Das Theater Ulm wagt sich an eines der beliebtesten Ballettstücke. Mit einem Ensemble von gerade einmal elf Tänzerinnen und Tänzern bringt Choreografin und Tanztheaterdirektorin Annett Göhre die tragische Geschichte des jungen Liebespaares Romeo und Julia auf die Bühne im Großen Haus. Reduziert, aber mit gewohnt großen Emotionen.
Noch bevor es losgeht, deutet eine auf den Vorhang projizierte Sanduhr an, dass die Zeit für Romeo und Julia abläuft. Dieser Handlungsstrang dürfte bekannt sein. Die Veroneser Familien Capulet und Montague sind zerstritten, die Kinder verlieben sich trotzdem und gehen im Familienzwist unter. Im Glauben, dass Julia tot sei, bringt Romeo sich um. Anschließend tötet Julia sich, weil Romeo wirklich tot ist. Dabei spielte Komponist Sergej Prokofjew sogar mit dem Gedanken, sein Ballett gut ausgehen zu lassen – einfach um den Choreografen einen Gefallen zu tun, denn Tote geben schließlich schlechte Tänzer ab, wird man im Programmheft informiert.
Auch im Ballett am Theater Ulm gibt es kein Happy End für Romeo und Julia
„Romeo und Julia“ mit Happy End? Schwer vermittelbar. Die Idee wurde zum Glück schnell verworfen. Auch in der Ulmer Inszenierung von Annett Göhre zählt die Sterbeszene zu den berührendsten Momenten. Wenn Romeo (Magnum Phillipy) mit Julias (Carmen Vázquez Marfil) leblosem Körper tanzt, ist das von einer morbiden Ästhetik, die das Publikum den Schmerz der unglücklich Verliebten deutlich spüren lässt. Insbesondere Julia-Darstellerin Vázquez Marfil lässt neben tänzerischem auch schauspielerisches Talent erkennen.
Doch nicht nur die Liebesszenen bleiben hängen. In fein choreografierten Duell-Szenen arbeiten sich die jungen Burschen aus den Familien Montague und Capulet zur spannungsgeladenen Musik Prokofjews aneinander ab. Romeos und Tybalts finaler Kampf – eine Schau.
Mit zwei bewegbaren Wandelementen arbeitet Göhre vor der Pause mit einem sehr wandlungsfähigen Bühnenbild. Ballsaal, Balkon, die Straßen Veronas – die Tänzerinnen und Tänzer schaffen sich (mithilfe von Bühnentechnikern) ihr Szenenbild ganz simpel immer neu. Nach der Pause ändert sich das. Das Bühnenbild wird noch reduzierter, schroffer und derangierter. Tybalts Tod durch Romeos Hand heizt die Tragödie weiter an.
Romeo und Julia am Theater Ulm: Liebe oder Verliebtheit?
Videoprojektionen geben der Inszenierung eine weitere Bedeutungsebene. Sie nimmt die Gefühle des jungen Paares ernst und ordnet sie gleichzeitig ein. Was Romeo und Julia haben, ist noch nicht die große Liebe und Partnerschaft auf Augenhöhe, sondern leidenschaftliches, aber noch frisches Verliebtsein unter Teenagern und womöglich etwas triebgesteuert? Im Hintergrund schwimmen auch mal ein paar Spermien durchs Bild. Ob Liebe oder Verliebtheit: Romeo und Julia lösen sich aus ihren Familien, hier auch optisch durch die Kostüme kenntlich gemacht. Das Paar legt Capulet-Lila und Montague-Blau ab und kommt in neutralem Weiß-Grau auf die Bühne zurück.
Für heitere Momente sorgt Maya Mayzel als Julias Amme, die auf ihrem ausgestreckten Entenpopo (Polster unter dem Rock verstärken den Eindruck) auch mal ein Sektglas über die Bühne balanciert. Wenn sie mit trippelnden Ballettschritten die Bühne betritt, sind ihr Lacher sicher. Auch Pater Lorenzo (Gaëtan Chailly), der mit getanzten Thai-Chi-Bewegungen den Qualm seiner Zigarre (in Anspielung auf aktuelle juristische Entwicklungen in Deutschland womöglich auch seines Joints?) verwedelt, um nicht bei dieser unchristlichen Tätigkeit erwischt zu werden, lockert die Tragödie auf.
Mit gelegentlichem Szenen- und einem langen Schlussapplaus belohnt das Premierenpublikum Annett Göhre und ihr Ensemble, in dem auch Alba Pérez González als Gräfin Capulet besonders hervorstach.
Info: Nächste Aufführungstermine am 21. April, 24. April, 4. Mai und 5. Mai. Alle Termine und Tickets unter theater-ulm.de.