Die Geschichte, die Chan-jo Jun vom ersten Lauferlebnis erzählt, ist kaum zu glauben, wenn man weiß, dass er vor kurzem in Würzburg seinen ersten Halbmarathon absolviert hat. Als Student ließ er sich zum Joggen überreden und dann das: Es fängt an zu regnen. Sowieso schon genervt, gibt er auf und verkriecht sich in eine Telefonzelle. Am liebsten wäre er mit dem Taxi heim gefahren, hätte er denn Geld dabei gehabt, erzählt Jun lachend.
Zum Geburtstag eine Marathon-Startnummer
20 Jahre später befiel ihn der Laufvirus dann so restlos, dass er sich kürzlich zum 44 Geburtstag sogar eine Marathon-Startnummer wünschte. Und die Geschichte im Regen ist längst zu einer Anekdote geworden, die er gerne erzählt.
Ein paar Jahre nach dem Telefonzellen-Desaster konnte er es sich nicht leisten, aufzugeben. Ehre war im Spiel: Vor drei Jahren meldeten die Beschäftigten seine Anwaltskanzlei für den Würzburger Firmenlauf an. „Da konnte sich der Chef nicht drücken“, sagt Chan-jo Jun.
Unterstützung und Begleitung von der Ehefrau
Seine Frau Sonja Jun, selbst Läuferin mit Halbmarathonerfahrung und als Physiotherapeutin und Psychologin erfahren im Umgang mit inneren Schweinehunden, trainierte ihn und die Kanzlei-Gruppe. Damals hätte ihn Joggen ohne Beobachterin und Antreiberin nämlich noch schwerste Überwindung gekostet, sagt er.
Um es kurz zu machen – beim Firmenlauf kam er auf den Geschmack und wollte mehr von diesem Gefühl, die eigenen, Jahrzehnte gepflegten Leistungsgrenzen zu verschieben. Und natürlich auch von dem Gefühl, etwas für den Körper zu tun. Immerhin habe er laufend Gewicht verloren, 13 Kilogramm in einem dreiviertel Jahr. Und weil er, wie seine Frau sagt, etwas ganz oder gar nicht macht, machte er das Laufen zum Projekt.
Chan-jo Jun braucht das Ziel
Er ging analytisch und gründlich an die Sache ran, kaufte eine Sportuhr, wälzte Fachliteratur, testete seine körperlichen Voraussetzungen per App und ließ sich vom Fachmann seine Leistungsfähigkeit diagnostizieren. Er machte einen Trainingsplan und stellte die Ernährung um. Sein Ziel: Der Würzburger Residenzlauf im Herbst 2017. Die Zehnkilometerstrecke war schnell geschafft und ebenso schnell zu wenig für seinen Ehrgeiz.
Chan-jo Jun startete durch zum Würzburger Halbmarathon im Mai 2018 und kam nach 1:41 Stunden ins Ziel. „Die App sagte genau die Zeit in meinem Trainingszustand voraus“, sagt Jun. Er ist stolz, keine Frage. Im Training hat er zwar schon schnelle kurze Läufe gemacht, aber für die lange Strecke zwei Stunden gebraucht.
Um das hohe Tempo durchzuhalten, brauche es einfach die Wettkampfsituation, sagt Sonja Jun, die lange vor ihrem Mann den Halbmarathon gelaufen ist. Aber ein solcher Wettkampf reiche ihr, sagt sie. Sie brauche kein Messarmband. Sie laufe ein- oder zweimal die Woche als Hobby, für die Gesundheit, um den Kopf frei zu bekommen, aus Genuss. „Ich brauche das Ziel“, sagt ihr Mann.
Im Herbst 2017 befiel ihn der Laufvirus
Den Zeitpunkt, als der Laufvirus ihn endgültig im Griff hatte, kann Chan-jo Jun genau benennen. Es sei im Herbst 2017 gewesen. Da fühlte er sich schon unwohl, wenn er morgens den Anzug anziehen musste, statt den Laufdress, wenn er zu einem beruflichen Termin musste, ohne vorher gelaufen zu sein. „Dann fehlte etwas“, sagt er.
Seine Laune sank, wenn er nicht lief. Das nervte die Familie. Genauso wie das Kalorienzählen und die ungebetene Ernährungberatung beim Essen. „Mach doch gleich den Marathon“, sagte seine Frau. Ihre Hoffnung: Nach der Befriedigung des Ehrgeizes, aus dem Laufen ein schönes gemeinsames Hobby zu machen.
Die Ernährung wurde mit dem Laufen gesünder
Klar, die Ernährung der Familie sei gesünder geworden, sagt Sonja Jun. Früher sei sie fleischlastiger und fettreicher gewesen, jetzt gibt es mehr Salat und Gemüse. Aber ihr Mann vertiefe sich sehr ins Thema, analysiere sämtliche Nahrungsmittel. Er sei schon gelassener geworden, wirft Chan-jo Jun ein. Fisch statt Brötchen zum Frühstück wäre ideal. „Aber es schmeckt halt nicht.“ Und immer nur Magerquark? „Man muss einfach wissen, was gut tut.“ Das ist nun die etwas entspanntere Ernährungsregel des Langstreckenläufers.
Und es scheint, als könnte Sonja Juns Rechnung aufgehen. Das Ziel „Marathon“ ist zwar gesteckt, aber das überehrgeizige Datum „Herbst 2018“ verworfen. Die Juns haben die Vorbereitung zur Paarzeit erklärt. Trotz aller Unterschiede. „Sonja ist viel besser als ich, verglichen mit ihrer Altersklasse“, sagt er. „Aber ich habe nicht den Ehrgeiz“, sagt sie.
So legt Chan-jo Jun in der Mitte des Laufs eine kurze, schnelle Extrarunde ein. Dazwischen finden die beiden ihre gemeinsame Geschwindigkeit und Zeit zum Reden. Über berufliche Themen, wie den Fake-News-Fall, der den Anwalt 2017 bekannt machte als den Mann, der gegen Facebook kämpft und Anfeindungen und große Belastungen für die Familie brachte. „Und man kann sich auch super streiten beim Laufen“, sagen beide und lachen.
Das große Ziel bleibt der Marathon
Manche Leute nutzten Sport zum Abschalten, liefen sich in Trance, überlegt Chan-jo Jun. Wenn er doch einmal allein mit Kopfhörern auf den Ohren läuft, hört er netzpolitische Podcasts oder Nachrichten. Die Einsamkeit des Langstreckenläufers schätzt der Anwalt allerdings selten. Und am Wettbewerb mag er auch besonders das soziale Erlebnis, den gemeinsamen Kampf gegen die Zeit. „Zumindest im Mittelfeld ist das so“, sagt Chan-jo Jun. Denn bei allem Ehrgeiz kennt er seine Grenzen.
Er freut sich, dass ihm der radikale Wechsel vom Laufmuffel zum Sportler gelang. Dass er Winter wie Sommer, bei Kälte, Schnee und Hagel jede Woche 70 Kilometer läuft und Nieselregen kein Thema mehr ist. Dass seine Frau sagt, er sei inzwischen mit Abstand der beste Läufer seiner sportlichen Kanzlei.
Das Ziel bleibt aber der Marathon, wenn auch das Datum noch nicht feststeht. „Vielleicht in einem Jahr in Berlin“, sagt Chan-jo Jun. Und wenn er läuft – egal ob allein oder zu zweit – hat er sicherheitshalber immer Geld für ein Taxi dabei.
Der Weg zum Marathon
Das Einstiegsalter
Marathonlaufen sei für Späteinsteiger machbar, sagt der Würzburger Laufcoach Jan Diekow. Kindern und Jugendlichen allerdings rät er von so langen, monotonen Belastungen ab. Außerdem sollte man mindestens zwei Jahre Erfahrung über kürzere Strecken haben, um sich an den Marathon zu wagen.
Das Training
Das Minimum seien drei bis vier Laufeinheiten pro Woche, um den Marathon gut zu schaffen, bei Ambitionen auf eine Bestzeit fünf bis sechs Einheiten. Zusätzlich zum Lauftraining sollte vor allem die Haltemuskulatur des Körpers gut trainiert werden. Nur ein stabiler Rumpf, sorge für eine gesunde Lauftechnik. Das Training sollte langfristig angelegt werden. In der ersten Phase (drei Monate) arbeite man an den Grundlagen– Ausdauer und Kraft – und steigere behutsam den Umfang und die Länge der Läufe, wobei nur einmal die Woche lange gelaufen werden sollte. In der zweiten Phase (drei Monate) gehe es um das richtige Pacing (Zeit über eine Distanz), Ökonomie und Schnelligkeit, sowie um die Ernährung während der Belastung.
Die Planung
Bei der Trainingsplanung könne man sich mit Rahmenplänen aus Zeitschriften oder Büchern helfen, oder sich individuell beraten lassen. Zweites sei war teurer, vermeide aber oft Überbelastungen und Verletzungen, da ein geschulter Trainer individuell auf seine Schützlinge eingehen könne. (bea)