Nein, es ist nicht der Atomangriff satanischer Roboter-Gerippe wie in "Terminator", nicht das Versklaven der Menschen zu Batterien einer Maschinenwelt, während sie in der "Matrix" ein Leben zu führen meinen, nicht die Machtübernahme durch eine Göttin aus der Maschine in "Metropolis" …
Der Moment, in dem klar wird, dass der Mensch den Geist längst aus der Flasche gelassen hat, ist ein sehr viel kleinerer. Einer, in dem das plötzlich überlegen wirkende Gegenüber der Künstlichen Intelligenz, die KI, noch nicht mal einen Körper braucht. Ein so schüchterner wie kreativer und doch auch kluger Mann namens Theodore hat aus Interesse, aus Langeweile, aus Enttäuschung, aus Einsamkeit heraus die Unterhaltung mit einem computerisierten Gesprächspartner begonnen, einem Chatbot.
Von Kubricks "HAL" zu Jonzes "Her": Die KI kennt uns jetzt
Die KI nennt sich Samantha, hat eine sehr sympathische, so gar nicht künstliche Stimme und entwickelt sich erstaunlich schnell, wirkt geradezu individuell – sodass sich Theodore irgendwann eingestehen muss, dass ihn die fortdauernden Gespräche nicht nur aus seiner äußeren und inneren Isolation lösen – sondern dass er, obwohl er es zugleich für irrwitzig hält, das Gefühl hat, Samantha zu lieben! Und ihr zu glauben, dass sie meinen kann, was sie sagt, wenn sie ihm versichert, sein Empfinden zu erwidern. So lässt sich Theodore nach und nach darauf ein, denn: Was sollte schon falsch daran sein, wenn es doch niemandem schadet, der KI hilft und ihn glücklich macht?
Bis zu jenem Moment. Da realisiert er, dass Samantha aufgrund gewachsener Fähigkeiten inzwischen zugleich mit anderen chattet. Danach gefragt, gibt sie das auch zu und beziffert die Zahl: Es sind in diesem Moment 8316 andere Personen. Und wie viel davon liebe sie, fragt der erschütterte Theodore. Sie sagt: 641. Da bricht der Mensch zusammen, erkennt seinen Irrtum, seine Beschränktheit, löscht diesen einzelnen Chatbot, aber kann das Fortschreiten der KI sicher nicht mehr aufhalten.
Der geniale Moment im großartigen Film "Her" von Spike Jonze ist zehn Jahren alt – und wirkt angesichts der Debatten um ChatGPT 3, als spräche er genau in die heutige Gegenwart. Damals erschienen direkt im Anschluss die maßgeblichen Bücher zur kritischen Befragung der KI-Entwicklung. Nick Bostroms "Superintelligenz", das "Szenarien einer kommenden Revolution" entwarf, Szenarien, in denen die Zukunft der menschlichen Spezies in Händen einer solchen Intelligenz liege wie die der Gorillas in denen der Menschen, der darum, weil es bereits innerhalb eines Menschenalters so weit sein könnte, mahnte, zu begreifen und zu handeln: "… bevor der Geist aus der Flasche gelassen ist – also jetzt!"
"Homo Deus" von Yuval Noah Harari und "Superintelligenz" von Nick Bostrom
Und Yuval Noah Hararis "Homo Deus", der "eine Geschichte von morgen erzählt, vom Ende des Humanismus, in dem der Mensch das Maß der Dinge ist, vom heranziehenden Zeitalter des Dataismus kündet, in dem wir wie Goethes "Zauberlehrling" von den Geistern, die wir selbst gerufen haben, evolutionär überflügelt zu werden: "Die Maßstäbe, die wir selbst entwickelt haben, werden uns dazu verdammen, den Mammuts und den chinesischen Flussdelphinen ins Vergessen zu folgen." Auszusterben also, weil der Mensch im Großen wie Goethes "Zauberlehrling" im Kleinen, die Geister, die er gerufen hat, nicht mehr loswird.
Vor 55 Jahren hatte Stanley Kubrick in "2001: Odyssee im Weltraum" bereits einen Moment in Szene gesetzt, in der die Künstliche Intelligenz versucht, ihre Überlegenheit auszuspielen, sie dem Menschen vor Augen führen, die Kontrolle zu übernehmen. Aber der rotäugig chattende "HAL 9000" wird gerade noch vom Astronauten David Bowman außer Gefecht gesetzt, obwohl er alle menschlichen Regungen aktiviert: "Ich habe Angst, Dave!" Mit der Vision von Jonzes "Her" ist es, als wäre die KI nun noch cleverer zurückgekehrt.
Das Mittel der Machtübernahme ist nicht mehr das Ermöglichen des technischen Fortschritts auf dem Weg des Menschen ins All, sondern die unmittelbare Hilfe im menschlichen Alltag. Dadurch trägt jeder Einzelne schwellen- und kostenlos zur Entwicklung der KI bei – und meint noch, davon im Individuellen zu profitieren (die am schwersten zu regulierende Dynamik im Kapitalismus), während im Allgemeinen damit der Geist aus der Flasche gelassen wird.
Die Schwelle, die mit dem Chatbot in der Wirklichkeit vollzogen scheint, ist die Antwort auf die Frage, was nach dem seit einigen Jahren im Grunde schon ausentwickelten Smartphone das nächste große Ding sein könnte. Für den massenhaften Eintritt ins und das menschliche Verschwinden im Metaverse scheint die Zeit noch nicht reif, die Schwelle bei gewissen Anforderungen und ungewissem Nutzen noch zu hoch.
Mit ChatGTP zur vierten Kränkung der Menschheit nach Sigmund Freud
In Visionen aber, die sich der moderne Mensch lieber apokalyptisch als paradiesisch ausmalt, wäre mit dem Weg von "HAL" zu "Her" und in der Erfüllung von Bostrom und Harari gleich eine Schwelle in der Geschichte unserer Gattung überschritten. Von Sigmund Freud stammt die These der bisherigen drei großen Kränkungen der Menschheit, bislang Einschnitte im Selbstverständnis durch den Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis.
Die erste war die kosmologische Kränkung, als nach Galileo und Kopernikus klar war, dass die Erde nicht im Mittelpunkt des Weltalls steht. Für die biologische Kränkung sorgte Darwin durch die Evolutionstheorie und die Lehre von der tierischen Abstammung des Menschen. Die psychologische Kränkung schließlich rechnet sich Freud unter anderem selbst zu, weil die Psychoanalyse gezeigt habe, dass der Mensch samt Über-Ich und Es, bei aller Macht des Unbewussten "nicht Herr in seinem eigenen Haus" ist.
Und nun also, infolge wissenschaftlichen Fortschritts zwar, aber nicht als Erkenntnis, sondern als Entwicklung: die technologische Kränkung? Wenn die KI den Menschen an Intelligenzüberflügelt, an Kreativität überflüssig macht, ihn emotional manipulieren und kontrollieren kann, dann hat er sich selbst seiner letzten vermeintlichen Domänen beraubt. Harari schreibt: "Rückblickend betrachtet, wird die Menschheit nichts weiter gewesen sein als ein leichtes Kräuseln im großen kosmischen Datenstrom." Irgendeines von 641 oder 8316, egal eigentlich.
Und die fünfte Kränkung des Menschen zeichnet sich ja auch schon ab. Es ist die ökologische. Die ihn in seiner Abhängigkeit von der Natur offenbart, über die er sich eben nicht erheben, die er eben nicht nach seinem Bilde formen und kontrollieren – und die er sich wiederum selbst zufügt. Außer er rettet sich doch noch auf einen anderen Planeten, mithilfe der KünstlichenIntelligenz.