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Demokratie
Gender-Gap: Wie die Politik die Geschlechter entzweit
Der Gender-Gap macht sich auch politisch bemerkbar. Junge Männer wählen eher rechts, junge Frauen eher links. Was bedeutet das für die Gesellschaft?
Birgit Müller-Bardorff
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:14 Uhr

Franz Schmid, Daniel Halemba, Martin Sellner: drei junge Männer, die einem in dieser Woche aus der Zeitung entgegenblickten als Teilnehmer eines Treffens von Rechtsextremisten in Dasing. Erstere zwei bayerische Landtagsabgeordnete der AfD, der dritte ein bekannter Postfaschist aus Österreich, der der Identitären Bewegung zugerechnet wird. Drei junge Männer, die exemplarisch für einen Trend stehen, den Forscher schon länger ausmachen, und der sich in den vergangenen Jahren verstärkt hat: Männer, im speziellen junge Männer in den Zwanzigern der sogenannten Generation Z, fühlen sich öfter zu rechten bis rechtsextremen Ideen, Parteien und Politikern hingezogen als Frauen. Ein Trend, der auch in anderen Ländern zu beobachten ist, selbst wenn die rechtsextremen Parteien in Deutschland und seinen Nachbarländern Frankreich und Italien Galionsfiguren wie Alice Weidel, Marine Le Pen und Giorgia Meloni haben.

Die Financial Times veröffentlichte jetzt eine Datenauswertung, die dieses Phänomen international beschreibt. Demnach gibt es einen großen Unterschied in der politischen Ausrichtung zwischen Männern und Frauen zwischen 18 und 29 Jahren, am offensichtlichsten zeigt er sich in Südkorea, den USA, Großbritannien und Deutschland. Besonders weit geht die Schere zwischen Frauen und Männern in Südkorea auf: Etwa 50 Prozent beträgt die Kluft zwischen liberal eingestellten Frauen und konservativ denkenden Männern. In Deutschland macht dieser Unterschied immerhin noch 30 Prozent aus, wie die Financial Times feststellt.

Der Gender-Gap könnte auch eine Folge der zunehmenden Gleichstellung sein

Frauen wählen in Deutschland also eher Parteien, die dem linken Spektrum zugerechnet werden, als Männer. Das hat auch Ansgar Hudde vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Köln in einer Studie festgestellt, die er letztes Jahr veröffentlichte. Demnach nehmen die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Wahlverhalten seit den Nullerjahren zu, seit der Bundestagswahl 2017 tritt der sogenannte Gender-Gap deutlich zutage. 

In der letzten Bundestagswahl 2021, so Huddes Untersuchung, wählten Frauen zwischen 18 und 24 Jahren vor allem die Grünen, die Linkspartei und die SPD, wohingegen sich die FDP und AfD vor allem auf männliche Wähler (AfD: 7,7 Prozent, Frauen 5,0 Prozent) stützen konnten. Woher kommt dieser Graben zwischen den Geschlechtern? Und welche Konsequenzen hat es für die Gesellschaft, wenn die Spaltung nicht nur zwischen politischer Ausrichtung, sondern auch zwischen den Geschlechtern verläuft?

Für Erklärungen lässt sich ein breites Spektrum ausmachen, die offensichtlichste aber ist die zunehmende Gleichstellung von Mann und Frau in der Gesellschaft, durch die sich Männer in ihren sozialen und beruflichen Positionen bedroht fühlen können, die im Gegenzug aber auch viele Frauen politisiert hat. Zwar dominieren Männer immer noch in führenden Positionen, doch stehen sie auch an der Spitze der Liste jener, die in der gesellschaftlichen Ordnung an unterer Stelle stehen: Obdachlose, chronisch Kranke, nicht mehr in den Arbeitsprozess Integrierbare. Nicht umsonst gelten Jungen im Vergleich zu den Mädchen als Bildungsverlierer, mit geringerer Schulbildung oder gar deren Abbruch. 

Der Gender-Gap ist seit der MeToo-Bewegung stärker geworden

Es ist schwieriger geworden für das einst so „starke Geschlecht“, sich zu behaupten, zumal in Zeiten, in denen auch der männliche sexuelle Machtanspruch einen starken Dämpfer bekommen hat. Die MeToo-Bewegung, die 2017 einsetzte, hat den Gender-Gap im Wahlverhalten von Männern und Frauen noch einmal befeuert. „Die klare Kluft zwischen progressiv und konservativ in der Frage der sexuellen Belästigung scheint eine breitere Neuausrichtung junger Männer und Frauen in Richtung eines konservativen oder liberalen Lagers auch in anderen Fragen hervorgerufen zu haben – oder zumindest Teil davon zu sein“, heißt es in der Financial Times. Bedeutet: Der Kampf gegen sexuelle Belästigung hat sich auch übertragen auf andere Themen wie etwa Rassismus und Ausgrenzung von Minderheiten.

Jene „Krise der Männlichkeit“, wie es Forscher benennen, macht die AfD offensiv zu ihrem Thema – nicht nur in einem traditionellen Frauen- und Familienbild im Parteiprogramm und dem Kampf gegen „linken Genderwahn“, sondern auch in Äußerungen wie jener des Thüringer Parteivorsitzenden Björn Höcke: „Nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde.“ Oder jenes TikTok-Video Maximilian Krahs, AfD-Spitzendkandidat für die Europawahl, der jungen Männern auf der Suche nach einer Freundin rät: „Echte Männer sind rechts.“ Ob sich junge Frauen, die in Schule und Job längst ihren Mann stehen, davon angesprochen fühlen?

Die AfD bezieht eine Gegenposition zum Feminismus

Mit Bezug auf die AfD spricht Soziologe Ansgar Hudde von Nostalgie und meint damit eine Gegenbewegung zum Feminismus der vergangenen Jahrzehnte. Die Partei bemühe sich, Männer mit einem Versprechen auf frühere Zeiten, in denen ihre Position besser war, abzuholen. Die Spaltung der Gesellschaft, ist sie also nicht nur eine zwischen politischen und weltanschaulichen Meinungen, zwischen vermögenden und armen Menschen, sondern auch eine der Geschlechter? Könnte gut sein, dass Emanzipation und Gleichstellung angesichts dieses geschlechtsspezifischen Grabens weiter zu einem starken Konfliktfeld auswachsen, und – als negative Auswirkung – Parteien sich darauf auch in ihrer Ausrichtung fokussieren, wie Ansgar Hudde sagt. 

Bezüglich der großen Gleichstellungsthemen wie Kita-Ausbau oder Elterngeld habe es in den letzten Jahrzehnten einen breiten Konsens der Parteien gegeben, der auch zu politischen Fortschritten geführt habe. Mit der AfD gebe es nun eine Partei, die dezidiert antifeministisch ausgerichtet ist. „Wenn es sich so weiterentwickelt, dass Frauen vor allem links und Männer rechts wählen, könnte es sein, dass die Parteien darauf reagieren und weniger Politik für alle machen, sondern, grob vereinfacht, die einen sich der Frauenpolitik, die anderen der Männerpolitik zuwenden. Ich würde mal sagen, dass das nicht hilfreich für die Gesellschaft ist.“

Soziologe: Diskussionen durch Gender-Gap nicht nur schlecht

Andererseits reicht dieses Konfliktfeld auch in den privaten Bereich, geht quer durch Familien und Freundeskreise, anders etwa als die Kluft zwischen Land- und Stadtbevölkerung oder West- und Ostdeutschen, die sich im Wahlverhalten oft auch zeigt. Während Menschen Kontakte und Beziehungen vorwiegend in ähnlichen sozialen Milieus pflegen, begegnen sich Männer und Frauen im Alltag – in der Ausbildung, in der Arbeit, in der Beziehung. 

Soziologe Ansgar Hudde will die Auswirkungen des Gender-Gaps deshalb nicht nur negativ sehen. Gibt es mehr Paare, in denen beide Partner unterschiedliche politische Haltungen haben, können gesellschaftliche und politische Konfliktthemen so in einem geschützten Raum diskutiert werden, „was das Verständnis für politisch Andersdenkende fördern und damit wiederum zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen kann“.

 
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