Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder – meist von hoch oben, vom Dachboden. Im Pappkarton schlummernd, mit all den anderen geschnitzten Holzkrippenfiguren, hat es dort lange Monate in einem dunklen Winkel auf seinen nächsten Auftritt gewartet. Und so liegt es dann am 24. Dezember endlich im Stroh, das Jesulein. An seiner Seite lächeln Ochs und Esel, Josef und Maria und Markus Söder ... Markus Söder? In dieser Krippe der etwas anderen Sorte steht ein Mann im Anzug mit staatstragender Haltung nah bei der Heiligen Familie. Unzweifelhaft: Bayerns Ministerpräsident. Treibt da einer einen Scherz mit dem Begriff des Heilands? Mit dem weisen König von Amts wegen?
Aber rund um Söder hat sich Bethlehem sowieso in eine Großstadtszenerie verwandelt, fern von jedem biblischen Stallduft: Hochhäuser, Baucontainer,Verkehrsschilder. Dieses Modell hat der bayerische Künstler Rudi Bannwarth geschaffen. Aktuell ist es im Bayerischen Nationalmuseum zu bestaunen – neben der klassisch-traditionellen Krippenausstellung zeigt das Museum in diesem Jahr solche Weihnachtskrippen der Gegenwart: "Crazy Christmas", verrückte Weihnacht. Politisch, kritisch, apokalyptisch.
Rudi Bannwarths Krippe eröffnet ein Münchner Panorama
Bauen sie in Bannwarths Krippe die zweite Münchner Stammstrecke? An der Dauerbaustelle Gasteig? Oder bröckelt und zementiert sich hier einfach nur der menschliche Alltag im Straßengewusel einer Metropole? "Nicht das Wie und Wo der Geburt Jesu ist das Entscheidende, sondern die Wahrnehmung und die Reaktion auf das, was geschieht", hat der Künstler erklärt. Und hier reagiert ein Erzengel in der Latzhose: Die Figur grübelt mit der Hand am Kinn über der Szenerie, von seiner Empore aus, einem Baucontainer. Unten auf der Straße steht und wartet ein Migrant mit seinem Kind im Arm hinter einem Bauzaun. Zutritt zum Christuskind verboten? Josef, im Urtext Zimmermann, ist jedenfalls in Bauhof-Orange und Helm gekleidet – bodenständig. Bannwarth hat dieses Breitbild-Modell zwischen 2015 und 2021 geschaffen, aus Holz und Stahl. Der wichtigste Baustoff scheint aber die Sozialkritik. Graffitis an den Wänden mahnen "Glaube, Liebe Hoffnung", warnen "Gier frisst Hirn".
Auch die Konsumkritik zieht in den Stall ein, darin ähneln sich viele der Exponate von "Crazy Christmas". Eckhart Hahns Acryl-Malerei "Anbetung der Könige" zeigt gestochen scharf, fast fotorealistisch, eine Christo-Verpackungs-Kunstaktion: Das Gemälde hüllt die Krippen-Bewohner in Einkaufstüten aus Plastik, quietschgelb mit Edeka-Schriftzug. Ein Bild von Peter Paul Rubens war dem Künstler ins Auge gefallen – und mit seinem Werk entzieht er die heilige Konstellation dem Blick. Schönheit und Schein verhüllen die Weihnacht. Und wenn die Geschenke ausgepackt sind? Dann schaltet Mutter den TV-Apparat ein. Im Kasten eines Röhrenfernsehers hat Rudi Bannwarth wiederum den Heiligen Abend nachgebaut. Die Eltern sind erschöpft in die Couchgarnitur gesunken, das Kind starrt in sein Tablet. Hinter dieser Form steckt das Prinzip der festen Kastenkrippe, so wie sie in Bayern Tradition hat, auch "Faulenzerkrippe" heißt. Hier verpasst ihr der Künstler ein Update.
Peter Sauerers Krippen wirken wie Modelleisenbahn-Landschaften
Die Krippe geht mit der Zeit, sie geht mit dem Weltgeschehen. Der Geist der Blumenkinder, der Hippie-Jahre leuchtet in einer 1968er-Krippe von Walter Tafelmaier aus München. Bunte Figuren auf Sperrholz gemalt und gesprüht, wie aus einem Pop-Traum der Beatles, im Wellengang von "Yellow Submarine". Aber was hat hier das Männlein im Stahlhelm im Bild zu suchen? Sticht da die Friedensbewegung gegen die Militärpolitik der USA in den 60er-Jahren? Und so richtig brennend nimmt sich die Krippen-Serie von Peter Sauerer aus Walleshausen/Geltendorf aus. Aus Papier, Pappe und Buntmetall hat er im Jahr 2020 eine ganze Serie an Kripplein gebaut, die dem Lauf christlicher Festtage folgen – Mariä Himmelfahrt bis Lichtmess. Eine Holzhütte steht jedes Mal im Modell, als Mittelpunkt in einer Art Märklin-Modellbahn-Landschaft. Dabei haben auch Figuren der Zeit einen Auftritt, ein winziger Joseph Beuys, ein Gerhard Polt. Doch so possierlich ist das Werk nur auf den ersten Blick: Sauerers Szenen fallen in eine Zeit nach der großen Apokalypse. Die Bretterbude spiegelt Armut, manche Figuren tragen Gasmaske. Und, wie listig und gefährlich In jeder Szene lugt ein Teufel mit Hörnchen um die Hüttenecke. Glaube nach der Katastrophe. Erlöser dringend gesucht.
Was ist der harte Kern der Weihnachtsbotschaft? Manche Künstler und Künstlerinnen reduzieren diese Urform der Familienaufstellung bis knapp vor Unkenntlichkeit: Kleine Bronzestäbe stehen als Platzhalter auf weiter Flur in Anton Hillers "Figurengruppe". Seine größte Irritationskraft entwickelt der Minimalismus in Edward Kienholz' Krippe von 1961, das Jesuskind trägt eine blinkende Baustellenleuchte anstatt eines Köpfleins, ein kopfloser Pudel ersetzt ein Lamm. In vielen Beschreibungen zu den Werken liest man, dass sie seinerzeit eine Kontroverse, eine Empörung auslösten. Selbst jene, die doch eigentlich nur warnen, dass die Weihnachtsbotschaft in und an der Gegenwart zerbricht. Selbst jene, die sich anlehnen an die Opulenz altherkömmlicher Krippen: Silberne prächtige Wunderelefanten, Pferde mit Flügeln, sie bevölkern Rupert Stöcks Modell von 1970.
Das Bayerische Nationalmuseum zeigt neue und alte Krippen
Als eine der ältesten auf dieser Welt gilt die Weihnachtskrippe in der Kirche Santa Maria Maggiore in Rom. Arnolfo di Cambio schuf sie im Jahr 1289 aus Alabaster, sie zeigt den Besuch der Könige. Solchen historischen Wurzeln der Krippen-Kultur geht auch das Bayerische Nationalmuseum nach: Sich allein für die verrückte Weihnachtsschau auf den Weg zu machen, wäre fast zu viel an Aufwand, dafür ist ihr Umfang zu klein und überschaubar. Im Nationalmuseum hat aber zeitgleich die Ausstellung mit traditionellen Krippen geöffnet. Im Kontrast der Jahrhunderte liegt der Reiz: Krippen halten die Geschichte in einem Bild an. Und dieser Moment lässt sich in jeder Epoche auf neue Art deuten.
Info: "Crazy Christmas" im Bayerischen Nationalmuseum, bis zum 28. Januar 2024.