Sein Vater hatte ein Motorradgeschäft. Und so wuchs Hans Kurt „Johnny“ Uebler zwischen NSU, Zündapp und Horex auf. Und in den Ferien, wenn der Vater zu Zündapp ins Werk ging, um neue Maschinen zu holen, dann durfte der kleine „Johnny“ mit und stand in der Fabrik und staunte. „Nürnberger Ingenieurskunst!“ schwärmt Hans Kurt Uebler noch heute, viele Jahrzehnte später.
Die Motorradproduktion in Nürnberg reicht zurück bis ins Jahr 1901. Mit Muskelkraft hatte alles begonnen, schon im ausgehenden 19. Jahrhundert verließen regelmäßig Tausende Fahrräder verschiedener Hersteller die Werkshallen an der Pegnitz.
Nach der Jahrhundertwende dann begannen einige Nürnberger Firmen, mit der Motorisierung ihrer Räder zu experimentieren. Wenig später brachten Victoria und Hercules ihre ersten Maschinen auf den Markt.
In Schwung kam die Motorradherstellung in der mittelfränkischen Industriestadt dann in den 1920er Jahren. Die Zündapp-Werke hatten den zunehmenden Trend zur Motorisierung erkannt und 1922 ein „Motorrad für jedermann“ auf den Markt gebracht. Es sollte die spätere Marktführerschaft begründen. Andere Hersteller zogen nach: Rasch entwickelte sich ein eigener Industriezweig, der in den 20er Jahren rund 50 in und um Nürnberg ansässige Unternehmen zählte.
Die Weltwirtschaftskrise und das Ende der Weimarer Zeit überlebten indes nur sieben von ihnen. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war das Motorrad ein Symbol der Kriegsmaschinerie geworden.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und vorübergehenden Produktionsverboten aber liefen in den Fabriken der Nürnberger Hersteller bald wieder legendäre Maschinen von den Bändern. Die KS 601 von Zündapp – häufig mit Beiwagen ausgestattet– ging als „Grüner Elefant“ in die Geschichte ein.
Und im Zuge der Motorisierungswelle erlebte Nürnbergs Industrie ab 1948 noch einmal einen Aufschwung. Für viele Neu-Bundesbürger war der Kauf eines Motorrads ein erster, wichtiger Schritt in eine Zeit individueller Freiheit. Hans Kurt Uebler kann aus dem Geschäft seines Vaters viele Geschichten darüber erzählen, was ein Motorrad einst für den Besitzer bedeutete.
„Aber dann“, sagt Uebler, „wollten die Fahrer ein Dach über dem Kopf.“ Mit dem Wirtschaftswunder der 1950er Jahre wurde das Auto immer mehr zur Konkurrenz. „Ganz wenige Hersteller überhaupt haben damals den Sprung geschafft vom Moped und Motorrad zum Auto“, sagt Uebler. Der kurze Boom war vorbei – „das große Sterben der Nürnberger Zweiradproduktion war nicht mehr aufzuhalten“. Und vor genau 60 Jahren, 1958, schloss schließlich als letztes auch das Zündapp-Werk in Nürnberg. Die Produktion ging in München weiter.
Zündapp! Den Namen des bedeutendsten Herstellers aus Nürnberg kennt wohl jeder. Hercules und Triumph sind sechs Jahrzehnte später auch noch ein Begriff. Aber wie steht es mit Ardie, Hecker oder Mars?
Dort, wo diese Marken einst das Zentrum der deutschen Zweiradindustrie bildeten, wird am kommenden Wochenende nun an die Blütezeit erinnert: Organisiert von Hans Kurt Uebler ist auf der „Retro Classics Bavaria“ eine Sonderschau zu den Fahrrädern, Mopeds und Motorrädern aus Nürnberg zu sehen.
Auf rund 700 Quadratmetern Fläche werden acht historische Marken im alten Glanz ausgestellt sein. „Eine einmalige Sache, die es in dieser Form noch nie gegeben hat“, sagt Uebler über die Kooperation mit den verschiedenen Interessengemeinschaften. 100 Zweiräder, mit und ohne Motor, sind zu sehen.
Streng genommen seien es freilich nur sieben „Nürnberger“ Marken, sagt Uebler. Die Express Werke AG war 1882 im nahe gelegenen Neumarkt in der Oberpfalz gegründet worden.
Mit der Ausstellung wolle man „60 Jahre nach Ende der eigenständigen Motorradfabrikation in Nürnberg“ nicht nur auf diesen Teil der regionalen Industriegeschichte aufmerksam machen, so Uebler. Sondern auch zeigen, „was für ein fantastisches Hobby es ist, ein altes Motorrad zu restaurieren!“
Victoria:
„Wir lieben und „leben Victoria“, heißt es bei der Victoria-Interessengemeinschaft, die es seit 1988 gibt und die heute über 300 Mitglieder hat. Sie fahren, restaurieren und pflegen ihre Victorias mit Leidenschaft und engagieren sich dafür, dass das große und traditionsreiche Nürnberger Werk, das Meilensteine in der Entwicklung des Zweirades gesetzt hat, weiterlebt. „Das bedeutet, dass die Zweiräder nicht nur in der Ecke stehen und verstauben, sondern auch bewegt werden“, sagt Uebler. Nürnberg sei für den eingefleischten Victorianer „der Nabel der Zweiradwelt“. Produziert wurden die Fahrzeuge vor dem Zweiten Weltkrieg in der Ludwig-Feuerbach-Straße, nach dem Krieg in der Nopitschstraße.
Begonnen hatten die Victoria-Firmengründer Frankenburger & Ottenstein mit der Herstellung von Fahrrädern schon 1886. Bereits elf Jahre danach kam die Firma auf eine Jahresproduktion von 11 300 Stück. Der erste Motorrad-Prototyp wurde 1901 auf die Räder gestellt und spätestens mit dem Beginn der Kleinserienfertigung im Jahr 1903 gehört Victoria zu den Pionieren im Motorradbau.
Die Victoria-Interessengemeinschaft nennt sich „einen Zusammenschluss von Enthusiasten“, die sich die Erhaltung und Pflege von Victoria-Fahrzeugen als technischem Kulturgut und von Unterlagen zur Dokumentation der Geschichte der Victoria Werke AG Nürnberg zur Aufgabe gemacht haben – vom Gründungsjahr 1886 bis zur Fusion mit DKW und Express in der Zweirad Union AG im Jahr 1958. Über 60 motorisierte Modelle hatte Victoria bis dahin auf den Markt gebracht.
Ardie:
1919 von Arno Dietrich (Ardie) gegründet, beschränkte sich die Firma zunächst auf die Herstellung einer Einzylinder-Zweitaktmaschine mit Hubräumen von 288 und 304 cm³, die wegen ihrer roten Lackierung und der Form des Tanks im Volk als Ardie Minimax bezeichnet wurde. Ab 1925 wurde das Angebot um eine ganze Reihe von Motorrädern erweitert, die mit britischen J.A.P.-Einbaumotoren ausgerüstet waren. 1958 wurde die Produktion eingestellt.
Express:
Die Express Werke AG in Neumarkt bauten von 1903 an Motorräder und fusionierten im Jahr 1958, zusammen mit Victoria und DKW zur Zweirad-Union mit Sitz in Nürnberg. In der Holzgartenstraße in Neumarkt war 1882 die erste Fahrradfabrik auf dem europäischen Festland als Velociped-Fabrik Neumarkt Gebrüder Goldschmidt entstanden. Die Werksgebäude in Neumarkt sind in Teilen bis heute erhalten; hier befindet sich das Museum für historische Maybach-Fahrzeuge, das neben Oldtimern der Marke Maybach auch Express-Fahrräder und Motorräder ausstellt. Eine weitere Sammlung von Fahrzeugen der Express Werke gibt es im Stadtmuseum Neumarkt in der Oberpfalz.
Hecker:
Hecker produzierte von 1922 bis 1956. Anfangs sogenannte Einbaumotoren, später komplette Motorräder mit unterschiedlichen Hubräumen. Hecker war hauptsächlich in den 1920er Jahren im Rennsport mit dem Werksfahrer Hans Hieronymus aktiv, der auch für die in Nürnberg beheimateten Zündapp-Werke und die Erlanger Ermag fuhr. Er erreichte bei der Fränkischen Zuverlässigkeitsfahrt 1924 den ersten Platz.
Hercules:
Hercules war ein Fahrrad-, Moped- und Motorradhersteller, der 1886 als Velozipedfabrik Carl Marschütz & Co. gegründet wurde und ab 1887 als Nürnberger Velozipedfabrik Hercules firmierte. 1963 übernahm Fichtel & Sachs die Hercules-Werke. 1986 wurde Hercules von Mannesmann übernommen und 1995 in den niederländischen Accell-Konzern eingegliedert. Von 2006 bis Oktober 2007 war die Hercules Fahrrad GmbH & Co. KG in Neuhof ansässig. Danach wurde Hercules nach Sennfeld bei Schweinfurt verlegt.
Mars:
Im Jahr 1873 gründete Paul Reissmann in der Siegmundstraße in Nürnberg-Doos die Firma Mars zur Herstellung von gusseisernen Öfen. Es folgte die Produktion von Hand-, Riemen- und Motorsirenen, Schleifmaschinen und auch Fahrrädern. 1903 begann der Bau von Motorrädern und im gleichen Jahr die Herstellung von wenigen Automobilen, die von 1000-cm³-De-Dion-Bouton-Motoren mit einem Zylinder angetrieben wurden. Der Automobilbau endete jedoch bereits im Jahr 1909. Die Motorräder hatten Schweizer Motosacoche- und Zedelmotoren. Die berühmteste Konstruktion war die von Ingenieur Claus Richard Franzenburg 1920 entworfene legendäre Weiße Mars, die entgegen der Bezeichnung auch in Rot oder Grün erhältlich war.
Triumph:
Die Triumph Werke Nürnberg AG war ein deutscher Motorrad- und Büromaschinenhersteller, der unter dem Namen New Triumph Co. Ltd, 1896 in Nürnberg, als Tochterunternehmen des Motorradherstellers Triumph Motorcycles Ltd aus Hinckley, Großbritannien, gegründet wurde. Das Unternehmen stellte 1956 die Zweiradherstellung ein. Die Firma wurde von Max Grundig übernommen und in die Triumph-Adler AG umgewandelt, die Büromaschinen herstellte.
Zündapp:
Die Zünder-Apparatebau-Gesellschaft wurde während des Ersten Weltkrieges 1917 in der Lobsingerstraße von Fritz Neumeyer zusammen mit der F. Krupp AG aus Essen sowie der Uhren- und Werkzeugmaschinenfabrik Gebr. Thiel GmbH (Ruhla) gegründet. Fritz Neumeyer wurde 1918 alleiniger Besitzer des Werkes, das 1921 sein erstes Motorrad auf den Markt brachte. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte folgten eine Reihe interessanter Konstruktionen, darunter das Wehrmachtsgespann KS 750 oder der „Grüne Elefant“ KS 601. Der mangelnde Absatz des mit hohem finanziellen Engagement zur Produktion gebrachten Kleinwagens Janus zwang Neumeyer 1958, das Nürnberger Werk an die Robert Bosch GmbH zu verkaufen und den Unternehmenssitz in das Anfang der 1950er Jahre gebaute Werk in München zu verlegen. Das endgültige Aus für Nürnbergs Zweiradindustrie.
Bei der Retro Classics wird auch die „Knutschkugel“ zu sehen sein: In der Sonderschau „Zündapp Janus“ wird noch ein Stück Nürnberger Industriegeschichte lebendig. Der von 1957 bis 1958 produzierte Kleinstwagen, in dem Fahrer und Beifahrer Rücken an Rücken Platz nahmen, gilt als gesuchte Kuriosität. Der „Janus“ ist ein Relikt der Motorisierungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg: Er schloss kurzzeitig eine Marktlücke zwischen Motorrad und Automobil. Nur 6902 Exemplare verließen die Werkshallen. nat
Retro Classics Bavaria
Die Messe Retro Classics Bavaria findet in diesem Jahr zum dritten Mal auf dem Gelände der Nürnberg-Messe statt. Das teilt der Veranstalter mit. Bei der Schwesterveranstaltung der weltgrößten Messe für Fahrkultur, der Stuttgarter Retro Classics, präsentieren nationale und internationale Automobilhersteller, Händler, Sammler und Spezialisten zum Saisonabschluss noch einmal die ganze Welt automobiler Klassiker: Oldtimer, Youngtimer, Neo Classics, Teile und Zubehör auf rund 40 000 Quadratmetern Fläche. Es gibt Sonderschauen, ein Rahmenprogramm sowie eine Fahrzeugverkaufsbörse. Unter dem Titel „BMW auf der Internationalen Automobil- und Motorradausstellung (IAMA) 1936 – 1938“ sind die seltensten und wertvollsten Fahrzeuge zu sehen, die der bayerische Autobauer damals einem staunenden Publikum vorstellte.
Der Termin: 7. bis 9. Dezember 2018, Nürnberg-Messe
Öffnungszeiten: täglich 9:00-18:00 Uhr
Weitere Informationen und Bilder zur Retro Classics Bavaria im Internet unter: www.retro-classics-bavaria.de