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Frankfurt am Main
Augsburg als Dreh- und Angelpunkt prachtvoller Kunst
Was in der alten Reichsstadt zu Beginn des 16. Jahrhunderts an Hochrangigem produziert wurde, heute aber verstreut ist auf die Museen Europas, zeigt in einer großartigen Schau das Städel-Museum Frankfurt.
Rüdiger Heinze
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:04 Uhr

All die Schaulustigen, die fasziniert sind vom Ereignis der glanzvollen Kunst Augsburgs um 1500, haben jetzt nach Frankfurt zu reisen. Dort, im Städel-Museum, ist die alte schwäbische Reichsstadt Dreh- und Angelpunkt einer großartigen Schau rund um die Malerfamilie Holbein, rund um Hans Burgkmair den Älteren und auch die anderen Künstler der frühen Neuzeit im Umkreis von Kaiser Maximiliam I., die in der betuchten Stadt konkurrierten und zusammen wirkten. Dort ist zusammengeführt, was am Lech an hochrangiger Kunst vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten nach 1500 entstand, heute aber verstreut ist auf Museen zwischen Kopenhagen und Madrid, London und Wien.

Und in Frankfurt wird das Publikum vor den Toren Augsburgs praktisch begrüßt durch Vater Holbein selbst, der als Erstes stolz den Dom zeigt, für dessen Kapitel er gerade malerisch tätig war – und als zweites zu sich nach Hause eilt, ins Holbeinhaus der Unterstadt, wo er mit Bruder Sigmund und den Söhnen Ambrosius und Hans meisterlich werkelt. Später dann führt er – in diesem Video – zu bedeutenden Stätten und Baustellen seiner Zeit, zur Marienapotheke, wo er seine Farben ersteht, zur Badstube, in das Gesellschaftsleben der Stadt und zur damals einzigen Orgel in ihren Mauern, tönend aus der Fuggerkapelle – quasi das klingende Herz dieses auch von Dürer konzipierten Zentrums der Frührenaissance nördlich der Alpen.

Mehrere Leihgaben kommen aus Augsburg

Der Fuggerkapelle auch ist die erste Station dieser Schau gewidmet – was direkt erstaunt, sind doch die exzellent erhaltenen, ungewöhnlich farbfrischen Flügelbilder der kleinen Orgel in Nahsicht mit den Augen abzutasten. Auf ihnen erzählt Jörg Breu d. Ä. von der Geschichte der Musik, respektive ihrer Entstehung. St. Anna ist die Leihgeberin, während die Augsburger Kunstsammlungen (neben dem Bronze-Neptun vom einstigen Fischmarkt) auch zwei Putti Hans Dauchers von der Ballustrade der Kapelle beisteuern (jene 2018 erst wiederentdeckten!) und das Bode-Museum Berlin zwei Büsten vom ehemaligen Chorgestühl.

Den Fuggerkapellen-Prolog der Schau hatte sich Kurator Jochen Sander ebenso gewünscht wie den Epilog-Raum zu Holbeins genialem Zweitgeborenen: Hans Holbein der Jüngere. Das Kunsthistorische Museum in Wien, wohin die Schau im Februar wandert, war mit dieser Rahmung einverstanden, als es plante, Holbein (1464 – 1524) und Burgkmair (1473 – 1531) anlässlich Holbeins 500. Todestag 2024 zu koppeln – und einen Museumspartner dafür suchte. So glänzt Augsburg also an Main und Donau. Bedeutung erkannt.

Der Sohn überflügelt den Vater bei Weitem

Weiter im Rundgang. An den Raum zur Fuggerkapelle schließt sich ein Raum mit Silberstift- und Ölporträts der Augsburger Elite Anfang des 16. Jahrhunderts an, darin sich Brautwerbungs-, Hochzeitsbildnisse – wie jenes noch spätgotische von Burgkmair zu Jakob Fugger und Sibylla Artzt – sowie Freundschaftskonterfeis reihen, eines der künstlerischen Standbeine Holbeins d. Ä., der mit Adlerblick Charakterköpfe festzuhalten vermochte. Beste Ausgangslage für seinen ihn letztlich weit überflügelnden Sohn Hans. Zu sehen auch Anna Laminit, die ohne Essen, aber mit Visionen und angeblichen Wundertaten in Augsburg lebte, bis sie 1514 wegen Betrug zum Tod verurteilt wurde.

Das zweite Standbein des Vaters waren Altar- und Andachtsbilder. Und nun kommt das historische Frankfurt ins Spiel, für dessen Dominikanerkloster der gefragte Holbein einen ausladenden Hochaltar mit Passions- und Marienzyklus malte, nicht ohne dabei – in Form fratzenhafter Peiniger Jesu – ein besonders böses Beispiel antisemitischer Haltung um 1500 zu liefern. Das war wohl Wunsch der nahe dem Frankfurter Ghetto beheimateten Dominikaner und besitzt gewissermaßen sein Pendant direkt in Augsburg, wo Burgkmair einmal verklagt wurde, weil er einen Mitbürger verleumdete, indem er ihn einen "Juden" hieß.

Technik-Import aus dem Süden

Den nächsten Saal können wir streifen; er ist Maximilian I. gewidmet und seinem gestrickten Personenkult, was ja ausführlicher noch zum 500. Todestag in Augsburg zu sehen war. Aber dann ist im Obergeschoss dieser Schau mit 180 Objekten einzusteigen in die internationale Stilkunde der Renaissance. Nun wird – beglaubigt durchs Bild – erläutert, durch welche künstlerischen Erfahrungen sich Holbein einerseits, Burgkmair andererseits entwickelten. Es war nämlich so, dass Burgkmair in das ihn fortan prägende Venedig reiste (wovon das opulente Gemälde "Esther vor Ahasver" mit seiner venezianischen Architektur kündet), Holbein jedoch nach einem Niederlande-Aufenthalt stark durch die flämische Feinmalerei eines van Weyden und van Eyck beeinflusst wurde. Im seinerzeit geschmiert laufenden Augsburger Kunstmarkt waren mit ihrem Spezialkönnen beide gefragt – wobei Holbein weniger experimentell blieb als Burgkmair, der früh die Rötel-Technik von Venedig gen Norden brachte und sich in der Eisenradierung und dem mehrfarbigen Druck übte.

So gut die Älteren waren: In Hans Holbein d. J., der Augsburg etwa 1515 gen Basel verließ, finden sie ihren Übermeister. Er ist in Frankfurt unter anderem mit dem jüngst entdeckten Bildnis des Marx Fischer vertreten, das er als 15-Jähriger in den Fußstapfen des Vaters malte, dazu mit der sogenannten Solothurner Madonna und der sogenannten Darmstädter Madonna, die 2011 Raimund Würth für wohl 50 Millionen Euro für seine Sammlung erwarb. Krönender Abschluss: das hochglänzende, messerscharfe Porträt des Simon George of Cornwall mit Nelke (um 1537). Unübersehbar, wie der Jüngere die Älteren weit überbietet. Er eignet sich italienische wie altniederländische Stilistik an – und setzt sie perfektioniert ein, erst in Basel, dann als Hofmaler in London.

Augsburg hätte teilhaben können an dieser Schau. Ein Angebot lag vor. Nur: Die konservatorischen, die klimatischen Voraussetzungen für eine Ausstellung dieser Größenordnung können vor Ort nicht gewährleistet werden, erklärt Christof Trepesch, Direktor der Kunstsammlungen Augsburg. Bedauerlich. Dass es überdies kostspielig geworden wäre, ist an fünf Fingern auszurechnen. Also gilt: Auf an den Main, wo Augsburgs Kunstgeschichte außerordentlich hochgehalten wird.

Holbein und die Renaissance im Norden Bis 18. Februar 2024 im Städel-Museum in Frankfurt. Geöffnet Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Der Katalog (Hirmer) kostet im Museum 45 Euro.

 
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