Und das soll nun ein Verwandter des kleinen Wassermanns sein, den alle Kinder so lieben? Mit warziger Haut, Glupschaugen und breitem Maul sitzt das froschartige Wesen in einer Radierung von Ferdinand Staeger unter einer Weide und blickt grimmig durch die Gegend. Hässlich und abstoßend ist es und hat so gar nichts zu tun mit jenem Jungen mit roter Zipfelmütze auf den grünen Haaren, der in der Illustration von Winnie Gebhardt-Gayler vergnügt auf einem Fisch durchs Wasser gleitet. Doch das Gruselwesen und Otfried Preußlers berühmte Kinderbuchfigur haben eine enge Verbindung.
In Böhmen hatten die Sagen von Wassermännern, die mit Zauberkräften und Harfenklängen junge Mädchen in ihre Unterwasserwelt zogen, ihren Ursprung. Und aus Böhmen, genauer gesagt Reichenberg (dem heutigen Liberec), stammte auch Preußler, der nach dem Krieg und der russischen Gefangenenschaft im bayerischen Haidholzen (bei Rosenheim) eine neue Heimat fand. Seine Herkunft und die Geschichten der Menschen aus dem Isergebirge prägten ihn ein Leben lang. Und sie fanden Eingang in seine Bücher. Welchen Einfluss die böhmische Heimat auf Preußlers Schaffen hatte, zeichnet zum Anlass seines 100. Geburtstages am 20. Oktober die Ausstellung "Ein bisschen Magier bin ich schon …" im Sudetendeutschen Museum in München nach.
Preußlers Kinderbuchfiguren gehen auf böhmische Schauergeschichten zurück
Es ist ein Prinzip, das sich durch die Kinderbücher Preußlers zieht: Der kleine Wassermann, die kleine Hexe, das kleine Gespenst – alle drei haben sie Ahnen, die in der böhmischen Sagenwelt eher Schrecken als Vergnügen verbreiteten. Preußler verwandelte sie in seinen Büchern zu liebenswerten Gestalten, die für Kinder zu Identifikationsfiguren wurden. Hässliche alte Hexen mit Hakennase und Buckel, die mit dem Teufel im Bunde waren, wurden zur erst 127 Jahre alten kleinen Hexe, die immer nur Gutes tun will. Und das kleine Gespenst, das aus Versehen schwarz wird, hat seine Vorläuferin in der Weißen Frau, die auf den Burgen der Adelsgeschlechter herumspukte.
In acht Nischen, dekoriert mit Illustrationen, Fotografien, Zitaten, Marionetten und Filmrequisiten, führt die von Eva Haupt kuratierte Ausstellung mitten hinein in das Werk Preußlers, und zeigt Zusammenhänge auf. Kleine Filme, in denen die Künstlerin Nadia Ischia drei der Bücher von Preußler mit Sand Art illustriert, ergänzen die Faktenlage um eine poetische Note.
Großmutter Dora war die Geschichtenerzählerin
Ihren Ursprung hatten die Kinderbücher Preußlers in den Geschichten, die er seinen drei Töchtern und als Lehrer seinen Schülern erzählte. Der Autor setzte damit eine Familientradition fort, denn schon seine Großmutter Dora war eine begnadete Erzählerin. Abends in der Dämmerstunde lauschte er ihr oft. Angeblich, so erzählte es die Großmutter ihrem Enkel, seien jene Geschichten alle in einem alten dicken Buch gesammelt, aber als die Geschichten immer wieder mal eine neue Wendung nahmen, wuchs das Misstrauen des kleinen Otfried an der Existenz jenes sagenhaften Buchs und später notierte er: "Großmutters dickes altes Geschichtenbuch, das es in Wirklichkeit überhaupt nicht gegeben hat, ist das wichtigste aller Bücher für mich."
Ganz real waren hingegen die Spaziergänge, die Preußler mit seinem Vater unternahm. Josef Preußler, als Lehrer ein belesener Mann und nebenberuflich Heimatforscher und Betreuer des Reichenberger Heimatmuseums, sammelte volkstümliche Geschichten aus Böhmen und Schlesien. Mit Rucksack und Wanderstock zog Otfried oft mit ihm durch die Dörfer des Isergebirges, hörte von den Hexen, Wiedergängern und Raubschützen und tauchte in den einfachen Berghütten tief in die Märchen- und Sagenwelt der Region ein, die für ihn später auch zum Fundus seiner eigenen Erzählstoffe wurden.
Denn das wusste Preußler schon damals, als er die Streifzüge mit seinem Vater unternahm: "Ich werde einmal Geschichtenerzähler." Und als solcher – und nicht als Schriftsteller – verstand sich der 2013 verstorbene Preußler auch zeit seines Lebens. Augenfälliges Zeichen dafür ist in der Ausstellung das Diktiergerät, in das er seine Geschichten bei langen Spaziergängen hineinsprach, um sie erst später zu Papier zu bringen.
Geschichten halfen Otfried Preußler, die Kriegsgefangenschaft zu überstehen
Bevor es dazu aber kam, ging Otfried Preußler als junger Mann durch eine bittere Zeit. Nach dem Notabitur 1942 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und an die Ostfront geschickt. 1944 geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Fünf Jahre seines Lebens verbrachte er in Lagern, in denen Krankheiten und Hunger herrschten und in denen er die Erfahrung machte, dass das Erzählen nicht nur ein heimeliger Zeitvertreib im Arm einer Großmutter sein, sondern auch helfen kann, schwere Zeiten zu überstehen. Gegenseitig erzählten sich die Gefangenen Geschichten und rezitierten Gedichte, um sich über das Elend zu tragen.
Eine Geschichte wiederum war es dann aber, die die Erinnerungen an die Traumata aus Krieg und Gefangenschaft später wieder aufbrechen ließ. Zehn Jahre arbeitete Otfried Preußler an dem Jugendroman "Krabat", der 1971 erschien – einem seiner wichtigsten und persönlichsten Bücher. "Krabat" geht auf eine sorbische Volkssage zurück, die der Schriftsteller in seiner Kindheit gehört hatte und er formte sie um zu der "Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit finsteren Mächten einlässt, von denen er fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich da eingelassen hat." Preußler spielte damit auf seine eigene Nähe zu den Nationalsozialisten in der Jugend an. Sein erstes Manuskript "Erntelager Geyer", das er als 17-Jähriger geschrieben hatte, handelt von einem Arbeitslager der Hitlerjugend im Rahmen eines Ernteeinsatzes, das 1944 in Deutschland erschien, als Preußler schon im Kriegseinsatz war.
Wie der Räuber Hotzenplotz zu seinem Namen kam
Seine Herkunft trug Otfried Preußler also ein Leben lang in sich und die böhmische Spur, die diese Kinder wie Erwachsene ansprechende Ausstellung nun nachverfolgt, findet sich in seinem Werk an vielen Stellen. Auch in Namen wie Höbe und Humpelkeil. Der berühmteste aber, war eigentlich gar keiner für eine Person. Hotzenplotz ist ein kleines Dorf in Mähren, dessen Name sich wohl nie ins Gedächtnis mehrerer Generationen eingebrannt hätte, hieße nicht jener Räuber so, der ein polterndes Großmaul und mit sechs Pfefferpistolen bewaffnet ist.
"Ein bisschen Magier bin ich schon..." Otfried Preußlers Erzählwelten. Sudetendeutsches Museum München, Hochstraße 10; Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr; Laufzeit bis 12. November