Ob Journalist oder Kunsthistorikerin, ob Museumsbesucher oder Fan – am Ende stellen sie alle dieselbe Frage an Virginia Jean: „Die Frage, die ich am häufigsten gestellt bekomme, noch vor der Frage, wo denn hier bitte die Toiletten sind, das ist die Frage: Wer ist Banksy?“ Ja … weiß sie das? Weiß sie mehr? Vielleicht gibt sie ja doch noch ein Geheimnis preis? Banksys echten Namen? Sein Alter? Die Schuhgröße? Schließlich gilt die Britin Virginia Jean als Expertin für Banksy – den „bekanntesten Unbekannten der Welt“, so nennt sie ihn selbst. Und jetzt präsentiert Jean eine neue Ausstellung in München – über das Phantom unter den Street-Art- und Graffiti-Künstlern, dieses Geheimnis namens Banksy.
Für diese Schau in der Galerie B-Tween haben acht Graffiti-Künstler gut 200 Werke von Banksy nachgesprüht. 800 Meter Wand haben sie mit 60 Murals, also Mauergemälde bedeckt. „Die größte Präsentation von Banksy-Kunst weltweit“, nennt die Kuratorin die Schau. Wobei sich kein einziges Original an den Wänden findet – ja, wie denn auch? „80 bis 90 Prozent dieser Werke sind im Original nicht mehr öffentlich zugänglich“, erklärt Jean. Macht die News die Runde, dass da ein neuer Banksy aufgetaucht ist, an einer Straßenecke irgendwo auf dem Globus, dann werde das Werk binnen Stunden übersprüht, von Konkurrenten übermalt, oder schlicht und brutal: aus der Wand gerissen und verkauft. Street-Art für Millionen – Millionen von Fans und Millionen von Pfund und Dollar: Die Schau „House of Banksy“ gibt diesem Mythos nur noch mehr Farbe und Futter.
"House of Banksy" spürt in München dem Phänomen nach
Im Untergeschoss eines Gebäudes am Münchner Stachus, in dem früher die Galeria Kaufhof ihr Warensortiment ausbreitete, macht sich jetzt die Marke Banksy breit: Schmuddelecken mit Blechdosen, Mülltonnen und Autoreifenstapeln für dekoratives Straßenflair – diese Szenenbilder sind den Originalorten nachempfunden: Banksy entdeckte einmal ein zerbeultes Fahrrad, jemand hatte das Hinterrad gestohlen. Und was machte der Brite? Sprühte ein Mädchen an die Hinterwand, das einen Fahrradreifen als Hula-Hoop-Ring um sich kreiseln lässt. Und darin liegt die Tücken, diesen Banksy in eine Ausstellung zu verpacken: Banksys Kunst ist ortsgebunden, sie arbeitet mit dem Originalschauplatz. Ryan, der Obdachlose, schlief laut der Legende immer auf derselben Parkbank, bis Banksy einen Schlitten als Wandbild an seine Bank heran malte, mit zwei Rentieren. Ryan wurde zum schlummernden Santa Claus. Jetzt haben sie seine Schlafstätte in München nachgebaut. „Banksy hat einen Blick für alltägliche Situationen“, sagt Virginia Jean. „Seine Kunst verliert ihren Sinn, wenn sie aus ihrem Kontext gerissen wird.“
Banksys Kontext ist die Straße, aber: Sprayt er seine Werke noch selbst? Hat er Helfer und Stellvertreter? Ist das noch Street-Art oder Kunstmarkt-Lieferware? Sprayt Banksy noch heimlich und illegal, hält die Schablonen an die Wand und drückt ab? In einer Ecke der Ausstellung haben sie dazu ein Bühnenbild gezimmert: Banksys Werkstatt. Ein Vermummter im Hoodie sitzt an seiner Werkbank, die Fenster hat er mit Zeitungspapier verklebt, Regale mit Spraydosen überfüllt. Auch dieses Bild ist Schablone: Die Szene ist kopiert aus einem Film, den Banksy selbst veröffentlicht hatte, ohne sein Gesicht zu zeigen. Wie tritt so ein Mann in Kontakt mit der Welt? Da gibt es ein offizielles Management, einen Instagramkanal zur Verifizierung eines jeden neuen Banksys – und drumherum eine dicke Spray-Wolke von Gerüchten. Davon lebt die Schau, die von München über Breslau, Tallinn und Posen zieht, Banksy ist on tour.
2006 begann der Banksy-Wahnsinn mit Brad Pitt und Angelina Jolie
Ein Lebenslauf verziert die Wand: Stationen, Kunstaktionen von Kalifornien bis zur Ukraine. „Und das sind nur die Highlights der letzten 25 Jahre“, sagt die Expertin. Die ganz große Banksy-Hollywood-Show begann einst mit einer Ausstellung im September 2006: „Barely legal“, also „kaum legal“ nannte er seine Schau in einer Lagerhalle in Los Angeles. „Die Gästeliste war vom Feinsten“, sagt Virginia Jean, darunter Brad Pitt und Angelina Jolie. An der Wand hingen Banksys „Crude oils“ – kitschige Ölbilder, vom Flohmarkt gerettet, aber von Banksy mit Gags verziert, mit Äffchen und Ufos. Doch viel spektakulärer war der größte Besucher der Ausstellung: ein echter, leibhaftiger Elefant wanderte durch die Halle, himbeerrot angemalt, mit goldenen Ornamenten verziert. In der Münchner Ausstellung? Steht – in Nachbildung – ein rosa rätselhafter Plastikelefant im Raum.
Typisch Banksy: dekorativ, plakativ, mit kritischem Anstrich. In Gemälden hat er die britische Queen porträtiert, mit eiserner Frisur und Affenantlitz. Parallel zur Schimpansenqueen prangt eine Riesenkopie seines „Affenparlaments“ an der Wand: Englands Oberhaus, Parlamentarier als wilde Schimpansen, hier begleitet durch die Soundkulisse von Boris Johnsons letzter Parlamentsrede. Banksy der Establishment-Kritiker? Der Antikünstler? Der Antikapitalist? Friedensbotschafter und Robin Hood? „Banksy weiß unheimlich gut, mit dem Kunstmarkt zu spielen“, sagt Jean. Das Original-Affenparlament wurde 2009 für knapp 10 Millionen Pfund verkauft. „Dieses Bild hat seit über zehn Jahren niemand mehr zu Gesicht bekommen.“
Banksy setzt auch im Kriegsgebiet der Ukraine seine Signale
Die Moral der Ausstellung führt zu Bildern der Gewalt, die Banksy mit Beigabe von Ironie oder Poesie, Satire oder Kitsch verwandelt. Sein Selbstporträt ist ein Bombenwerfer, nein, genauer ein Blumenwerfer mit Wurfbouquet in der Hand. Ihn hat er im Original auf palästinensischem Gebiet an eine Mauer gesprayt. Über diese Wand, hier nachgebaut, fliegt auch eine Friedenstaube im roten Fadenkreuz. „Banksy kehrt immer wieder zur palästinensischen Mauer zurück“, erklärt Virginia Jean. Auch in der Ukraine sprayt der Brite seine Bilder an zerbombte Fassaden im Kriegsgebiet. Berühmtes Motiv: Ein kleiner Junge, der einen großen Judoka übers Kreuz legt und zu Boden streckt – dass Wladimir Putin sich gerne als Judoka inszeniert? Natürlich Zufall.
Dieser politische Pfad durch die Schau endet bei einem Schiffsmodell in der Vitrine: Banksy hat die Louise Michel gestiftet, ein Boot, das Menschen auf der Flucht im Mittelmeer rettet. In der Ausstellung nun hängt vor dem Miniatur-Schiff eine Spendenbox. Banksy, der Künstler mit Gewissen? Selbstlos und gut? „Was er vermitteln will: Geld ist an sich nichts Schlechtes. Es kommt darauf an, was wir damit machen“, sagt Virginia Jean. „Wir wollen Banksy unterstützen, in allem, was er tut.“
Letztens, Ende Juni, hat er schon wieder eine Aktion angezettelt: Beim britischen Glastonbury Festival klang Punk von der Bühne – und über der Menge schwebte ein Gummiboot. Puppen in Rettungswesten wackelten darin, als das Plastikboot im Crowdsurfing über die Häupter glitt. Dieses Schiff hatte Banksy auf den Weg geschickt, als Signal für die Seenotrettung. „Er ist schon lange nicht mehr nur Street-Art“, sagt Jean.
Info: "House of Banksy – A Genius Mind", Ausstellung im B-Tween, bis 27. Oktober. Infos unter www.mystery-banksy.com.