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ZWICKAU/STUTTGART
Neuster Auto-Trend: Allrad im Alltag ist angesagt
Audi gilt als Allrad-Vorreiter       -  Audi gilt als Allrad-Vorreiter und bietet den Antrieb in jeder Baureihe an. Auch das SUV Q5 ist als 'Quattro' erhältlich. Foto: Tobias Sagmeister/AudiAG/dpa
Foto: dpa | Audi gilt als Allrad-Vorreiter und bietet den Antrieb in jeder Baureihe an. Auch das SUV Q5 ist als "Quattro" erhältlich. Foto: Tobias Sagmeister/AudiAG/dpa
Tom Nebe
 |  aktualisiert: 16.08.2021 16:19 Uhr

Auf deutschen Straßen sind immer mehr Autos mit Allradantrieb unterwegs. Die Zulassungszahlen gehen seit Jahren nach oben. In den vergangenen fünf Jahren ist der Wert von 2,95 auf 4,33 Millionen gestiegen, wie Statistiken des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) zeigen.

Die Gründe für den Allrad-Trend liegen aus Sicht des ADAC in gutem Hersteller-Marketing, aber auch in immer besseren Allradsystemen. Die zunehmende Beliebtheit von SUVs dürfte die Entwicklung ebenfalls antreiben. Doch wer braucht Allrad im Alltag? Und wem reichen vielleicht doch elektronische Traktionshilfen für seine Bedürfnisse?

Beim Fahrverhalten haben Allradantriebe einige Vorzüge gegenüber Front- sowie Heckantrieb: Sie böten allgemein einen Traktions- und Sicherheitsvorteil, sagt Jörn Getzlaff, Professor für Antriebstechnik und Fahrzeugkonzepte an der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Durch die Verteilung auf vier statt zwei Räder können höhere Antriebskräfte vom Motor übertragen werden. In Kurven sei das Fahrverhalten besser.

Vorteile in der Beschleunigung

Und im Vergleich zum Vorderradantrieb hätten Allradfahrzeuge „deutliche Vorteile“ bei der Beschleunigung. Der Grund: Durch die dynamische Achslastverlagerung beim Gasgeben wird der Wagen hinten „schwerer“, erklärt Getzlaff. Über die „leichtere“ Vorderachse können die Antriebskräfte nicht so gut auf die Straße übertragen werden.

Auf der anderen Seite sind Allradfahrzeuge im Vergleich zu Front- oder Heckangetriebenen teurer. „Sie brauchen extra eine Kardanwelle, ein Verteilergetriebe und mehr Differentiale, der mechanische Aufwand ist relativ hoch“, sagt Getzlaff. Das macht die Autos auch schwerer. Sie verbrauchen dadurch außerdem etwas mehr Kraftstoff.

Zusammengefasst bietet ein Allradantrieb also Vorteile im Fahrverhalten zum Preis von einem höheren Gewicht, mehr Verbrauch und höheren Anschaffungskosten. Für wen also lohnt er sich?

Für wen besonders geeignet?

„Allrad hat Vorteile in vielen Situationen“, sagt Christian Anosowitsch von Mercedes-Benz. Der Antrieb bringe mehr Sicherheit, beispielsweise auf nassen Straßen. Von A- bis S-Klasse bietet Mercedes Allrad-Modelle quer durch die Produktpalette an. Das Angebot habe sich „enorm entwickelt“.

Gleiches hört man bei Audi. Die Ingolstädter sind seit Einführung ihrer Quattro-Technologie vor fast 40 Jahren ein Allrad-Vorreiter. In jeder Baureihe biete man Allradantrieb an, sagt Dieter Weidemann, der den Bereich Allradsysteme-Entwicklung leitet. 2016 hätten 40 Prozent der Audi-Käufer einen Quattro-Antrieb gewählt. Aus Weidemanns Sicht bietet ein Allrad in jeder Alltagssituation Mehrwert: gesteigerte Traktion und Fahrdynamik, besseres Handling, erhöhte Sicherheit, zählt er auf. Das ist die Herstellersicht.

Beim ADAC erachtet man Allrad nicht generell und für jeden Einsatzzweck als sinnvoll. Es komme darauf an, wo man wohnt und was man fährt. Allrad bewährt sich beispielsweise in den Bergen sowie auf steilen Hängen. Auch wer regelmäßig schwere Lasten wie Pferdeanhänger oder Wohnwagen ziehen muss, profitiert von der besseren Traktion. Was einfach beschrieben heißt: Die Antriebskraft des Motors wird besser in Vortrieb auf der Straße umgesetzt.

Im Alltag reicht Heck- oder Frontantrieb

Geht es aber um die rein technische Argumentation der Traktion, genügt laut ADAC für einen Großteil der Strecken, die die meisten Autofahrer so zurücklegen, ein gewöhnlicher Heck- oder Frontantrieb. Getzlaff sieht es ähnlich: In den überwiegenden Fahrsituationen sei der Antrieb über zwei Räder ausreichend.

Allradsysteme wollen Drehmomente bestmöglich auf die vier Räder verteilen. Ein Großteil moderner Allradautos nutzt dafür elektronisch gesteuerte Lamellenkupplungen. „Die haben sich durchgesetzt, weil sie mit ESP funktionieren“, sagt Getzlaff. Systeme mit Lamellenkupplungen ermöglichen - je nach Bauart - das sogenannte Torque-Vectoring. „Das Antriebsmoment wird entsprechend der Fahrsituation an die vier Räder verteilt“, erklärt Getzlaff.

Besonders beim Kurvenfahren bringe das Vorteile. Opel etwa hat in der Allrad-Variante des Modells Insignia zwei Lamellenkupplungen eingebaut, wie der Hersteller mitteilt. Sie leiten die Kraft genau dosiert an jedes Rad weiter.

Für dauerhaften Geländebetrieb sind Lamellenkupplungen nicht geeignet, sagt Getzlaff. Bei längerer Nutzung kann die Reibung im System zu Überhitzung führen. Lamellenkupplungs-Systeme seien eher für gelegentlichen Geländebetrieb gedacht. Für längere Offroad-Touren kommen reinrassige Geländefahrzeuge ins Spiel - mit den „althergebrachten Systemen“, wie Getzlaff sie nennt. Sie haben individuell steuerbare Sperrdifferentiale.

Zuschaltbar und permanent

Zu unterscheiden ist auch zwischen zuschaltbaren und permanenten Allradantrieben. Mercedes zum Beispiel bietet bei seinen Kompakten eine elektronisch geregelte Lamellenkupplung an, welche bei Bedarf binnen Millisekunden geschlossen wird und Drehmoment überträgt, wie Anosowitsch erklärt. Die sogenannte Ultra-Technologie von Audi geht in eine ähnliche Richtung: Damit werde der hintere Antriebsstrang abgekoppelt und stillgelegt, wenn der Allradantrieb gerade keinen Vorteil bietet, so Weidemann. Das soll Sprit sparen.

Und was bringen elektronische Hilfen? Seit Herbst 2014 ist das Elektronische Stabilitätssystem (ESP) in jedem neu zugelassenen Auto in Europa Pflicht, erklärt Getzlaff. Hersteller bieten noch zusätzliche Programme. Bei Opel zum Beispiel gibt es neben serienmäßigem ESP Plus das Traktionssystem IntelliGrip als Sonderausstattung, das unter anderem Modi für Schnee und Sand bietet.

Elektronische Hilfsprogramme allgemein könnten die Traktion beim Anfahren verbessern, aber Allrad-Systeme nicht ersetzen, erklärt der ADAC. Getzlaff zufolge helfen sie im physikalischen Grenzbereich. Tom Nebe, tmn

 
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