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NS-Kunstraub
Bayern bremst bei Kunstrückgabe aus der Sammlung Flechtheim
Mehrere Werke aus dem Besitz des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim befinden sich heute in Bayerischen Museen. Erben kämpfen seit über zehn Jahren um die Rückgabe.
63768482.jpg       -  Michael Hulton, Großneffe vom Kunsthändler Alfred Flechtheim (im Hintergrund), bemüht sich seit über einem Jahrzehnt um Restitution der Werke seines Verwandten.
Foto: Roland Weihrauch, dpa (Archivbild) | Michael Hulton, Großneffe vom Kunsthändler Alfred Flechtheim (im Hintergrund), bemüht sich seit über einem Jahrzehnt um Restitution der Werke seines Verwandten.
Stefan Dosch
 |  aktualisiert: 09.05.2024 02:48 Uhr

Alfred Flechtheim, Sammler, Galerist, Verleger, zählt zu den herausragenden Persönlichkeiten der Kunstszene in der Zeit der Weimarer Republik. Über seine Galerien in Düsseldorf und Berlin trug er maßgeblich mit dazu bei, die Kunst der Moderne durchzusetzen. Der sich für Künstler wie Picasso und Braque, Klee und Kandinsky, Grosz und Beckmann ins Zeug werfende Flechtheim, 1878 in Münster als Sohn einer jüdischen Familie geboren, war den Nationalsozialisten seit jeher ein Dorn im Auge, fortgesetzt hetzten sie gegen ihn, sahen in ihm einen Akteur der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“. Auf Plakaten, mit denen die Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“ beworben wurde, war sein Konterfei in diffamierender Weise abgebildet. 

Da war Flechtheim schon tot, verarmt im Londoner Exil gestorben im März 1937. Nach seiner Flucht 1933 hatte sein Düsseldorfer Galerie-Prokurist, ein strammer NS-Gefolgsmann, Flechtheims Geschäft übernommen und sich darangemacht, die zurückgelassenen Kunstwerke zu veräußern, ohne den Erlös dem Geflüchteten oder dessen in Deutschland verbliebener Ehefrau zukommen zu lassen. Flechtheims Kunstbesitz, ob seiner Galerie oder seiner Privatsammlung zugehörig, wurde in alle Winde zerstreut. Vieles, was einst ihm gehörte, findet sich heute in großen internationalen Museen, auch in deutschen öffentlichen Sammlungen.

In New York und Köln wurde Kunst aus Flechtheims Sammlung restituiert

Seit der Washingtoner Konferenz 1998 über die freiwillige Rückführung von NS-Raubkunst, deren Prinzipien sich die Bundesrepublik Deutschland anschloss, hat sich das Bewusstsein für die Problematik verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, vor allem solcher aus jüdischem Besitz, erheblich erweitert, gerade im Falle der Kunst in öffentlichen Museen. Rechtmäßige Besitzer werden ermittelt, Restitutionen finden statt, man bemüht sich um „faire und gerechte“ Lösungen. Damit kommt auch der während der NS-Herrschaft entzogene Kunstbesitz von Alfred Flechtheim ins Spiel. Inzwischen hat unter anderem das New Yorker Guggenheim Museum ein Werk an die Erben restituiert, denselben Schritt tat das Wallraf-Richartz-Museum in Köln im Falle eines Kokoschka-Gemäldes.

Auch die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zählen Werke, die einst Flechtheim gehörten, zu ihrem Bestand. Darunter drei Objekte, um deren Rückgabe sich die Anwälte der Flechtheim-Erben seit dem Jahr 2008 bemühen. Es handelt sich um eine Bronzebüste von Pablo Picasso („Fernande“/„Beatrice 1906“) sowie um zwei Gemälde von Paul Klee, „Grenzen des Verstandes“ und „Sängerin der komischen Oper“. Der Marburger Rechtsanwalt Markus H. Stötzel, der die Flechtheim-Erben vertritt, hat sich erstmals 2008 an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen respektive den Freistaat Bayern mit einem Restitutionsersuchen gewandt. Mitte 2022 hat Stötzel den Münchnern erneut ein solches Ersuchen vorgelegt. Eine akribische Recherche, die den Weg der Werke detailreich verfolgt und in allen drei Fällen zu dem Schluss kommt: Was der Freistaat da als seinen Besitz ausgibt, fußt auf rassisch bedingter Verfolgung und ist nach den Washingtoner Prinzipien zu restituieren.

Die Staatsgemäldesammlungen erwarben die "Fernande" 1964

Picassos „Fernande“ war Teil von Flechtheims Privatsammlung, ein Foto zeigt den bronzenen Frauenkopf auf dem Kamin in der Wohnung des Kunsthändlers. Auch die Tatsache, dass sich die Büste bei Flechtheims Flucht aus Deutschland im Kölner Wallraf-Richartz-Museum befand, bedeutet laut Stötzels Recherchen keineswegs, dass die „Fernande“ dorthin verkauft worden war, sie war nur zur Leihe gegeben. „… Ich habe nicht einen Pfennig dafür bekommen“, schrieb Flechtheim Ende Januar 1933. Stötzels Argumentation folgend, bot Flechtheims Prokurist, der die Galerie übernahm, die Picasso-Bronze noch 1937 zum Kauf an. Danach verliert sich die Spur, bis 1964 die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen die „Fernande“ aus Zürcher Privatbesitz erwarben. Wer die Bronze in dem Vierteljahrhundert dazwischen besaß, ist unerheblich für die Frage des NS-verfolgungsbedingten Entzugs. Und der „ist evident“, sagt der Anwalt der Erben.

Verfolgungsbedingten Vermögensverlust sieht Stötzel auch bei den beiden Bildern von Paul Klee. Hier weist das Restitutionsersuchen durch Quellenbelege nach, dass die Gemälde, die 1971 durch Schenkung von Theodor und Woty Werner in den Besitz der Staatsgemäldesammlungen gelangten, von dem Ehepaar nicht erst, wie lange behauptet, 1958 erworben, sondern von Theodor Werner bereits 1942 gekauft worden waren. Und zwar von dem Berliner Galeristen Ferdinand Möller, einem Kunsthändler, der von den Nazis beauftragt war mit dem Verkauf der in deutschen Museen als „entartet“ beschlagnahmten Kunst und der auch sonst von NS-Behörden bei der Konfiszierung jüdischen Besitzes häufig zurate gezogen wurde. Der Zeitpunkt, an dem der Verkauf der beiden Klees an Theodor Werner erfolgte, der 2. April 1942, steht dabei in auffallender Übereinstimmung mit der Tatsache, dass am selben Tag Flechtheims Nichte Rosi und deren Mutter die Weisung erhielten, ihre Berliner Wohnung zu räumen und in ein „Judenhaus“ zu ziehen. Rosi Hulisch, die lange Jahre in Flechtheims Galerie mitgearbeitet und der Flechtheim vor seiner Flucht Kunstwerke zur Aufbewahrung übergeben hatte, beging im November 1942 gemeinsam mit ihrer Mutter Selbstmord, nachdem sie Kenntnis von ihrer Deportation ins KZ Kenntnis erhalten hatte – wie schon Flechtheims Ehefrau ein Jahr zuvor aus demselben Grund Selbstmord beging. 

Der Bericht der Staatsgemäldesammlungen liegt dem Minister vor

Die penible Darlegung der Provenienz sowohl der Bronze wie der beiden Gemälde ging im Juli 2022 an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Die setzten ihre hauseigene Provenienzforschung auf die Objekte an; der Bericht dazu liegt, wie unsere Redaktion erfuhr, seit Spätsommer 2023 intern vor. Dass wesentliche Zweifel am Flechtheim-Restitutionsersuchen formuliert sind, ist nach der dort ausgeführten akribischen Faktendarlegung nicht zu vermuten. Auf Anfrage teilen die Staatsgemäldesammlungen mit, dass der Bericht der Provenienzforschung auch dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst vorliege und dort geprüft werde. Erkundigt man sich daraufhin im Haus von Kunstminister Markus Blume (CSU), weshalb der Vorgang denn so lange Zeit in Anspruch nehme, erhält man nur die dürren Sprecher-Worte, dass „das umfassende und komplexe Restitutionsersuchen geprüft“ werde. 

Wie, fragt man sich, kann das sein, dass die erwiesen kundige Provenienzabteilung der Staatsgemäldesammlungen erst ein Jahr lang prüft und der Abschlussbericht dann auch noch vom Kunstministerium seit mindestens einem halben Jahr lang nochmals einer Prüfung unterzogen wird, mit bis dato offenem Ende? Angesichts des Alters der Flechtheim-Erben, dem in den USA lebenden Michael Hulton und der in Großbritannien ansässigen Penny Hulton, scheint das Prinzip des moralisch Gebotenen, wie es die Washingtoner Erklärung vorsieht, für Bayern jedenfalls kaum mehr als ein Lippenbekenntnis zu sein. Um eine Stellungnahme gebeten, erklärt Michael Hulton: "Wir, die Erben meines Onkels Alfred, sind mittlerweile 78 und 96 Jahre alt und warten seit 15 Jahren darauf, dass Bayern uns Gerechtigkeit widerfahren lässt. Diese Angelegenheit dauert schon viel zu lange, sie lassen uns warten und warten, und unsere Erfahrung mit Bayern, im Gegensatz zu anderen Ländern, ist nicht gut. Wir haben wenig Hoffnung und sind bitter enttäuscht."

 
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