Prinzessin Diana hatte gerne diesen Knick im Hals. Dann ging ihr Kopf in einer orthopädisch ungesunden S-Kurve schräg nach unten wie bei einer Verkündigungsmadonna. Ähnlich mobile Wirbel legen Modiglianis Frauen an den Tag, allerdings mit dem Unterschied, dass die meist unbekannten Schönen nicht verhuscht in die Welt blicken, sondern oft genug die Hosen anhaben, im wörtlichen Sinne, und sogar Krawatten und Matrosenkrägen unter den eher kurzen Haaren.
Dieser frühe „Boyfriend-Look“, der erst in den 1920er Jahren Mode werden sollte, fällt in der Staatsgalerie Stuttgart sofort ins Auge. In einer gemeinsamen Initiative mit dem Museum Barberini in Potsdam hat man eine frische, unvoreingenommene Sicht gewagt – und viel gewonnen. Schließlich steht da eine übermächtige Legende im Weg. Denn wenn von Amedeo Modigliani die Rede ist, überwiegen die Alkohol- und Drogenexzesse, das ewige Kränkeln, die unzähligen Affären und natürlich der frühe Tod 1920, nach dem sich die völlig verzweifelte Gefährtin Jeanne Hébuterne hochschwanger aus dem Fenster stürzt. Der sich selbst und andere zerstörende „artiste maudit“ ist eben aufregender als der bürgerliche Genius.
Modigliani 1906: Ein Italiener in Paris
Am Montmartre werden freilich weder Absinth noch Opiate verschmäht. Auch Picasso macht rege davon Gebrauch, als Modigliani 1906 in Paris eintrifft und ganz in der Nähe des abgewrackten Ateliergebäudes „Bateau-Lavoir“ Quartier bezieht. Also da, wo die Avantgarde den Kubismus und andere Visionen ausbrütet. Der 22-jährige Italiener gefällt durch sein elegantes Äußeres, zweisprachig aufgewachsen parliert er fließend Französisch. Die Frauen fliegen auf ihn, aber auch die Künstlerkollegen sind angetan vom freundschaftlich-offenen Auftreten und den überaus klugen Gesprächen.
In Modiglianis liberalem jüdischen Elternhaus in Livorno zählt vor allem Bildung, und weil das Familienunternehmen bankrott geht, bestreitet die Mutter den Lebensunterhalt mit literarischen Übersetzungen. Umgeben von intellektuellen Frauen taucht Nesthäkchen Dedo, wie er von allen genannt wird, in die Welt Dantes und Petrarcas ein. Der Großvater streift mit ihm durch die Museen, und selbst ein schweres Lungenleiden kann Amedeo nicht vom Malereistudium in Florenz und Venedig abhalten.
Modigliani im Zentrum der modernen Vorstöße
Das ist sein außergewöhnliches Fundament. Modigliani reizen aber genauso die Bohème und das Abenteuer, und er fühlt sich von selbstbewussten, musischen und unkonventionellen Frauen angezogen. Davon erzählen bereits seine ersten Porträts. In Stuttgart sind das eine blaudominierte „Jüdin“ mit bleichem Gesicht, die sich durchaus an Picassos blauer Periode orientiert, und von 1908 die offenkundig morphiumsüchtige Maud Abrantès, eine Freundin Modiglianis. So könnte es weitergehen, doch der junge Künstler sucht intuitiv nach einem eigenen Weg und befasst sich, angeregt durch Constantin Brâncusi, mit der Bildhauerei.
Natürlich studiert auch Modigliani antike Kykladen-Idole und außereuropäische Skulpturen. Nur kreist sein Interesse eher um das Phänomen der Karyatide, also weibliche Trägerfiguren, und eine „gotische“ Überlängung, wie sie die Werke Wilhelm Lehmbrucks bestimmen, den er bei Brâncusi kennenlernt. Es entstehen radikal reduzierte Büsten, doch mit dem Ersten Weltkrieg beginnt Modigliani wieder wie verrückt zu malen, Freunde und Kollegen landen auf der Leinwand, und er stürzt sich in eine On-off-Beziehung mit der englischen Journalistin Beatrice Hastings. Zigmal porträtiert er sie und findet zu seinem typischen Stil: lange Hälse, geneigte Köpfe, mandelförmige Augen, manchmal ohne Iris oder „blind“ wie bei einer Skulptur.
Auf der Leinwand entstehen Geschöpfe von großer Anmut
Parallel befasst er sich mit der Aktmalerei, angestoßen von Picassos „Demoiselles d'Avignon“, die 1916 zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zu sehen sind und Modigliani eine Antwort abringen. Mit der Dekonstruktion der Figur hat er nichts am Hut, vielmehr räkeln sich seine Nackten, als sei ihnen das alles nicht unangenehm. Vielleicht ist Modigliani der einzige Moderne, der sich ohne Vertun auf die Renaissancemalerei bezieht, obgleich er harte Anschnitte bevorzugt, ein fast ins pompejanische Rot gesteigertes Inkarnat wählt und es mit den Proportionen nicht sonderlich ernst nimmt. Doch es entstehen Geschöpfe von unglaublicher Attraktivität.
Das sind keine misslich abhängigen Prostituierten, wie unverdrossen behauptet wird, und der Skandal, den Modiglianis einzige Soloschau 1917 hervorruft, ist auch keiner. Die Galeristin Berthe Weill kommt der Schließung zuvor, indem sie den Akt des Anstoßes aus dem Schaufenster an der Pariser Rue Taitbout entfernt. Es ist die Schambehaarung, die dem Chef der nahen Polizeiwache missfällt. Womöglich auch der direkte Blick? Das Selbstbewusstsein, das zum Ausdruck kommt?
Modigliani porträtiert zu dieser Zeit eine moderne Amazone nach der anderen. Frauen, die sich wie Männer kleiden und Bubikopf tragen: Buchhändlerin Elena Povolozky etwa in Anzug und Fliege und Renée, die Gefährtin seines engen Künstlerfreunds Moïse Kisling im Garçonne-Look mit Krawatte und Bob. Nur Jeanne Hébuterne bleibt beim langen Haar, und Modigliani kann nicht aufhören, seine große Liebe festzuhalten. Tatsächlich ist das letzte Bildnis von 1919 besonders eindringlich. Jeannes kupferrotes Haar schmiegt sich wie ein Madonnenschleier um ihr geneigtes Gesicht, die türkisblauen Augen blicken ins Leere, und unter der Brust wölbt sich ihr gelber Pullover. Modigliani bleibt nicht mehr viel Zeit, am 24. Januar 1920 stirbt er an den Folgen einer tuberkulösen Meningitis.
Zuletzt waren Modiglianis Farben heller geworden
Dieses tragische Ende liegt wie ein unheimlicher Schatten über dem Œuvre. Dabei waren die Farben in den letzten beiden Jahren heller geworden, freundlicher. Die Frauen und Mädchen auf Modiglianis Bildern erzählen ohnehin eine andere Geschichte. In ihm einen Feministen zu sehen, wäre nicht abwegig.
Die Ausstellung: „Moderne Blicke. Modigliani“ – bis 17. März in der Staatsgalerie Stuttgart; im Museum Barberini Potsdam vom 27. April bis 18. August; der Katalog (Prestel, 256 Seiten) kostet 45 Euro.