„Nicht nur sauber, sondern porentief rein“ sollte es sein, Klementine machte es in ihrer weißen Schürze vor. Ein wohldosiertes weißes Pulver in der Waschmaschine – und schon sorgte die gute Hausfrau effizient und zeitsparend dazu für Hygiene im Haus. Zumindest versprach’s so die Werbung.
Der Slogan, der Ende der 1960er Jahre erstmals über die bundesdeutschen Fernsehbildschirm flimmerte, traf den Nerv der Zeit: Porentiefe Reinheit! Keimfreiheit wurde im Nachkriegsdeutschland zum neuen Ideal, Desinfektionsmittel hielten Einzug im Haushalt, und die Werbeindustrie entwickelte die einprägsame Sauberkeitsrhetorik dazu: „So sauber dass man sich drin spiegeln kann!“ Es galt, die Wohnungen mit Kraft- und Chemieeinsatz in Schuss zu halten und glänzen zu lassen.
Das neue Ideal: "Sauberkeit zu jeder Zeit!"
Wobei – „Sauberkeit zu jeder Zeit“, das hatte es nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht erst in den Wirtschaftswunderjahren geheißen, als die Wohnungen Badezimmer bekamen und Waschmaschinen auch für ärmere Haushalte erschwinglich wurden. Sauberkeit war schon Anfang des 20. Jahrhunderts zum durchgängigen Leitbild geworden, in Stadt und Land: Wenigstens am Samstagnachmittag sollte es nach dem großen Putz einmal rein-weiß und sauber sein. Küchenwerkzeuge, benutzte Lumpen und beschmutzte Geschirrtücher wurden kurzerhand versteckt hinter bestickten Zierhandtüchern.
So wie jenem blendend weißen Tüchlein aus der Sammlung des Freilandmuseums Fladungen, auf das vor rund 120 Jahren das Gebot für die Hausfrau gestickt worden war: „Sauberkeit zu jeder Zeit“. Jetzt hat das Zierhandtuch mit der stolzen Stickerei der Ausstellung den Namen gegeben, die die Arbeitsgemeinschaft Süddeutscher Freilichtmuseen zur „Hygiene auf dem Land“ konzipiert und zusammengestellt hat. Für ein halbes Jahr wird die Schau in jedem der zehn verbündeten Museen aus ganz Bayern und Hohenlohe zu sehen sein, im niederbayerischen Finsterau gab es im vergangenen Jahr den Auftakt.
Und nun, im Corona-Jahr, ist die Schau, die passender und aktueller kaum sein könnte, im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim zu sehen. Sie betrachtet die Dinge, die der Sauberkeit bedürfen - und das Werkzeug und Gerät, das diesem Zweck diente und manchmal ja noch dient. Bürsten und Besen, Seife und Rasierapparat: Manche Utensilien der Hygiene sind universell und zweckmäßig geblieben bis in die Gegenwart. Teppichklopfer und Waschbrett dagegen haben ihren Platz wohl wirklich im Museum.
Im Zeitalter der Industrialisierung, des rapiden Wachstums der Städte und der Ökonomisierung der Landwirtschaft war Hygiene ein Leitbegriff geworden. Und zur Verwirklichung waren alle aufgerufen: der Hausvorstand, der Unternehmer wie der Handwerker, der Kaufmann wie der Bauer. Politik und öffentliche Verwaltung hatten Sorge zu tragen, dass jedem Bürger Trinkwasser, Ärzte, eine Hebamme und Bildung zur Verfügung stand. Jedes Dorf, jeden Weiler und noch den abgelegensten Bauernhof sollte der Appell erreichen: „Sauberkeit zu jeder Zeit!“.
Gefegter Boden, gewaschene Hosen, keimfreie Milch - was heißt "sauber"?
Doch was hieß "sauber"? Und wozu überhaupt Hygiene? Dass sie nicht allein der Gesundheit und dem Wohlbefinden diente, sondern dass mit „Sauberkeit“ – oder zumindest ihrem Anschein – auch repräsentiert wurde und ein guter öffentlicher Eindruck erwecken werden sollte, das war eine eher junge Entwicklung. Körper, Kleidung, Bett, Tisch und Boden sollten sauber sein. Nahrung hatte rein, keimfrei und unverdorben zu sein. Tierische Schädlinge mussten abgewehrt werden. Und das reinliche Äußere – die „weiße Weste“ – förderte öffentliche Reputation.
Also hatte die Hausfrau fleißig zu sein - mit Besen und Bürste, mit Seife und Sand. Zum Zwecke der besseren Hygiene wurden technische und bauliche Entwicklungen erprobt und ins Werk gesetzt: die Kanalisation in der Stadt, die befestigte Miststatt am Bauernhof. Die Jahresausstellung des Fränkischen Freilandmuseums zeigt, wie die neuen Ideen und Erkenntnisse der Hygienebewegung das Leben der Menschen in den vergangenen 200 Jahren veränderte. Das Jauchefass für den Handwagen, Zuber, ein voll eingerichteter historischer Frisörsalon und zahlreiche alte Fotografien führen vor Augen, wie rasch die Erkenntnisse der Bakteriologie und damit die moderne Vorstellung von „Sauberkeit“ im 19. Jahrhundert auch auf dem Land wirksam wurden - ob bei Körperpflege oder Kleiderwäsche, bei Lebensmittelhygiene oder Seuchenbekämpfung im Stall.
Als man Wasser scheute und sich vor "Miasmen" fürchtete
Zur Hygiene zählten seit dem 18. Jahrhundert – propagiert von den Aufklärern - im weiten Sinne alle Bestrebungen und Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten und Gesundheitsschäden. Zuvor hatte so mancher Irrglaube geherrscht: Da wurde warmes Wasser angstvoll gemieden, da wechselten Vornehme und Adelige lieber öfter die Wäsche und parfümierten sich, statt ein Bad zu nehmen.
Noch im 18. Jahrhundert kursierte die Vorstellung von schädigenden „Miasmen“, wie man die Zersetzungsprodukte aus Abtrittsgruben oder Friedhöfen nannte. In Gestalt fauliger Ausdünstungen, so glaubte man, gelangten diese „Ansteckungsgifte“ ins Wasser und in die Luft. Über die Atmung und die Haut würden sie dann vom Körper aufgenommen. Durch warmes Wasser, das die Poren öffnet, könnten die gefürchteten Miasmen - so die Meinung - umso leichter eindringen. Die Aufklärungsmedizin aber verstand die Haut als Organ des Ein- und Ausatmens – also sollte sie reingehalten werden, mit Wasser. Der Körper wurde zum Arbeitsinstrument, das leistungsfähig und sauber bleiben sollte.
Über die Jahrhunderte mit dem Vieh unter einem Dach gelebt
Doch was bedeutete das für das Leben in Haus und Stall? Wie mussten die traditionellen hygienisch umgestaltet werden? Wie sollte mit Milch und anderen tierischen Lebensmitteln umgegangen werden? Auf dem Land hatte das enge Zusammenleben von Mensch und Vieh das Arbeiten und Wohnen über Jahrhunderte geprägt. Bis ins ausgehende 18. Jahrhundert hatte die Behausung den Menschen vor Nässe und Kälte schützen, die Essensvorräte vor Ungeziefer und Verderben bewahren und den wertvollen großen Nutztieren, dem wichtigsten Besitz der Bauern, Obdach bieten. Jetzt ging es beim Bauen um Licht und Luft und um das geordnete Beseitigen der tierischen und menschlichen Exkremente.
Mist im Haus, Rauch in der Küche
Noch in den 1960er, das zeigt die Ausstellung mit alten Fotos aus der Rhön, drehte sich auf den Landwirtschaftsämter um diese Themen die Beratung. Der Alltag bis dato: Wohntrakt und Stall fürs Großvieh unter einem gemeinsamen Dach, Schweinestall und Scheune daneben. Ammoniakemissionen und Gerüche der Tierhaltung drangen unlöslich tief ins Mauerwerk ein. Aus dem großen Misthaufen flossen Exkremente in den unbefestigten Hof, der bei Regen aufweichte und auf dem Hühner pickten und scharrten. Damit das Federvieh nicht durch die offene Haustüre ins Haus gelangte, hatten manche Höfe halbe Lattentüren am Hausflur. Den Matsch und den Mist hielten die Latten nicht auf.
Pflaster vor dem Hauseingang und ein Dachüberstand konnten schon helfen, trockenen Fußes über den Hof zu gelangen. Und ein geschlossener Herd, bei dem das Feuer nicht mehr offen, sondern im gemauerten oder metallenen Kasten brannte, befreite Küche und Wohnraum vom Rauch. Größere Fenster und verputzte Wände ließen die Räume heller wirken. Im Stall verhinderte Kalkputz, dass sich Bakterien und Schimmelpilze ansiedelten. Man riet zu steinernen Futtertrögen und der Trennung von Mist- und Futtergang: In einer gesonderten Jaucherinne konnten die flüssigen Exkremente abfließen, ohne sich mit dem Futter zu vermischen. Dass der Stall gelüftet wurde, dass während des Melkens nicht mehr gefüttert oder gemistet wurde, dass sich die Melker wuschen, dass sie die Euter abputzten, die Milch mit Seihtüchern reinigten und sie rasch herunterkühlten – all das waren kleine Schritte zu mehr Sauberkeit (und Lebensmittelsicherheit) zu jeder Zeit.
Was die Badhäuser bedeuteten und die Bader konnten
Einen grundlegenden Wandel auf den Dörfern brachte seit den 1970er Jahren schließlich die flächendeckende Wasserversorgung und der Anschluss an die Kanalisation. Apropos Wasser. Das Fränkische Freilandmuseum geht dem Thema Hygiene auf dem Land noch in einer zweiten Ausstellung nach: in einer Sonderschau zu Badern in Franken und de Schwitzbaden, Schröpfen und Kurieren. Gerade wird im Fränkischen Freilandmuseum das spätmittelalterliche Badhauses aus Wendelstein bei Nürnberg wieder aufgebaut.
Ab dem kommenden Jahr kann man am und im Gebäude von 1450 dann nachverfolgen, wie auf dem Land einst so ein Badhaus-Besuch ablief: In der mit Kachelofen beheizten „Abziehstube“ entkleidete man sich, in der Badstube wurde man von Bademägden mit Lauge abgewaschen. Dann setzte man sich an der Wand neben dem Ofen auf die Schwitzbank. Zur Steigerung der Durchblutung bearbeiten ein Badeknecht oder der Badegast selbst die Haut mit Büscheln aus Eichenlaub. Die Badsteine im großen Ofen wurden immer wieder mit Wasser übergossen, damit es gehörig dampfte und die Badegäste recht schön schwitzten. Für die Abgüsse gab es dann immer kälter werdendes Wasser. Wer mehr Geld hatte, konnte als Zusatzangebot auch ein Wannenbad nehmen. Vielleicht schröpften die Bader im Wendelsteiner Badhaus im Raum mit den hölzernen Bottichen auch, rasierten Bärte und wuschen und schnitten ihrer Kundschaft die Haare.
Wie solche Badstuben betrieben wurde und wie die Bader bis ins 20. Jahrhundert nicht nur für Sauberkeit, sondern auch Gesundheit sorgten, davon erzählt jetzt schon die Ausstellung. Denn auch als die öffentlichen Schwitz- und Badanstalten – durch steigende Holzpreise, mehr und mehr private Badstübchen und Angst vor der grassierenden Syphilis - unrentabel wurden, blieb dem Berufsstand auf dem Land eine wichtige Aufgabe: Auf den Dörfern, wo es bis ins 19. Jahrhundert hinein kaum studierte Ärzte gab, sorgten sie als nichtakademische Wundärzte und Heiler für eine medizinische Grundversorgung. Die allerletzten fränkischen „Boder“ zogen noch im 20. Jahrhundert Zähne – Zeitzeugen berichten es in der Ausstellung sehr anschaulich – öffneten Abszesse oder behandelten Furunkel.