Lego ist längst kein reines Kinderspielzeug mehr. Erwachsene bauen sich Blumengestecke, Star-Wars-Figuren oder den Eiffelturm aus bunten Steinchen und stellen sich die kleinen Bauwerke dekorativ ins Wohnzimmer, während im Fernsehen "Lego Masters" läuft – in der Show wagen sich die Teams an außergewöhnliche Bauprojekte, ja, ganz genau, aus Lego. Und der international bekannte Künstler und chinesische Dissident Ai Weiwei hat Gemälde von Leonardo da Vinci und Claude Monet nachgebaut – ebenfalls aus Lego. Seine Ausstellung "Know Thyself" ("Erkenne dich selbst") ist im Rahmen der Berlin Art Week seit dieser Woche in der Galerie Neugerriemschneider zu sehen. Stellt sich bloß die Frage: Ist seine Kunst noch herausragend, wenn das Medium ein so weitverbreitetes, banales ist? Oder ist sie es gerade deshalb?
Ai Weiweis neue Ausstellung in Berlin besteht aus Legosteinen
Ai Weiweis neue Ausstellung startete mit einer lockeren Eröffnung am Mittwochabend, ohne Reden, ohne Schnickschnack. Neun Lego-Interpretationen erstrecken sich über die Wände dreier Räume der Galerie in Berlin, zumeist sind es Nachbildungen berühmter Werke in abgewandelter Form. Am imposantesten wirkt Ai Weiweis bläulich-rosa Nachbildung von Claude Monets Wasserlinien. Das Lego-Werk breitet sich über 15 Meter lang auf drei Wänden aus und setzt sich aus über 650.000 Steinen zusammen. In der rechten Bildhälfte ist – anders als im Original – eine dunkle Stelle zu sehen. Der Künstler spannt damit einen Bogen in die eigene Kindheit. Der Fleck soll an das Erdloch am Rande einer Wüste in China erinnern, in dem Ai Weiwei einst gemeinsam mit seinem Vater, dem Dichter Ai Qing, lebte.
Zu "Know Thyself" gehören auch mehrere Interpretationen, die sich an Werke von Leonardo da Vinci anlehnen. Die Mona Lisa ist gleich zweimal ausgestellt, einmal in bläulicher, einmal in grün-gelblicher Farbgebung. Auf beiden Porträts sind die Spuren einer Torte zu sehen, die ein Klimaaktivist 2022 auf das Sicherheitsglas vor dem Gemälde im Pariser Louvre geworfen hat. Dreimal nachgebaut wurde auch das Abendmahl-Wandgemälde, das sich im Original im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie in Mailand befindet. In den Lego-Darstellungen weichen die Farben ab, in einer Variante überwiegt Grün, in der zweiten Weiß, in der dritten Rosa. Ai Weiwei selbst bildet sich in allen drei Kompositionen als Judas ab.
Farblich abgewandelt hat der Künstler auch Jackson Pollocks "One: Number 31, 1950": Das Beige auf der Original-Leinwand hat Ai Weiwei durch graue Legosteine ersetzt. Namensgebend für die neue Ausstellung in Berlin ist das Werk "Know Thyself", eine Nachbildung eines Mosaiks aus Rom, die einen schwarzen Skelett-Körper auf weißem Hintergrund zeigt. Darunter prangt die Aufforderung "Erkenne dich selbst" auf Griechisch. In einer letzten Komposition zeigt Ai Weiwei auf dunkelblauer Fläche einen hellen Strudel, man vermutet sprudelndes Meerwasser. Es handelt sich um eine Anlehnung an die im vergangenen September explodierte Erdgas-Pipeline Nord Stream 2, "mehr als zwei Jahrzehnte aufgeheizter internationaler Beziehungen" entladen sich darin, wie es in einer Beilage zur Ausstellung heißt.
Dass Ai Weiwei in seinem künstlerischen Schaffen zu Lego greift, ist nicht neu. Bereits seit einigen Jahren arbeitet er mit den bunten Steinen. Das tatsächliche Malen auf Leinwand hat er bereits in den 1990er-Jahren aufgegeben. Lego ist für ihn ein "spielerisches wie unmittelbares Medium, das sowohl Generationen als auch Länder übergreift", so steht es in der Beilage. Dass nahezu ein jeder und eine jede einen Bezug zu dem eigentlichen Spielzeug hat, war auch bei der Eröffnung der Ausstellung zu sehen: Unter den Besucherinnen und Besuchern war jede Altersklasse vertreten, auch Familien mit Kindern besuchten die Galerie.
Ai Weiwei zeigt Da Vinci und Monet aus Lego und in abgewandelter Form
Der Künstler schafft einen digitalen Transfer, denn die kleinen Steine sollen an Pixel erinnern. Aber auch inhaltlich gelingt der Bogen, den Ai Weiwei über alte Werke in die Gegenwart spannt: Zum Beispiel dann, wenn er den radikalen Protest von Klimaaktivistinnen und -aktivisten thematisiert. Symbolisch für die Energiekrise und den Krieg in der Ukraine wiederum steht die explodierte Pipeline. Somit gelingt es Ai Weiwei, über ein unbeschwert wirkendes Medium einen großen Teil der Gesellschaft auf die ernsten Themen unserer Zeit aufmerksam zu machen. Und wird einem Satz gerecht, den er vor einigen Jahren in einem Interview geäußert hat: "Wenn Kunst nichts mit dem Leben zu tun hat, dann brauchen wir keine Kunst."
Noch bis zum 30. März 2024 kann Ai Weiweis Lego-Ausstellung in der Berliner Galerie Neugerriemschneider besichtigt werden. An der Entstehung der Arbeit wirkten um die 30 Personen mit. Wie viele Steine Ai selbst gesetzt hat, ist nicht bekannt.