Der Dschungel liegt sattgrün in der Nachmittagssonne. Ein laues Lüftchen geht, einzelne Blätter gleiten sanft wirbelnd herab. Es ist unheimlich still hier. Man würde fast erwarten, dass sich gleich Indiana Jones mit einer Machete aus dem Dickicht auf die Lichtung hackt. Doch einen Pfad bahnen kann man hier nur mit der Maus. Denn der gesamte Dschungel ist eine einzige Videoinstallation. So werden heute Filme gedreht. Geht das Filmteam nicht in den Dschungel, muss der Dschungel eben zum Filmteam. Nicht nur die Kameratechnik ist digital geworden, sondern auch die gefilmte Umgebung.
Vom Greenscreen zur Hyperbowl: Zu Gast in den Penzing Studios
Die Penzing Studios haben hier vor rund zwei Jahren ihr Zuhause im ehemaligen Fliegerhorst gefunden. "Die Hyperbowl ist der Nachfolger des Green Screens. Mit der Hyperbowl ermöglichen wir hier die sogenannte Virtual Production, also die virtuelle Produktion von Film- und Fernsehszenen", erklärt Joe Neurauter, Filmproduzent und Mitgründer der Penzing Studios.
Bisher galt die Green Screen als führende Technologie beim Filmemachen, wenn es darum geht, nicht realisierbare Hintergründe ins Bild zu bringen, von fernen Planeten über historische Stätten bis zu speienden Vulkanen: Die Schauspieler spielen vor einem einfarbigen, meist neongrünen Hintergrund, in der Nachbearbeitung wird diese Farbe vom Computer erkannt und durch das gewünschte, separat angefertigte Bildmaterial ersetzt. Alles, was nicht neongrün ist, bleibt als Vordergrund im Bild. Doch die Technologie hat auch Nachteile: So können die Schauspieler zum Beispiel nicht mit etwas interagieren, da sie beim Dreh ja nur eine grüne Wand sehen. "Man hat den Film im Grunde zwei Mal gedreht", erklärt Joe Neurauter, "einmal in echt und dann nochmal in der Postproduktion, der Nachbearbeitung."
Heute kommen vorproduzierte Hintergründe und Live Action direkt in der Hyperbowl zusammen. Doch auf dem gigantischen Bildschirm, der die über 100 Quadratmeter große Bühnenfläche zu drei Vierteln umschließt und der obendrein noch als Deckel auf dem Ganzen den Himmel ersetzt, läuft kein Film. Kamera, Schauspieler und Team befinden sich stattdessen inmitten eines fotorealistischen Computerspiels. Zumindest kommt die Grafik aus einer Game Engine, einem Computerprogramm, das ursprünglich dazu gebaut wurde, die Umgebung für Ego-Shooter und andere Spiele zu erschaffen. Dort läuft man als Spieler durch eine 3D-Welt, die sich bei jedem Schritt perspektivisch korrekt anpasst, so dass man meint, wirklich durch eine fremde Stadt oder eben diesen Dschungel zu laufen.
Digitale Kulissen: Jeder Baum, jedes Blatt ist eine in Echtzeit erzeugte Grafik
Das bedeutet für diesen Dschungel: Jeder Baum, jedes Blatt, jeder Fels und auch das Wasser im Bach ist eine in Echtzeit erzeugte Grafik, die sich je nach Standpunkt der Kamera im Studio ändert, zigmal pro Sekunde. "Ich kann in Echtzeit den Stein dort vor dem Baum wegnehmen und woanders hinlegen", erklärt Joe Neurauter, "eine komplette 3D-erfasste Welt, komplett dynamisch. Mit Wetterbedingungen, die ich verändern kann". Für die Schauspieler muss nur noch der Boden, auf dem sie stehen, angefertigt werden, und ebenso alle Objekte, mit denen sie interagieren sollen.
Tatsächlich braucht der Techniker, Lauritz Raisch, nur ein paar Klicks an einem Computer, um die Sonne über den Himmel wandern zu lassen oder um die Bühne an eine andere Stelle in, über oder unter der Landschaft zu versetzen. Nachts kommen die Sterne raus; Wolken, Schnee, Regen und alles kann man zuschalten. Im Wind wiegen sich dann die interaktiven Bäume. Alles ist möglich. „Die hierfür notwendige Rechenleistung gibt es noch nicht lange. Noch vor wenigen Jahren wäre dieses Studio undenkbar gewesen“, fügt Neurauter hinzu. Beim Drehen wird die Position der Kamera im Raum geortet, damit der Computer die Umgebung für deren Perspektive exakt anpassen kann. Den Knick zwischen Wand und Decke zum Beispiel sieht die Kamera dann nicht mehr. Ein Rahmen signalisiert dem Team, welcher Bereich gerade im Bild ist.
Vom Filmscanner zur Hyperbowl: So hat sich die Filmbranche digitalisiert
Gefilmt wird heute kaum noch mit 35mm-Filmkameras wie 1993 zum Beispiel „Cliffhanger“ mit Sylvester Stallone. Der Actionreißer wurde damals teilweise in den Dolomiten gedreht, mit Kameras von ARRI. Die Münchner Firma ist einer der renommiertesten Hersteller von Technik fürs Filmemachen: Kameras, Objektive, Leuchten, Stabilisierung oder auch der Bau ganzer Studios, seit über hundert Jahren in der Branche aktiv. „Wir entwickeln und liefern die Werkzeuge, mit denen Filmschaffende ihre Visionen umsetzen“ erklärt Henning Rädlein, Vice President des Produktmarketings von Kamerasystemen. Er führt in der Firmenzentrale von ARRI an einer langen Reihe historischer und moderner Kameras sowie anderer Entwicklungen entlang, um zu erläutern, wie der Sprung ins Digitale überhaupt erst gelingen konnte.
Der Weg war lang, zunächst digitalisierte man analoges Filmmaterial mit einem Filmscanner. Dieses "digital Intermediate" wurde dann im Computer bearbeitet und schließlich mit einem Laser wieder auf Filmmaterial ausbelichtet. Neben dem technischen Wissen entstanden auch Erkenntnisse, wie digitale Bilder gestaltet werden sollten, um natürlich zu wirken: Nötig waren zumindest eine realistische Farbwiedergabe, ein großer Kontrastumfang und ein organisch wirkender Bildeindruck mit all den "Looks", die wir Menschen von Fotos und Filmen, die durch Objektive aufgenommen wurden, gewohnt sind.
Die Firma ARRI aus München hat schon 19 Technik-Oscars gewonnen
Bei ARRI entwickelte man die erste digitale Cine-Kamera aus einem Filmscanner heraus. Heute ist man bei der Münchner Firma, die mehrere Standorte in Bayern und weitere auf der ganzen Welt unterhält, stolz auf die Eigenentwicklung. "Alle ARRI-Kameras werden in der Münchner Firmenzentrale entwickelt und gefertigt", erklärt Henning Rädlein und deutet auf mehrere Stockwerke, in denen sich Forschung und Entwicklung sowie Kameramontage befinden: "Made in Munich sozusagen!" Insgesamt 19 Technik-Oscars und weitere Auszeichnungen erhielten die Münchner bereits für ihre bahnbrechenden Tüfteleien. Bei den diesjährigen Oscars wurden unter anderem sechs von zehn Nominierungen in der Kategorie "Bester Spielfilm" mit Münchner Kameras gedreht. Preislich rangieren sie im oberen fünfstelligen Bereich – ohne Objektiv. Also eher nichts für den ambitionierten Hobbyfilmer.
Auch im Kino wird übrigens schon lange digital projiziert. Hier läuft schon lange kein Filmstreifen mehr durch den Projektor. Kratzer, Knatterton und ausgeleierte Kopien sind schon lange Vergangenheit.
Schauspieler wehren sich dagegen, als Datei gekauft und genutzt zu werden
Und nun also die Hyperbowl. Ein Ort, wo all diese Technik zusammenkommt, wo das Team zusammenkommt und wo man die volle Kontrolle über alles vor und hinter der Kamera hat. Mit Hilfe von sogenanntem 3D-Capturing kann man sogar Bewegungen von professionellen Performern wie Tänze oder Kämpfe einfangen. Im Computer liegt dann eine Art sich bewegendes Gestell vor, auf das dann digital beliebige Körper, Kleidung und die Köpfe der gewünschten Stars gesetzt werden können. Und nicht nur das: „Passt dem Regisseur die Szene nicht, können nachträglich auch die Bewegungen verändert werden, so dass aus einem linken Haken eben ein rechter Haken wird. Die volumetrischen Daten der Bewegung kann man ja ebenso manipulieren. Selbst den Blickwinkel der Kamera können wir im Nachhinein anpassen, ohne dass neu gedreht werden muss“, erklärt Joe Neurauter. Die Schauspieler sind indes nicht untätig, sie werden ebenfalls bei diesem Tanz oder Kampf gefilmt, damit man ihre Gesichter in Aktion verwenden kann.
Durch die digitale Filmtechnik, die alles Eingefangene veränderbar gemacht hat, erhält der Filmemacher also die volle Kontrolle über das Werk. So wird auch Sylvester Stallone bald die Fortsetzung von „Cliffhanger“ zum Teil hier in Penzing drehen, diesmal eben digital und an einer Felskulisse hängend. Auch Nicole Kidman wird demnächst in Penzing arbeiten, an einem anderen Projekt. Es steht jedoch nicht zu erwarten, dass der klassische Außendreh komplett durch virtuelle Produktion ersetzt wird. Denn auch die Schauspieler wehren sich dagegen, als Datei gekauft und für jede Idee genutzt werden zu können. Aber gerade bei großen Produktionen helfen die bestehenden sowie die kommenden Technologien, insbesondere die künstliche Intelligenz, Kosten und Aufwand zu senken, und geben mehr kreativen Freiraum.