Wer Friedensreich Hundertwasser nicht nur als kurze, touristische Attraktion erleben, sondern tief in seine Kunst und Gedankenwelt eintauchen möchte, ist in der großen Sommerausstellung des Museums für zeitgenössische Kunst – Diether Kunerth in Ottobeuren gut aufgehoben. In Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Hundertwasser Stiftung Wien zeigt das Museum eine umfassende Retrospektive unter dem Titel "Im Einklang mit der Natur". Es sind allererste Aquarelle, Jugendwerke, Gemälde, Grafiken und Tapisserien des eigenwilligen Künstlers aus Österreich zu sehen.
Für die Präsentation der Kunstwerke überzeugte das Museumsgebäude
Dass die Ausstellung in das relativ kleine und beschauliche Ottobeuren kommt, ist keine Selbstverständlichkeit. Letztendlich habe das Museumsgebäude überzeugt. "Die Gegend um Ottobeuren war noch ein leerer Fleck auf der Landkarte von Hundertwasser-Ausstellungen. Aber es braucht auch ein Museum, das die entsprechenden Gegebenheiten hat", sagt Andrea C. Fürst. So bekam das Diether-Kunerth-Museum aus einer langen Liste von Bewerbern den Zuschlag. Für die Präsentation verschiedener Werkbereiche und Techniken sei das Haus ideal. Auch die Konzeption, wie der Besucher durch die Räume geführt werde, habe gefallen, sagt die Kunsthistorikerin. Sie ist Leiterin des Hundertwasser Archivs in Wien und eröffnete die Ausstellung mit einem Vortrag.
Der Besucher lernt das Denken von Friedensreich Hundertwasser sogleich an der Hängung der Bilder kennen. Nach den strengen Vorgaben des Künstlers sollen seine Gemälde und Grafiken mit einem bestimmten Abstand vor den Wänden angebracht werden. Es entsteht der Eindruck eines luftigen Schwebens, das den Bildern eine noch stärkere Strahlkraft und eine besondere Aura verleiht. Auch die Höhe der Hängung hat der Maler genau vorgegeben, erklärt Andrea Fürst.
Hundertwasser entwickelte seine Technik, bevor er an der Kunstakademie war
In ihrer Einführung wies sie auf den heute nahezu vergessenen deutschen Maler Werner Kampmann hin, der Hundertwasser stark beeinflusste. Dessen Darstellung von Bäumen empfand der junge Maler als "Seelenbäume". Auch Egon Schiele war prägend für Hundertwasser. Das wird besonders deutlich beim Aquarell "Ornamentierte Aktzeichnung" von 1950/51, das die gelb-orange Farbigkeit und die Frauendarstellung von Schiele durchspielt. An seinen ersten Aquarellen, einem Selbstporträt des 19-Jährigen und einer Bleistiftskizze seiner Mutter, kann man sehr gut nachvollziehen, wie Hundertwasser sein handwerkliches Können entwickelt, noch ehe er auf die Kunstakademie in Wien geht. Die bricht er allerdings nach nur drei Monaten ab und geht auf Reisen. Schließlich lebt er einige Jahre in Paris.
Schon Mitte der Fünfzigerjahre fand die Form der Spirale Einzug in sein Werk. Sie lässt ihn bis zuletzt nicht mehr los. Für Hundertwasser ist sie Sinnbild des Schöpfungsaktes. Die Spiralen und Linien in seiner Malerei entwickeln sich vegetativ und organisch. Bekanntlich betrachtet der Maler eine mit dem Lineal gezogene, gerade Linie und rechte Winkel als "verbrecherisch" und "unmoralisch". Er lehnt jede mechanische Standardisierung ab. Das Naturhafte seiner Bilder, die für ihn wie Lebensringe eines Baumes sind, wird besonders augenfällig in dem großformatigen Bild von 1994 mit dem Titel "Unendlichkeit ganz nahe".
Auch Architekturmodelle von Hundertwasser sind in Ottobeuren zu sehen
Noch einen Vorteil hat das Museum in Ottobeuren: Es bietet ausreichend Platz für drei großflächige und grandiose Architekturmodelle. Wie kaum ein anderer Künstler seiner Generation hat Hundertwasser versucht, Leben und Kunst zu verbinden und seine Überzeugungen mit Architektur in die Praxis umzusetzen. Egal, ob beim Fernwärmewerk Spittelau, beim Bahnhof von Uelzen oder beim Familienzentrum für schwer kranke Kinder in Essen, überall setzt er die erwiesenermaßen heilende Wirkung der organischen Linie durch. Gerade an seinen wunderschönen Modellen, auch an seiner "Humustoilette" und der frisch angelegten "Pflanzenkläranlage" sieht man, wie früh Hundertwasser seiner Zeit voraus war. Im ersten Stock sind seine Plakate für den Schutz der Umwelt zu sehen. Mit den von ihm entwickelten Begriffen "Fensterrecht" und "Baumpflicht" würde er sicher auch heute noch für sein erdverbundenes Umwelt- und Schöpfungsverständnis eintreten.
Die reichhaltige Retrospektive in Ottobeuren zeigt, dass die Kunst von Hundertwasser seit seinem Tod im Jahr 2000 nichts von ihrer Kraft und tiefgründigen Inspiration verloren hat. Im Gegenteil: sie nimmt mit jedem Tag an Aktualität und Relevanz zu.
Die Ausstellung ist bis 22. Oktober zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag: 11 - 16 Uhr; Samstag & Sonntag: 12 - 17 Uhr; Katalog für 22,80 €.