Dass sie zimperlich sei, kann der neuen "Tosca"-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper sicherlich nicht vorgeworfen werden. Die Folter- und später die Hinrichtungsszene lassen nicht an Drastik zu wünschen übrig. Es spritzt das Blut. Und wieder, wie eben schon beim neuen Salzburger Mozart-"Titus", bekommt es das Publikum mit einer Willkürjustiz der mehr oder minder extremen italienischen Rechten zu tun, nun in Form des römischen Polizeichefs Scarpia, der seine politische Gewalt mit Gewaltsex verknüpft. Ein Dreckskerl sondergleichen. Er sättigt sich und wirft weg. Gut und gerne hätte er eine besonders perfide Rolle in Pier Paolo Pasolinis Film "Salo - Die 120 Tage von Sodom" übernehmen können, wo italienischer Faschismus, Erniedrigung, Tortur und sexueller Lustmord ein Schreckensbündnis eingehen.
Genau darauf auch wollen Kornél Mundruczó und seine Ausstatterin Monika Pormale hinaus. In dieser "Tosca" ist Cavaradossi als ein Anhänger Voltaires und der republikanischen Freiheit nicht nur ein Maler (mit Querverbindung zu Yves Klein), sondern auch ein Multimediakünstler – eben ein Pasolini, der in den 1970er-Jahren die verkommenen Machenschaften eines faschistischen, rechtlosen Raums in Szene setzt. Also beginnt diese "Tosca" mit einem stummen Vorspiel, mit einer nachgestellten Szene aus "Die 120 Tage von Sodom" einschließlich Art-Deco-Villa am Gardasee. Aber zum Filmdreh Cavaradossis schreitet natürlich Scarpia als Polizeichef ein – aus politischem wie persönlichem Interesse: Seine Jagd auf politische Gegner (hier Angelotti als Mitglied der Roten Brigade) und deren Anhänger verbindet er mit der Vergewaltigung von Frauen.
An der Bayerischen Staatsoper in München ist auch die böseste Tosca-Szene zu sehen
So auch bei Cavaradossi und seiner Freundin, der Sängerin Floria Tosca, die für die Willkürherrschaft auftritt, aber deren Gegner schätzt. Scarpia bemächtigt sich ihrer, zunächst in seinem Privatsalon im Palazzo Farnese, wo Ästhetik – ein Modigliani-Frauenakt über dem Kamin – einhergeht mit Körperqualen ober- und unterhalb der Gürtellinie im Kellergeschoss. Durch Folterung Cavaradossis will er Tosca gefügig machen, wohl eine der bösesten Szenen des Opernrepertoires. Üblicherweise ist Cavaradossi in seinen Qualen nur zu hören, in München nun ist er auch zu sehen.
Bekanntlich gehen Scarpias Perversionen für keinen Beteiligten gut aus. Bevor er sie vergewaltigen kann, ersticht Tosca ihren Peiniger – was aber ihren Freund und sie selbst nicht rettet: Die zuvor ausgehandelte "Scheinhinrichtung" Cavaradossis wird zur wirklichen Erschießung, und bevor die Polizei Tosca ergreifen kann, springt sie in den Tod. Nicht von der Engelsburg, jedoch hinein in den Gardasee. Ein weiteres Opfer von Salo sozusagen. All das ist mit seinen vielen Anspielungen – auch auf die Callas als berühmte Tosca-Interpretin – fraglos kundig, phantasievoll, intelligent vom Jahr 1800 in die Nachkriegszeit Italiens transferiert. Zu Cavaradossis Abschiedsarie sehen wir noch einmal in Filmausschnitten eine Retrospektive auf sein cineastisches Werk. Aber wie der Salzburger "Titus" mit Giorgia Meloni kann auch Mundruczós Regie nicht vollends aufgehen, weil in der Spielzeit seiner Inszenierung die Polizei nicht über der Justiz stand. Eine notwendig starke Warnung bleibt sie gleichwohl.
Andrea Battistoni dirigiert Puccini als Wechselbad der Gefühle
Zur Drastik der Szene kam bei der Premiere regelmäßig die Drastik der musikalischen Wiedergabe. Andrea Battistoni dirigierte Puccini als ein starkes Wechselbad der Gefühle – mit Schwerpunktlegung auf den Ausbruch von Tragik und akustischer Überwältigung. Lautstärke plus Furioso blieben wesentliche Parameter seines Puccini-Verständnisses, und wenn er Ende zweiter Akt sowie zu Cavaradossis "E lucevan le stele" auch Poesie walten ließ, so hätte man sich manche Passage des Abends doch ein wenig subtiler vom Bayerischen Staatsorchester gewünscht.
Eleonora Buratto in der Titelrolle arbeitete ihm in die Hände: Mit großer Stimme, mit inbrünstigem Temperament, mit triumphalen Spitzentönen beeindruckte sie schwer (und wurde vom Publikum frenetisch gefeiert), doch so farbenreich, nuanciert, abschattierend zu singen wie Charles Castronovo als ein Cavaradossi mit "Träne" gelang ihr nicht, auch nicht in "Vissi d'arte". Bleibt unbedingt der Unmensch Scarpia zu nennen. Ludovic Tezier verleiht ihm furchterregendes Profil: taktisch schmeichelnd, sardonisch grinsend, messerscharf gebietend. Das kommt in Mimik, Gestik, Körperpräsenz und – am wichtigsten – auch vokal herüber über den Graben. Ein klassischer Bariton-Schurke, ebenfalls gefeiert vom Auditorium. Kornél Mundruczó und sein Produktionsteam indes erhielten so viele Bravos wie Buhs. Es gibt also was zu diskutieren. Die Oper lebt.