

In den Wochen vor Weihnachten haben Trennungsberater Hochkonjunktur. Seit Oktober, sagt Heidemarie Kaul, häufen sich Anfragen von getrennt lebenden Paaren, die sich nicht einigen können, ob die Kinder Weihnachten nun bei Mama oder bei Papa verbringen und nun auf die Hilfe der Vermittlerin hoffen. Beratungsbedarf haben auch frisch Getrennte, die vor dem ersten Weihnachten ohne den Partner Angst haben und nicht wissen, ob sie die neue Einsamkeit aushalten können. Die Würzburgerin Heidemarie Kaul, 59, ist ausgebildete Mediatorin und stellvertretende Leiterin des Evangelischen Beratungszentrums Würzburg.
Weihnachten ist das emotionalste Familenfest des Jahres. Es soll fröhlich und besinnlich sein und möglichst alle glücklich stimmen. Was machen diese Erwartungen mit Familien nach einer Trennung?
Heidemarie Kaul: Das Weihnachtsfest ist ein schwieriger Termin, vor allem wenn es sich um das erste Weihnachtsfest nach der Trennung handelt. Denn Weihnachten ist gefühlsmäßig belastet - insofern als man viele Erinnerungen an vorherige Weihnachten hat. Frisch Getrennte nehmen an, vermutlich fälschlicherweise, dass alle anderen Familien an Heiligabend glücklich sind. So spürt man in dieser Zeit das Verlassensein oder das Getrenntsein besonders.
Vermutlich haben Betroffene Angst vor glücklichen Erinnerungen in einer Zeit, in der Glück fehlt.
Kaul: Ich denke, es ist wichtig, sich darauf einzustellen, dass man von seinen Gefühlen überrollt werden kann. Ein erstes Weihnachten allein kann schwierig werden, weil es ungewohnt und oft auch ungewollt ist.
Sollten denn angesichts dieser Gefahr frisch Getrennte den Gefühlen Raum geben, die hochkommen?
Kaul: Man darf seinen Gefühlen Raum geben, darf die Trauer zulassen und daran denken, dass es früher anders war. Aber wenn man als Elternteil für Kinder verantwortlich ist, dann hat man die Verantwortung, sich um der Kinder willen von diesen Gefühlen nicht überwältigen zu lassen. Deswegen ist es sinnvoll, den Feiertagen Struktur zu geben und sich vorher zu überlegen, wo man feiert, wer den Weihnachtsbaum schmückt, wo man isst. Wer mit Freunden oder Verwandten feiern kann, sollte das tun. Wer fürchtet, an Weihnachten von Trauer, Wut oder Hass wegen der vergangenen Beziehung überwältigt zu werden, sollte nicht allein sein. Man hilft sich selbst in dieser Situation, wenn man Freunde einlädt oder sich einladen lässt. Ich rate dazu, die die Feiertage sehr genau zu planen und sich zu vergewissern, dass man sie gut durchstehen kann, wenn man deswegen Bedenken hat.
Oft haben Familien eigene Weihnachtsroutinen entwickelt, die nach einer Trennung nicht mehr problemlos laufen. Sollten man daran festhalten oder nicht?
Kaul: Kommt darauf an. Mit Kindern würde ich mich anlehnen an das, was früher für die Familie schön war. Wenn man zuvor in den Kindergottesdienst gegangen ist, sollte man das weiter tun. Wer Bescherungsrituale für die Kinder hatte, sollte sie weiter pflegen. Wer vorher mit den Kindern gesungen hat, singt auch diesmal. Vielleicht hat sich vorher der Vater als Weihnachtsmann verkleidet - dann kommt der Weihnachtsmann halt nicht mehr. Natürlich kann man mit größeren Kindern auch Neues ausprobieren. Aber Rituale geben Sicherheit - und deswegen sollte man sie in schwierigen Zeiten beibehalten.
Wenn Verwandte an den Feiertagen nach Einzelheiten der Trennung fragen: Darüber reden oder nicht?
Kaul: In Anwesenheit von Kindern nicht. Gespräche über Trennung sollten nicht in der Gegenwart von Kindern und Jugendlichen geführt werden. Und Weihnachten sollte nicht dazu genutzt werden, in aller Offenheit über Trennung und Scheidung zu reden. Man sollte Kindern in einer Zeit, in der viel in Unordnung geraten ist, möglichst heile Weihnachten gönnen. Sind die Kinder nicht da, kann man natürlich darüber reden. Aber nur, wenn einem das gut tut.
Was brauchen Kinder in einer Trennungssituation an Weihnachten?
Kaul: Sie brauchen die Möglichkeit, sagen zu können: "Vorher war es schöner." Das muss man als Elternteil aushalten. Man muss auch zulassen, dass der Partner, der gegangen ist, mit seinen Kindern telefoniert und Geschenke macht. Und es ist richtig, wenn sich die Kinder über diese Geschenke freuen.
Wie löst man die Frage, bei welchem Partner die Kinder Weihnachten verbringen?
Kaul: Wenn man sich nicht einigen kann, kann man zur Mediation gehen und sich helfen lassen. Die Beratungsstellen in Unterfrankenvermitteln zwischen getrennt lebenden Paaren; das ist unser tägliches Brot. Meiner Erfahrung nach ist es für die Kinder umso leichter, je länger die Zeiträume sind, die sie bei einem Elternteil verbringen können. Das Modell „Die Kids sind die Weihnachtswoche über bei Papa, über Silvester bei Mama und im nächsten Jahr wird getauscht“ funktioniert in der Regel ziemlich gut. Halbtägige Wechsel zwischen beiden Eltern bringen sehr viel Unruhe in diese Zeit. Generell sollte aber gelten, dass auch die Kinder mit den gefundenen Regelungen einverstanden sind. Wenn die Kinder zu jung sind, muss man aber eine tageweise Regelung finden; bei Babies eine stundenweise Regelung.
Welche Fehler sollten getrennt lebende Familien vermeiden an Weihnachten?
Kaul: Zusammen zu feiern, wenn man sich nicht sicher ist, es durchzustehen. Unterdrückte Konflikte haben die Tendenz, sich trotz großen Bemühens zu entladen. Eltern sollten genau prüfen, ob sie ihren Kindern und sich selber eine künstliche Situation zumuten wollen, bei der sich alle verstellen müssen.
Was passiert an Weihnachten mit kinderlosen Getrennten? Ist nicht die Lage für einen verlassenen Ehepartner, der ganz allein vor dem Tannenbaum sitzt, nicht noch belastender?
Kaul: Ein verlassener Ehepartner sollte vorher genau prüfen, ob es nicht andere Möglichkeiten gibt. Man kann Freunde einladen, zu Freunden gehen, verreisen… Man sollte prüfen, ob jetzt die Gelegenheit ist, Altes zu beenden und etwas Neues zu beginnen.
Sind vor und an Weihnachten Trennungsberater besonders gefragt?
Kaul: Ja. Es ist klug, früh mit der Klärung solcher Fragen zu beginnen. In unserem Haus haben wir schon im Oktober damit begonnen, solche Dinge mit unseren Klienten zu regeln. Je näher der Termin rückt, desto mehr gerät man unter Druck. Frühzeitig gute Regelungen zu haben ist wichtig, auch weil sich die Nachfrage nach Terminen zum Jahresende hin so drängt, dass die Terminvergabe schwierig wird.