Eisenstein träumt furchtbar schlecht. Ein Bataillon schwarzer Fledermäuse umflattert, umzuckt, erschreckt ihn in seinem mordsmäßig großen Doppelbett. Und dann bedrängt ihn auch noch diese maskierte Dame, die immer nur das Eine will, und über die er später erklären wird: "Meine Frau ist steinalt und hässlich wie eine Rauchfangtaube." Nein, Eisenstein hat keine gute Nacht, man zwickt und zwackt ihn bös – jetzt, da er in Kürze einrücken muss, um eine achttägige Haft abzubrummen wegen Amtsbeleidigung. Ein Alptraum an der Bayerischen Staatsoper. Eisenstein flüchtet ins Kaffeehaus.
"Die Fledermaus" bietet eine Wiener Orgie an der Bayerischen Staatsoper
Nun hat sein Weib Rosalinde auf der rosafarbenen Spielwiese freie Bahn, sich in süßen Träumen über den tenoralen Herzensbrecher Alfred zu ergießen. Der, der sie heute noch so anflötet wie seinerzeit, weil er stets eine Gespielin für einsame Stunden braucht. Und da kommt er auch schon, schmachtet "Nessun dorma", unwiderstehlich. Rosalinde wird schwach – zumal ihr Stubenmädchen einen freien Tag begehrt. Der Gatte im Arrest, Adele außer Haus, da geht was. Allgemeines Adieu, oje, oje, wie rührt mich dies!
Aber der Gatte fügt erst noch – vor dem Arrest – eine Sause ein, eine aparte Wiener Orgie, ein Bacchanale an der Donau, und zwar bei Prinz Orlofsky, zusammen mit den Balletttänzerinnen der Oper und den blutjungen Elevinnen. Und nun ist Barrie Kosky, Seine Exzellenz für Operetten-Regie-Räusche, vertragsgemäß schwer in seinem Element. Hatte er in Salzburg schon Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" als eine Lustreise des Unterleibs, als eine Revue der diversen Diversitäten unserer sexuell kunterbunt orientierten Welt inszeniert, so lässt er nun beineschmeißend die Wiener Schickeria-Bagage außer Rand und Band geraten.
Eine schrille Glitter- and Gay-Show der Dragqueens und Dragkings mit viel Quicken des Ballettnachwuchses und spitzen, kantigen Soubrettentönen des Prinzen (Andrew Watts). Also gendern hat hier faktisch gar keinen Sinn mehr, Herr Söder! Es geht drunter und drüber zwischen Wännlein und Meiblein und auch ein bisschen Kosky-Routine. Er tischt bestens Erprobtes auf, freilich wieder voller Rasanz (Choreografie: Otto Pichler). Sogar die historische Wiener Häuserfront des Bühnenbilds (Rebecca Ringst) walzert munter mit dem Staatsopernchor.
Diana Damrau spielt in Barrie Koskys "Fledermaus" die Rosalinde
Bis die "Rauchfangtaube" als maskierte ungarische Gräfin groß auftritt. Mit dieser ornithologischen Einordnung tut man Diana Damrau nun aber wirklich schlimmes Unrecht. Sie könnte heute noch koloraturenjubilierend und ansehnlich das Stubenmädchen Adele geben, muss nun aber – sehr diesseits von Gut und Böse – die rächende Fregatte Rosalinde machen. Und sie macht sie, Bühnentier, das sie ist, ausgesprochen persönlichkeitsgespalten; hier "gschert weanerisch" als Täubchen, das scharfe Krallen ausfahren kann, dort als Oh-là-là-Ungarin mit rauchig-verruchtem Ton aus jenem tiefen Dekolleté, in das sie das Damenührchen des sie nicht erkennenden Gatten versenkt. Die Damrau: prächtig ausgekocht; ihr Stubenmädchen Adele: blitzsauber und raffiniert girrend in ihren Affekten (Katharina Konradi).
Aber dann kommt der dritte Akt, den zu inszenieren der heikelste bleibt. Weil in einem fidelen Gefängnis der Altherrenhumor nach durchzechter Nacht doch nicht mehr voll auf der Höhe des Humors der Postmoderne ist. Zuletzt machten daraus Leander Haußmann in München, Hans Neuenfels in Salzburg und Thorleifur Örn Arnarrson in Augsburg ein zerquältes, brachialhumoristisches Finale, jeweils ein Fiasko für sich. Was aber bietet Kosky auf? Erstmal zur eingeschobenen Pizzicato-Polka einen hochvirtuosen Stepdance von Max Pollak – und dann weitgehend die hergebrachten "k. & k."-Spaßetteln des Textbuchs plus Knastwärter Frosch als Sixpack. Ingrid Steeger hätte in diesem Plem-Plem-Kittchen nochmal Seligkeit gehabt. Wobei sich Barrie Kosky erklärtermaßen psychotherapeutischen Beistand plus Absolution holte: Gerade in multiplen Krisen sei doch ein Vergessen über ein paar Stunden vonnöten. So lässt er's also schon vor Silvester knallen, und wem Fünfe grade sind, der hat durchaus seine Belustigung an höherer und niederer prozentgetriebener Blödelei.
Vladimir Jurowski dirigiert eine federnd-delikate "Fledermaus"
Deutlich feinsinniger, subtiler aber gehen das Staatsorchester und Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski ans Werk. Er dirigiert sozusagen mit der Stabspitze eine federnd-delikate "Fledermaus", auch in der Mikro-Rhythmik klasse abgenommen von seinen Musikern. Und oben im Altwien folgen ihm auch die kernig-lärmenden Herren mit ihren entschieden feuchten Träumen der Midlife-Crisis: Georg Nigl als sonorer Eisenstein, Martin Winkler als leicht debiler Frank, Dr. Falke als eleganter Strippenzieher. Gutgelaunte Ovationen.