Seine Werke stehen wie Solitäre in einer weiten Kunstlandschaft. Alles haben sie überdauert, schon weil diese Bilder gar nicht erst einer Mode gefolgt sind oder gefällig sein wollten. Vielmehr haben sie irritiert. Der einsame Mönch etwa vor einer düster-trostlosen Leere, der gebieterische Watzmann in seiner schieren Unbezwingbarkeit oder das krude Eismeer, das heute noch wie eine futuristisch formulierte Apokalypse daherkommt – und aus der Nähe wie ein perfekter Bühnen-Fake aus Styropor wirkt.
Caspar David Friedrich erzählt keine gemütvollen Geschichten von rotbackigen Mägden und zugeneigten Wanderburschen. Arkadien hat ausgedient, und es gibt auch nichts Heiteres, in das man sich einlächeln möchte. Wo Raum wäre für kleine Aufreger – und an Felsklippen und Unterholz mangelt es keineswegs – übt er sich in Verzicht. Konsequent entzieht sich Friedrich den Erwartungen, nichts scheint seiner Kunst etwas anhaben zu können. Und dennoch oder gerade deshalb musste man diesen Maler immer wieder retten, so wie ihn der Bruder im Dezember 1787 aus dem Wasser zog.
Nach seinem Tod verschwanden Friedrichs Werke erst einmal von der Bildfläche
Das beginnt schon damit, dass Friedrich kurz nach seinem Tod 1840 von der Bildfläche verschwand. Kein Hahn krähte nach ihm, bis der norwegische Kunsthistoriker Andreas Aubert beim Besuch der Nachkommen in Dresden Feuer fing und dann den Werken detektivisch nachspürte. In der Berliner Zeitschrift „Kunst und Künstler“ begann er um 1900 in den höchsten Tönen zu schwärmen, und man hat fast ein Déjà-vu, denn bei Vermeer verhielt es sich ähnlich. Der Enthusiasmus Auberts hat jedenfalls Museumsdirektoren die Augen geöffnet und sie zu beträchtlichen Ankäufen angestachelt: allen voran Alfred Lichtwark in Hamburg, Hugo von Tschudi in Berlin und Woldemar von Seidlitz in Dresden. Entsprechend wird dort der 250. Geburtstag Friedrichs im September 2024 mit großen Ausstellungen gefeiert.
Dass er bekannt und gleich populär wurde, ist der ersten Superschau 1906 in Berlin zu verdanken. Seither gilt Friedrich als der deutsche Romantiker und Seelengründler, und leider fanden auch die Nazis Gefallen an ihm. Als „blonder Hüne“ aus dem Norden wurde er aufs germanische Heldenpodest gezerrt, und in ihren Brusttaschen trugen die Soldaten im Zweiten Weltkrieg seine Bilder in einem Büchlein direkt überm Herzen.
Caspar David Friedrichs Kompositionen waren radikal modern
Wieder wurde eine Rettungsaktion nötig, und in diesem Fall war es 1974 Hamburgs österreichischer Kunsthallen-Direktor Werner Hofmann, der genau hinsah und Friedrich in einem fulminanten Kraftakt vom braunen Ballast befreite. Hofmann hat die klaren Kompositionen und die radikale Modernität betont, er analysierte das Konstruieren einer Stimmung aus Einzelteilen auf der Basis unzähliger Zeichnungen „nach der Natur“. Daher ist das Skizzenbuch, das kürzlich für 1,8 Millionen Euro bei Grisebach versteigert wurde, so wertvoll.
50 Jahre nach Hofmann und einigen erhellenden Präsentationen muss einem also ein neuer Dreh einfallen. Und vielleicht ist es sogar von Vorteil, dass der heutige Direktor Alexander Klar mit Blockbuster-Formaten nichts am Hut hat und geradezu manisch darauf bedacht ist, die alte Garde der Kunsthalle mit der Gegenwart zu verbandeln. Da liegt das Verhältnis von Mensch und Natur fast auf der Hand, die Klimakrise steht im Raum. Gut 20 Künstlerinnen und Künstler, die im zweiten Teil der Schau mit Friedrichs Bilderwelten in eine Zwiesprache treten, spielen mal mehr, mal weniger auf eine aus der Balance geratene Natur an. Von David Claerbouts digitaler Feuersbrunst bis zu Johanna Karlssons Dioramen, die das Kaputte schon andeuten, oder Swaantje Güntzel, die – in Rückenansicht – einen Joghurtbecher aus Plastik in einen norwegischen Fjord wirft.
Die 200 Jahre alten Landschaften erhalten eine Tiefe und Dringlichkeit
In diesem Umfeld erhalten die 200 Jahre alten Landschaften mit ihren Extremen eine andere Tiefe und Dringlichkeit, besonders die Ikonen, die alle in Hamburg versammelt sind: die Kreidefelsen aus Winterthur und der Mönch aus Berlin, aus der eigenen Sammlung das Eismeer und der berühmte Wanderer über dem Nebelmeer. Dass der fragile Tetschener Altar nicht reisen darf, ist in profanen Zeiten zu verschmerzen. In der Ausstellung sind genügend Kreuze vertreten, am überzeugten Protestanten Friedrich kommt man nicht vorbei. Natur hat für ihn Schöpfung im klassischen Sinne bedeutet. Deshalb erfährt jede Distel und jedes Blättchen Wertschätzung, man kann das auf den rund 100 Zeichnungen minutiös verfolgen. Das ist der Baukasten, aus dem Friedrich sich ständig bedient und Details zusammensetzt, die so in der Realität nicht existieren, aber die Idee einer Natur wiedergeben und ein neues Sehen vermitteln.
Dieser Maler braucht keine zur Schau gestellten Emotionen, um Sehnsüchte zu entfachen. Seine Figuren stehen mit dem Rücken zum Betrachter und ziehen ihn ins Bild, das ist Friedrichs grandioser Kniff. Daher tun diese an sich einfachen symmetrischen Gemälde so schnell Wirkung. Und weniger ist mehr. Wohlweislich hat er häufig im Nachhinein reduziert und bereits angelegt Schiffe übermalt wie beim Mönch oder dem späten „Meeresufer im Mondschein“. Leere schafft Raum für Gedanken und Gefühle, auch von der Machtlosigkeit und vom Ausgeliefertsein der Kreatur. Im Eismeer begraben die sich auftürmenden Schollen ein Segelschiff. Friedrich hat um 1824 seine Studien von der zwei Jahre zuvor gefrorenen Elbe verwendet, das Thema der Polarexpedition lag damals in der Luft – oft mit tödlichem Ausgang.
Es ist die menschliche Hybris, die zur Katastrophe führt. Doch man sollte sich davor hüten, Caspar David Friedrich gleich noch als frühen Umweltpropheten zu vereinnahmen. Das macht ihn zwar so aktuell wie nie zuvor, aber das lässt die anderen Dimensionen übersehen, und wahrscheinlich muss er irgendwann auch wieder vor diesem Zugriff gerettet werden.
„Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“, bis 1. April in der Hamburger Kunsthalle, Katalog (Hatje Cantz Verlag, 512 Seiten, 54 Euro), Karten unter tickets.hamburger-kunsthalle.de