Es gerät ja immer mehr Literatur unter die Lupe. Mit Folge von Warnung, Verbannung, Überarbeitung. Nach Pippi Langstrumpf und Shakespeare ist einer der jüngsten Fälle Michael Endes Kinderbuch „Jim Knopf“; der schwarze Knabe, den sein Verlag nun optisch aufhellt und mit schmaleren Lippen zeigt. Da wäre verwunderlich, wenn nicht auch Bühnenwerke der Prüfung auf Diskriminierung unterzogen würden. Tatsächlich: Die Initiative Critical Classics (Köln) tut es. Mit dem Ergebnis, dass nun ein Opern-Hit in mal gekürzter, mal erweiterter, jedenfalls redigierter Fassung als rechtefreie Grundlage für interpretatorische Arbeit vorliegt: Mozarts „Zauberflöte“. Sie will ohne Diskriminierung auskommen – unter Aufwertung der Tatkraft Paminas und Papagenas.
Dass die „Zauberflöte“ für die Bearbeitung erkoren wurde, liegt auch an ihrer Verbreitung. Aber eigentlichen Anstoß brachte eine Inszenierung, in der der Critical-Classics-Initiator Berthold Schneider saß, einst Wuppertaler Intendant. Die Publikumslaune sei gut gewesen – bis zum Moment, da ein Priester Sarastros erklärt: „Ein Weib tut wenig, plaudert viel.“ Nun sei peinlich berührtes Lachen durch die Reihen gegangen. Da habe er gedacht: „Der Originaltext geht nicht mehr. Er beleidigt Menschen.“
Critical Classics hebt Verknüpfungen auf
Also versammelte er um sich auch Julia Jones, die Dirigentin, Askin Hayat Dogan, den „Sensivity Reader“, Ulrich Etscheid, einst Bärenreiter Verlag. Wenn Schneider zum Abschluss der „Zauberflöten“-Bearbeitung über Grundlegendes spricht, dann betont er stets die – ehrenamtliche – Teamarbeit. Aber schauen wir erst mal nach, worin das Redigieren des Librettos bestand. Wesentlich ist, dass Verknüpfungen aufgehoben werden, Verknüpfungen von Hautfarbe, Geschlecht, Alter mit Eigenschaften. Das „männlich siegen“, von dem die drei Knaben singen, wird zu „mutig siegen“. Papagenos Sorge, ob seine Zukünftige „jung“ sei, ist geändert zu „Ist sie lieb?“. Nicht als „altes hässliches Weib“ erscheint verkleidet Papagena, sondern als „selbstbewusste Frau“. Und Paminas „zartes Händchen“ muss weichen – zu feminin. Damit kann ein Auditorium leben, zumal vergleichbare Regie-Eingriffe im Original längst gang und gäbe sind.
Komplexer wird es im Wunsch, das „Zauberflöten“-Frauenbild aufzuwerten: weg von leisen bis sprachlosen weiblichen Figuren, hin zu verbal eingreifenden, aktiven Protagonistinnen. Mit dieser Intention kommt nun eine zusätzliche Arie in die „Zauberflöte“, die Konzert-Arie KV 383 mit geändertem Text. Er suggeriert, dass Pamina auch erotische Wünsche habe: „Darf ich, als Frau, nicht danach streben, süße Schuld zu genießen?“ Und die Königin der Nacht fühlt sich befremdet plötzlich, wenn sich Eingeweihte „erhaben fühlen, nur weil sie Männer sind“. Befremdlich fürs Publikum indes wird es, wenn Monostatos, der von einem „Mohr“ zu einem unehelichen Sohn Sarastros mutiert, nicht mehr erklärt: „weil ein Schwarzer hässlich ist“, sondern: „weil ein ,Bastard’ hässlich ist“. Das verwundert erheblich, wird doch ein Schimpfwort bei unhörbaren Anführungsstrichen auf einen unehelich Geborenen gemünzt. Bizarr aber wird es, wenn das neue Libretto die Redewendung „mores weisen“ (Anstand beibringen) streicht, weil dies im Kontext zum einstigen „Mohren“ Monostatos missverstanden werden könnte.
Kein Humor auf Kosten einer Gruppe
Diese Frage geht an Schneider: Was entgegnen Sie Kritikern, die meinen, Critical Classics arbeite geschichtsklitternd? Weil man dokumentierend etwa das Frauenbild anderer Epochen so belassen sollte, wie es – leider – war? Schneider gibt zu bedenken: „Die Frage, ob man in Werke eingreifen dürfe, ist doch neu. Bis vor 100 Jahren stellte sich diese Frage nicht – Aufführungen wurden angepasst an Zeiten und Orte. Wir müssen wieder freier werden.“ Zweiter Anlauf: ob es Grenzen gebe. Ob nicht mitunter gelte, ein Stück verliert den Sinn, wenn es umformuliert wird. Ob Dödels und Tussis nicht Tussis und Dödels bleiben sollten? Schneider räumt ein, dass Humor ein Problem sei. Humor auf Kosten einer Gruppe aber müsse unterbleiben, auch wenn Humor häufig so funktioniere. „Natürlich sollen miese Charaktere weiter auftreten, Konflikte nicht gemildert werden. Aber unterbleiben müsse, dass ein mieser Charakter permanent unwidersprochen über eine Gruppe Menschen herzieht und seine Rede den Anschein allgemeiner Wahrheit erhält. Wenn über eine Gruppe immer wieder dieselbe Geschichte erzählt wird, dann wird diese Gruppe zu dieser Geschichte.“
Jetzt liegt das Hauptproblem auf dem Tisch. Was tun mit Werken, in denen Kulturen stereotyp aufeinanderprallen? Was tun mit Mozarts „Entführung“ und barocker Oper voller Kreuzritter im Orient? Schneider: Schon im Vorfeld von Critical Classics sei festgestellt worden, dass es „zwei Kategorien von Werken“ gebe. Solche, bei denen eine akzeptable Fassung entstehen könne – und solche, in denen „die Figuren-Konstellation so problematisch ist, dass man nicht weiterkommt“. Letzteres sei bei Puccinis „Butterfly“ der Fall – ein Werk, das Vorrang habe, falls Geldgeber und Verlag gefunden werden.
„Butterfly“? Was soll problematisch sein am Werk, das erzählt, wie ein US-Offizier seine japanische Frau sitzen lässt und ihr später noch das gemeinsame Kind entzieht, das auch unschwer feministisch erzählt werden kann. Schneider: „Das ist ein Stück über eine Frau, die nie Wirkungsmacht hat, nur über den eigenen Tod.“ Man möge sehen, welche Redeanteile und Entscheidungskraft sie bei extrem ungleichen Machtverhältnissen besitze. Im Wiederholen des Quälens von Frauen im Gesamtrepertoire vertiefe sich aber die Sicht auf die Frau. Geplant sei, mit Asiaten zu sprechen, um zu erfahren, welche Geschichte anstelle der „Butterfly“ zu erzählen ist. Unter dieser Prämisse gibt es viel zu tun. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Eigentlich hätte er schon vor 100 bis 300 Jahren ganz anders, viel besser, vorbildlich sein sollen – der Umgang der Menschen miteinander.