasierte Stücke in Verbindung mit zeitgenössischer Dramatik. "Es gibt aber nicht die eine Erzählung und da war es auch interessant zu schauen, was geht uns das heute noch an? Dabei konnten wir viele Parallelen entdecken. Beispielsweise, dass die Frauen bereits am ersten Kongresstag Vergewaltigungen als Kriegswaffe verurteilten, die UN das aber erst 2008 als Verbrechen einordnete", sagt Ebert. Dazu hielt Lida Gustava Heymann eine flammende Rede, die Schauspielerin Maren Solty im Stück leidenschaftlich wiedergibt. 

Vergewaltigungen von Frauen werden auch im Krieg gegen die Ukraine systematisch genutzt, wie in "Green Corridors" an der Geschichte einer 25-jährigen Frau aus Butscha erzählt wird. Sie spricht über ihre Erfahrung, so echt und schmerzhaft, dass es kaum auszuhalten ist und man sich als Zuschauerin fragt, ob es die der Schauspielerin Tanya Kargaevas ist. Den Angriffskrieg und die Situation der Frauen erzählt Autorin Natalia Vorozhbyt in "Green Corridors" anhand von vier Geflüchteten, die in einem grünen Korridor auf ihre Ausreise warten. Als grüne Korridore werden zivile Fluchtwege in umkämpften Gebieten bezeichnet. Vorozhbyt schrieb das Stück inspiriert von eigenen Erlebnissen auf der Flucht. Inszeniert wurde es in München von Jan-Christoph Gockel.

Die Kammerspiele zeigen mit Female Peace Palace wie modernes Theater funktioniert

Ein weiteres Thema der Stücke ist die schwierige Situation der Frauen, in einem überfallenen Land Pazifistin zu sein und sich gegen Krieg, Gewalt und Waffenlieferungen auszusprechen. Das erleben Ukrainerinnen heute, wie die Teilnehmerinnen des Friedenskongresses 1915. "Sie waren in einer ausweglosen Situation und haben trotzdem nach Solidarität und Verbindung gesucht, um die Gesellschaft zu einer Besseren zu verändern. Das ist sehr inspirierend", sagt Ebert. 

Bei aller Schwere in den behandelten Themen, versuchen beide Stücke mit ihrem jeweils eigenen Humor die Stimmung der Besucherinnen und Besucher aufzulockern. Bewegende, wütende, traurige Momente wechseln sich mit leichten und lustigen ab. So verlässt man die gut besuchten Vorstellungen zwar beeindruckt und nachdenklich, aber keinesfalls bedrückt. 

Mit "Anti War Women", "Green Corridors" und den weiteren Veranstaltungen zeigen die Kammerspiele ein Beispiel für gelungenes modernes Theater. "Anti War Women" fühlt sich nicht an, wie ein Stück, das 1915 spielt. Die Schauspielenden tanzen zu "Her" von Megan Thee Stallion, erinnern zu Teilen an Drag und musizieren in den Zwischenstücken, die mal ruhig, mal punkig, mal poppig sind, selbst. Sie greifen in den Liedern auch aktuelle Themen auf, wie etwa die Debatten um die Äußerungen von Alice Schwarzer, Juli Zeh und Sahra Wagenknecht zum Krieg gegen die Ukraine.

Die Münchner Kammerspiele standen zuletzt in der Kritik

In "Green Corridors" zeichnet Illustratorin Sofiia Melnyk während des Stücks per Tablet und Projektor auf die massive Wand, vor der die Protagonistinnen spielen. Melnyk nutzt die Projektion für kleine Texte und Informationen auf Deutsch und Ukrainisch oder um das Bühnenbild zu ergänzen. So schwirren zu Beginn tausende helle Figuren wie bei einem Wimmelbild über die dunkle Betonwand, während die Schauspielerinnen vor ihr stehen und Schauspielerin Maryna Klimova ein ukrainisches Lied singt, das für Gänsehaut sorgt. Das Stück wird simultan in Deutsch und Ukrainisch per Untertitel übersetzt.

Das Festival geht zudem über das Theatrale hinaus und veranstaltet zur Einordnung der Stücke noch eine Versammlung, bei der unter anderem die deutsche Journalistin und Aktivistin Düzen Tekkal teilnimmt, die über die Situation der Frauen in Iran spricht. "Die künstlerischen Darstellungen dienen dazu, emotional anzusprechen, mal Raum für Sprachlosigkeit, Überforderung oder auch Bestärkung zu geben. Das Symposium oder die Versammlung, wie wir sie nennen, ermöglicht, in die aktuellen Geschehnisse einzutauchen und sie zu diskutieren", sagt Dramaturgin Ebert. Einige Angebote der Kammerspiele außerhalb von Aufführungen sind kostenfrei. "Wir möchten alle zum gemeinsamen Austausch einladen, die diese Themen umtreiben", so Ebert. 

Die Kammerspiele versuchen laut Ebert verschiedene Themen anzubieten, die mit verschiedenen Ästhetiken dargestellt werden. "Dazu gehören Fragen, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen. So zum Beispiel, wie wir in Zukunft ohne Diskriminierung zusammenleben können. Damit beschäftigen wir uns als Stadttheater." 

 
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