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Buch der Woche
"Die Bäume" thematisiert rassistisch motivierte Morde in den USA
Der amerikanische Autor Percival Everett schreibt über Lynchmorde und wagt einen Mix aus Thriller, Satire, Komödie und Horror. Das liest sich verstörend gut.
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Foto: Nicolas Briquet, dpa | Percival Everett schreibt über die Lnychmorde in den USA - ein verstörend gutes Buch.
Stefanie Wirsching
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:48 Uhr

Money, Mississippi, hätte im besten Falle ein trostloses Kaff im amerikanischen Nirgendwo bleiben können - übersehen auch von der Geschichte, wenn der Ort nicht durch einen Lynchmord an einem jungen Schwarzen traurige Berühmtheit erlangt hätte. Im Jahr 1955 wurde hier der 14 Jahre alte Emmett Till von den Halbbrüdern Roy Bryant und J.W. Milam umgebracht. Die Ehefrau von Bryant hatte den Teenager beschuldigt, ihr im Lebensmittelladen ihres Mannes nachgepfiffen und sie begrapscht zu haben. Drei Tage später fand man die Leiche des Jungen im Fluss Tallahatchie, ein Auge war ihm ausgestochen worden, der Kopf gespalten und bis zur Unkenntlichkeit malträtiert, um seinen Hals Stacheldraht geschlungen. 

Die Bilder der Beerdigung, die den misshandelten Jungen im offenen Sarg zeigten, lösten damals weit über die amerikanischen Grenzen Entsetzen aus. Zur Gerichtsverhandlung reisten Reporter aus dem ganzen Land an, um nach fünf Tagen einen Freispruch der weißen Mörder zu erleben. Der Fall Emmett Till aber ist als einer der Auslöser der Bürgerrechtsbewegung in die Geschichte eingegangen. Money, Mississippi, gilt seitdem in den USA als schändliches Symbol für Rassismus.

Percival Everetts neues Werk beginnt mit Morden

Hier also, an diesem traurigen Fleck Erde, lässt der amerikanische Schriftsteller Percival Everett seinen neuen Roman „Die Bäume“ beginnen. Mit zwei Morden, die sich kurz hintereinander ereignen. Zwei weiße Männer liegen in ihrem Blut, Stacheldraht um den Hals, die Hoden abgerissen. Die Nachnamen: Bryant und Milam, beide nichtsnutzige Nachfahren der Mörder von Emmett Till. Auch Carolyn Bryant, die den Jungen damals beschuldigte, lässt Everett als Granny C kurz auftreten – aber dann, der ganze Schreck!

An beiden Tatorten findet die Polizei noch einen dritten Toten: ein junger Schwarzer im Anzug. Wie von Geisterhand aber verschwindet dessen Leiche zwei Mal, entwischt vor einer Autopsie der Polizei… Es kommt Verstärkung, zwei schwarze Ermittler des Mississippi Bureau of Investigation mit Wortwitz gesegnet, und spätestens mit deren Erscheinen und ihren schon komödiantischen Auftritten ist klar: Ein reiner Krimi ist das hier nicht. Was aber dann? 

Die weißen Figuren wirken wie stereotype Karikaturen

Everett, 66, in Amerika mit Preisen bedachter Autor, in Deutschland erst im vergangenen Jahr durch seinen Roman „Erschütterung“ bekannt geworden, traut sich einen irren Mix: Thriller, Satire, Spaß, Horror, Fantasie… Überzeichnet vor allem seine weißen Figuren, bis sie wie stereotype Karikaturen wirken, schreibt brillante Dialoge und eine sich surreal entwickelnde Handlung, die sich letztendlich als Rachefantasie entpuppt. Schreibt also einen verstörend komisch-sarkastischen Roman über strukturelle rassistische Gewalt in den USA und deren Opfer. 

Das führt zu Szenen wie dieser, in dem die eiligst einberufene Versammlung des örtlichen Ku-Klux-Klans sich wie eine Persiflage von drögen Vereinssitzungen liest. Tenor: Früher war alles besser, mehr Familienpicknicks und mehr brennende Kreuze. Mittlerweile mache man gar nichts mehr, beschwert sich ein Mitglied: „Ich weiß nicht mal mehr, wo meine Kapuze ist. Ich hab nicht mal mehr einen Strick.“ Auch aus dieser Runde wird nicht jeder überleben. Denn die Morde an den „Weißbacken“ gehen weiter, ein geisterhafter Rachezug durchzieht das Land, mindestens fünfhundert Mann stark, begleitet von einem tiefen Singsang: „Steht auf.“

"Die Bäume" war für den Booker Prize nominiert

Wer sind die Rächer? Vor denen auch der amerikanische Präsident mit orangefarbenen Haar in Panik sich unter seinen Schreibtisch im Oval Office kauert? Die Spur wird die Ermittler unter anderem zu einem kleinen Haus in Money führen, zu der 105-jährigen Mama Z, die im Hinterzimmer ein privates Archiv eingerichtet hat, in dem sie „fast alles, was jemals über einen Lynchmord in den Vereinigten Staaten geschrieben wurde“ archiviert hat - beginnend im Jahr ihrer Geburt. Und wo ein brillanter Professor, den sie ihn dieses Archiv lässt, damit beginnt, die Namen der Opfer auf Papier zu schreiben. „Wenn ich die Namen schreibe, werden sie wieder wirklich. Es ist fast so, als bekommen sie hier noch ein paar Sekunden." Warum aber mit Bleistift, fragt Mama Z und der Wissenschaftler antwortet: „Wenn ich fertig bin, werde ich jeden Namen ausradieren, sie freimachen.“ 

Eine andere Spur aber wird in ein Restaurant führen, in der eine Sängerin den legendären Protestsong von Billie-Holiday anstimmt: „Southern trees bear strange fruit. Blood on the leaves and blood at the root. Black bodies swining in the Southern breeze. Strang fruit hanging from the poplar trees.“ Daher auch der Titel: Die Bäume im Süden, in denen schwarze Körper schwingen …

Everett wagt viel – unterhält, entsetzt, bildet rassistische Sprache ab, bindet sie in große Literatur ein. Das Buch stand 2022 auf der Shortlist für den Booker Prize. Im gleichen Jahr lehnte eine Grand Jury in Mississippi es ab, Carolyn Bryant 67 Jahre nach dem Lynchmord an Emmett Till anzuklagen. Schon 1955 war ein Haftbefehl ausgestellt worden, aber nie vollstreckt worden. Nun befanden die Laienrichter, die Beweise gegen die damals 88-Jährige würden nicht ausreichen. Money, Mississippi, war für kurze Zeit mal wieder in den Schlagzeilen.

 
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