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Salzburger Festspiele
Staatsstreich mit Mozart und Giorgia Meloni
Bei den Salzburger Pfingstfestspielen hat Regisseur Robert Carsen eine düstere Vision. Er verlegt Mozarts "La Clemenza di Tito" an den Regierungssitz im heutigen Rom.
Rüdiger Heinze
 |  aktualisiert: 25.05.2024 02:42 Uhr

Jetzt sage noch einer, die spätestbarocke Opera seria könne nicht hochpolitisch in ganz brand-, ja brandaktuellem Sinn präsentiert werden. Dieses Jahr hat sich das teils vergnügungswillige, teils kunstsinnige Salzburger Festspielpublikum zu Pfingsten (und dann wieder im Sommer) mit einer Giorgia Meloni auf der Bühne zu beschäftigen und mit einem Sturm aufs Capitol in Washington. Metastasios "La clemenza di Tito"-Stoff, von zahlreichen Komponisten vertont und auch von Mozart 1791 noch in so staatstragende wie psychologisierende Affekt-Arien gegossen, liefert die Grundlage. Also jener Stoff, der die Fürsten im 18. Jahrhundert und im Hoftheater dazu ermahnen sollte, milde, besonnen, menschlich zu regieren. Selbst dann noch, wenn sie ein Attentatsversuch ereilt, ein Staatsumsturz im Gange ist. Humanität versus Gewalt also ist das Thema der ernsten Oper voller Charakterzerreißproben, angesiedelt 79 nach Christus in Rom, im Jahr des schrecklichen Vesuv-Ausbruchs, der Tito umgehend Anlass gibt, den Überlebenden mildtätig zu helfen. 

Robert Carsen setzte das Werk nun neu in Szene. Er bleibt in Rom. Doch zusammen mit seinem Ausstatter Gideon Davey macht er einen satten Zeitsprung, von der Antike in die Jetztzeit. Wir blicken ins Innerste der Macht und des Machtgeschiebes, in einen Fraktionssitzungssaal, wo eigeninteressengetriebene Politik gemacht wird, in den Plenarsaal mit Zuhörertribüne, Italien- und Europafahne, ins Regierungsbüro des ersten Mannes der Republik. Alles schön funktional, aseptisch, modern, geordnet und abgesichert. Zutritt nur mit Chipkarte.

Salzburger Pfingstfestspiele: Robert Carsen setzt "La Clemenza di Tito" neu in Szene

Zu Karriereinteressen kommen Liebesinteressen. Vitellia, aus allerbestem Haus, machtgeil, will durch Heirat an die Staatsspitze gelangen. Da das aber nicht sofort und nicht im zweiten Anlauf gelingt, führt der in sie bis zur Hörigkeit verliebte Sesto aus, was sie ihm aufträgt: Putsch, Attentat. Das Kapitol brennt, ein Messer für Tito funkelt im Flammenschein. Ein Schelm, wer in der hier modisch eleganten, erblondeten Vitellia nicht Giorgia Meloni erkennen mag. Aber Tito überlebt den Pöbel-Sturm im Plenarsaal des römischen Kapitols, unterlegt mit Filmaufnahmen des Pöbel-Sturms auf das Capitol in Washington, und tut nun das, was im Libretto von ihm als gutem Herrscher verlangt wird: Er ringt mit sich, ringt lange mit sich, sehr lange - und vergibt seinem alten Freund Sesto. Zumal Vitellia sich als Drahtzieherin schuldig bekennt. Es könnte nochmal alles gut ausgehen, doch dann greift Robert Carsen zu einer finalen Volte, zu einer bitteren Pointe. 

Hinterrücks, heuchlerisch hat Vitellia einen zweiten Staatsstreich geplant, und zu den letzten Mozart-Takten wird Tito durch den Pöbel nun tatsächlich erstochen, während Vittelia triumphierend, unter dem Applaus des Volkes, auf dem Regierungssessel Platz nimmt. Licht aus.

Die musikalische Exzellenz klingt lange nach: allen voran Cecilia Bartoli

Natürlich geht diese Aktualisierung nicht 1 : 1 auf. Die fiktive, appellierende Humanismus-Parabel aus dem 18. Jahrhundert lässt sich nicht so umstandslos auf die reale aktuelle politische Lage dies- und jenseits des großen Teiches übertragen. Solch ein Staatsmann wie Tito müsste erst noch gebacken werden. Und bei allen hochberechtigten Bedenken: die rach- und hasserfüllte Vitellia ist schwerlich mit Meloni gleichzusetzen. Gleichwohl gelingt es Carsen mit seiner Inszenierung, die Bedrohung demokratischer Regierungen durch eine aushöhlende, auch gewaltbereite Rechte kenntlich zu machen. Seine Regie ist so ehrenwert und reflektierend wie sie gleichzeitig etwas holzschnitthaft und räuberpistolenartig auftritt. Lange noch lässt sich sinnieren darüber, wie viel Nachsicht und Milde in der Demokratie gegenüber erklärten Feinden angebracht ist. 

Und lange auch - ganz andere Seite der Aufführung - klingt die musikalische Exzellenz dieser Neuproduktion nach. Die Sänger: handverlesen; das Orchester "Les Musiciens du Prince" unter dem entschieden formenden Gianluca Capuano: dramatisch, packend. Nach ihrem rauen und fahlen Orfeo im vergangenen Jahr lässt die singende Festspiel-Intendantin Cecilia Bartoli wieder nahezu alte Stimmpracht mit perlenden Koloraturen, ergreifender mezza voce, Espressivo-Bruststimme hören, und neben ihre wissen auch Anna Tetruashvili (Annio) und Melissa Petit (Servilia) zu betören. Große Klasse. Alexandra Marcellier als Vitellia setzt gebotene vokale Giftspritzen, vokalen Zynismus, und Daniel Behle in der Titelrolle fasziniert durch markant-maskuline Tiefe, vortreffliche Feinzeichnung in der Höhe samt Überblendung beider Lagen. Ein doppelt lohnender Festspielabend also, auch wenn sein Regiekonzept nicht restlos aufgeht. Besser etwas gewagt als unverbindlich, harmlos geblieben.

 
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