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Zeitzeichen
Wer sagt denn so etwas? Wie "lecker" eine Debatte auslöste
War das Wort in der DDR der Siebzigerjahre im Sprachgebrauch? Oder hat sich das eine junge westdeutsche Autorin nur so ausgedacht. Ein Fall von kultureller Aneignung?
25. Elbeschwimmen in Dresden       -  In der Elbe schwimmen, heute ja – wie hier beim jährlichen 'Elbeschwimmen' in Dresden – aber wie war das in den Siebzigern?
Foto: Daniel Schäfer, dpa | In der Elbe schwimmen, heute ja – wie hier beim jährlichen "Elbeschwimmen" in Dresden – aber wie war das in den Siebzigern?
Stefanie Wirsching
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:23 Uhr

Schon vom neuen Literaturskandal gehört? Eine wunderbare Frage, weil sie zumindest schon mal so klingt, als ob die Literatur noch so viel Aufmerksamkeit erfährt, dass es für eine fein aufgeregte Debatte reicht. Daran, also an der Relevanz, wird ja immer mal wieder gezweifelt. Gäbe es jedenfalls keine Literaturskandale mehr, müsste einem bange um die Literatur sein. Aber wie gesagt, es gibt sie ja noch. 

Wobei man im Falle des neuen nicht so recht weiß, was eigentlich genau der Skandal ist. Es geht unter anderem um das Wörtchen „lecker“! Wo das Wort und seit wann es verwendet wird und wo nicht. Für das Rheinland beispielsweise, reicht als Antwort ein Verweis auf den gern beschunkelten Karnevalssong der Höhner, die schon seit Jahrzehnten von „Blootwoosch, Kölsch, un e lecker Mädche“ singen. Als ein Hotel im Januar mit diesem Schriftzug warb, gab es kurz mal ein bisschen Kuddelmuddel, eine Anwohnerin beschwerte sich über den in ihren Augen sexistischen Spruch. Die Band widersprach, klärte auf: Der Begriff ‘lecker Mädche’ sei eine Form der Wertschätzung. Das sage man in Köln zu einer 18-Jährigen wie zu einer 85-Jährigen. Damit war die Blootwoosch dann überraschend schnell wieder gegessen. 

Die Elbe – in den Siebzigerjahren doch eine ziemliche Drecksbrühe

Aber hat man auch in Dresden in den 70er Jahren lecker gesagt? So wie es die Schriftstellerin Charlotte Gneuß, geboren 1982 im westdeutschen Ludwigsburg, in ihrem vor Kurzem erschienenen Roman „Gittersee“ schreibt? Oder aber war es doch „absolut ungewöhnlich“ für den DDR-Sprachgebrauch, wie ihr Verlags-Kollege Ingo Schulze, geboren 1962 in Dresden, in einer Art Mängelliste vermerkt hat. Auch anderes erschien ihm beim Lesen nicht ganz stimmig: Man habe damals in der DDR nicht von der Jahresendfeier gesprochen, hieß tatsächlich wie im Westen Weihnachtsfeier, auch nicht vom Direktorenzimmer, nannte man offenbar wie im Westen Rektorat, die Plastiktüte wiederum sei eine Plastetüte gewesen, hätte im Westen nie einer gesagt. Außerdem habe sich niemand freudig in die Elbe gestürzt, wie im Roman beschrieben, weil die damals im Osten wie im Westen doch eine ziemliche Drecksbrühe war.

Vierundzwanzig Mängel standen auf der Liste, die es irgendwie zur Jury des Deutschen Buchpreises schaffte - und dann auch in die Öffentlichkeit. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb von der „Akte Gneuss“ - und begann den Text mit einer Frage: „Darf sie das?“ Also als Westdeutsche, wenngleich mit ostdeutschen Eltern, einen Roman über die DDR der Siebzigerjahre schreiben? Klingt das nicht verdächtig nach kultureller Aneignung – ein Begriff, der übrigens tatsächlich schon in den Siebzigern verwendet wurde, aber eher nicht im deutschen Osten oder Westen, sondern in den USA? 

Ein paar Tage später ist es jetzt so: Man ist sich nicht mehr sicher mit diesem Skandal. Ist das überhaupt ein echter? Was den ausmacht, hat die Literaturwissenschaftlerin Andrea Bartl einst so erklärt: Ein Skandal habe immer drei Aspekte: Eine Person, die ihn auslöst, eine Person, die laut „Skandal“ ruft, und die Öffentlichkeit, die darauf einsteigt. Gneuß, Schulze, Medien also. Schulze hat aber gar nicht Skandal gerufen. Die Lektorin habe ihm das Buch zugesendet, beim Lesen habe er ab und an gestutzt, seine Erinnerungen mit Freunden verglichen, dann seine Anmerkungen zurück an den Verlag geschickt, erklärte er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Er sei nur leider für Korrekturen in der ersten Auflage zu spät dran gewesen. An die Buchpreisjury, die "Gittersee" auf der Longlist, nicht mehr aber auf der Shortlist führt, habe er es nicht gesendet. 

Natürlich darf jeder und jede über alles schreiben – sagt Ingo Schulze

Schulze übrigens ist der Ansicht, dass Gneuß das schon darf - über den deutschen Osten zu schreiben. Er sei strikt dafür, dass jede und jeder jederzeit und überall über alles schreiben dürfe. Nur halt keine klischeehaften Geschichten, weil man sich nicht auskennt. Bei „Gittersee“ sei das aber nicht der Fall. Er hat dem Verlag zu diesem Debüt ausdrücklich gratuliert, in dem die Autorin beschreibt, wie ein junges Mädchen in die Fänge der Staatssicherheit gerät, sich in Schuld verstrickt. 

Und jetzt? Zu so viel Aufmerksamkeit hat es noch kein anderer Roman in diesem Herbst geschafft (der neue Kehlmann erscheint ja auch erst). „Passt schon“ will nach der unschönen Diskussion aber dennoch keiner mehr sagen. Auch so ein Begriff, der Ingo Schulze beim Lesen merkwürdig erschien, für Gneuß wiederum nur ein Stilmittel ist, um auf die Gegenwärtigkeit ihres Stoffes zu verweisen. Wobei man in der FAZ nun noch eine harte Recherche nachgeschoben hat: Siehe da, es gab in der DDR ein beliebtes Quarkcremedessert namens Leckermäulchen - jedoch erst ein wenig später als im Roman beschriebenen Jahr 1976. Doch lecker also? An die Debatte jedenfalls werden sich in einigen Jahren nur noch wenige genau erinnern. Wer hat da wann was gesagt? Es scheint aber doch so, als ob man Charlotte Gneuß als relevante ost-westdeutsche Autorin in Zukunft nicht vergessen sollte.

 
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