Es gibt noch schmalere erhaltene Oeuvres als das des Johannes Vermeer. Und: Wenn das Reichsmuseum Amsterdam gerade damit trumpft, in der "größten Vermeer-Ausstellung aller Zeiten" jedenfalls 28 seiner heute 37 bekannten Originale präsentieren zu können, dann ist die Relation zwischen dem gesicherten Werkumfang und der Anzahl versammelter Gemälde bei einer bedeutenden Sonderausstellung in BerlinsGemäldegalerie noch einmal besser: Hugo van der Goes (sprich: van der Chuus) heißt der Maler, der zwar einer anderen Epoche, der Spätgotik, angehörte, in seiner künstlerischen Qualität aber nicht hinter Vermeer einzuordnen ist. Er war der Vierte im altniederländischen geistigen Bunde von Robert Campin, Rogier van der Weyden und Jan van Eyck.
Berliner Gemäldegalerie zeigt 12 Gemälde von Hugo van der Goes
Zwölf der 14 Gemälde, die aktuell gültig Hugo van der Goes zugeschrieben werden, dazu zwei Zeichnungen und vier Tüchlein-Malereien seiner Hand, sind nun in der Wandelhalle der Gemäldegalerie neben Zeitgenossen (Dieric Bouts und eben Rogier van der Weyden) sowie Nachfolgern zu vergleichen. Die Berliner Gemäldegalerie bietet sich für dieses Gipfeltreffen schon deswegen an, weil sie eine exquisite Auswahl altniederländischer Maler beherbergt und von van der Goes allein zwei monumentale Hauptwerke ihr Eigen nennen kann: das breite Panorama der Geburt Christi, die durch das gemalte Beiseiteschieben eines grünen Vorhangs gleichsam als eine dramatische Szene vorgeführt wird (um 1480), sowie der Monforte-Altar mit der Anbetung der drei Heiligen Könige (um 1470/1475) - jeweils frisch restaurierte, raffiniert-farbprächtige Nahsicht-Kompositionen in kühl-brillantem Licht.
Nicht allzu viel ist über Hugo van der Goes bekannt. Geboren vermutlich zwischen 1435 und 1440 in Gent, könnte er - darauf weisen künstlerische Auseinandersetzung und Qualität hin - in der Brüsseler Werkstatt van der Weydens gelernt haben. Erstmals dokumentiert wird er 1467 als Meister der Lukas-Malergilde von Gent, wo auch der Monforte-Altar entstand. 1468 zog ihn Karl der Kühne zur Ausschmückung seiner Hochzeit in Brügge heran. Das Ende Hugo van der Goes besaß Tragik - was übrigens van Gogh Anlass zu Vergleichen mit sich selbst gab: In das Roode-Kloster bei Brüssel eingetreten und weiterarbeitend, erkrankte van der Goes psychisch, wohl auch, weil er darunter litt, den vielen Mal-Aufträgen, die er erhielt, nicht Herr werden zu können.
Mit dem Monforte-Altar wagt die Gemäldegalerie ein Experiment
Im Mittelpunkt der Berliner Schau steht nun zweifellos der Monforte-Altar, wenn auch noch weitere kapitale, leuchtend-frische Gemälde wie der "Heilige Lukas" (aus Lissabon) und der "Marientod" (Brügge) vertreten sind (während der große Portinari-Altar in den Florentiner Uffizien verbleiben musste).
Mit dem Monforte-Altar wurde für diese Ausstellung auch ein künstlerisches Experiment gewagt: Abgesehen davon, dass dem Altar die Seitenflügel fehlen, wurde ein Auszug seiner Mitteltafel im 17. Jahrhundert beschnitten; dort fehlt in der Höhe eine Bildfläche von 70 mal 70 Zentimetern. Weil jedoch eine Gemälde-Kopie sowie Zeichnungen der kompletten Mitteltafel erhalten blieben - darunter eine präsentierte Zeichnung des Augsburgers Hans Holbein d. Ä., der um 1490 den Altar auf einer Niederlande-Reise gesehen haben muss -, konnte die fehlende Fläche, auch stilistisch ansprechend, rekonstruiert werden. Und nun schweben wieder Engel im Himmel über Maria, Jesus-Kind und den drei Königen, was der Komposition mehr Raum, Offenheit und Tiefe verleiht. Alles zusammen: stark empfehlenswert.
Info: GemäldegalerieBerlin: Hugo van der Goes - zwischen Schmerz und Seligkeit. Ausstellungsdauer bis 16. Juli. Öffnungszeiten täglich außer montags.