Blauer Lidschatten, ein dicker Balken Kajal auf dem Lid und dunkles Rouge – die Schminkroutinen von Teenies in den 2000ern waren, gelinde gesagt, gewagt. Doch die Zeiten, in denen sich Kinder unbeholfen die Augendeckel bunt schminkten und mit knalligem Make-up den eigenen Teint verändern wollten, scheinen vorbei. Das heißt nicht, dass "die Jugend von heute" sich nicht weiterhin munter, zum Teil früher schon, mit zehn oder elf Jahren, mit Pinsel und Schwämmchen bewaffnet und mit dem eigenen Erscheinungsbild experimentiert. Aber die Kinder sind deutlich besser geworden. Oder die Produkte. Oder beides.
Die kindliche Begeisterung für Kosmetika wird, wie so vieles, online befeuert. In Livestreams und kurzen Videos halten Influencer und "Kindfluencer" die neusten Produkte in die Kamera, zeigen Schritt für Schritt, wie man sie verwendet und verblendet. Gemeinsam schick machen fürs Bruchrechnen, sozusagen. Statt des kleinen pinken Plastik-Schminkköfferchens nutzen die Kinder jetzt „echte“ Produkte. In Drogerien gibt es die schon für kleines Geld. Auf Empfehlung anderer kosmetikaffiner Kinder werden die Produkte dann gezielt ausgewählt.
Billige Produkte waren gestern: Heute kommen "Lip Tints" zum Einsatz
Statt der bizarr klebrigen Farbmasse, die aus dem chemischen Farb-Sammelsurium der einstigen Köfferchen mit den immer gleichen Schaumstoff-Applikatoren aufgetragen wurde, kommen jetzt "Lip Tints" zum Einsatz. Die sollen die Lippen sanft und semi-permanent einfärben. Dazu ein bisschen Mascara, die sorgt für noch größere Kinderaugen.
Auch die seidenglatte Haut, die noch aussieht, wie sie bei uns allen mal aussah, bevor der erste Pickel das Erscheinungsbild und die Laune veränderte, wird überdeckt. Noch bevor sich echte Konturen unter den Kinderbäckchen abzeichnen, werden mit Contour-Puder, -Stiften und -Cremes die Wangenknochen angedeutet. Der "Highlighter" bringt dann den "Pop".
Ist das denn noch normal? Wie soll sich denn ein Kind zu einer selbstsicheren Person entwickeln, wenn es schon mit zehn Jahren jeden vermeintlichen Makel zu überdecken lernt? Hier gibt es kein Schwarz oder Weiß. Es geht um Nuancen. Ganz klar, Kinder sollten nicht schon die ersten Selbstzweifel unter einer Schicht Make-up ersticken und dem Trend der Selbstoptimierung unterliegen. Ein Gruppenzwang, weil die Mädels aus der Parallelklasse mit den aufgeklebten Nägeln den Ton vorgeben, darf Kinder nicht in den nächsten Drogeriemarkt drängen oder dazu, der Kaufempfehlung einer Influencerin zu folgen, deren Geldbeutel vom Taschengeld der Kinder klingelt.
Eltern haben die Verantwortung, Kindern den Umgang mit Kosmetik zu lehren
Spätestens da kommen die Eltern ins Spiel, die gegen die Selbstzweifel ihrer Kinder und den Kaufrausch ankämpfen. Wie bei allen Themen rund ums Erwachsenwerden und dem rückblickend absurden Wunsch danach gilt: Die Verantwortung liegt bei den Eltern. Sie müssen beobachten, was, wie viel und wohin sich ihre Kinder Cremes, Puder und Tusche schmieren. Schon ein Blick auf die Rückseite mancher Tuben reicht, um zu erkennen, dass manche Beauty-Produkte die zarte Kinderhaut belasten.
Für viele Eltern bedeutet es, genau hinzuschauen und in gewisser Hinsicht loszulassen. Von einem Kind, das nicht mehr einfach nur Kind ist, sondern jetzt über die eigene Optik nachdenkt. Doch vielen geht es beim Schminken nicht darum, geschminkt zu sein oder erwachsender auszusehen. Sie wollen sich einfach ausprobieren und Spaß am eigenen Gesicht haben. Wenn ein dunklerer Wimpernkranz oder rosige Bäckchen sie kindlich begeistern, darf man ihnen das lassen. Vielleicht ist es auch einfach spannend zu sehen, wie sich das Aussehen durch das eigene Zutun verändert.
Mit Schminke können Kinder mit ihrem Aussehen experimentieren
Ein Kind sollte aussehen wie ein Kind, sich aber auch verhalten dürfen wie eines: Dazu gehört, Sachen auszuprobieren, die Spaß machen, auch schminken. Am Ende sind die Bäckchen eben röter als sonst. Im besten Fall haben neben Tusche und Lidschatten auch Reinigungscremes den Weg über das Kassenband gefunden. Spätestens der Blick ins Familienfotoalbum wird den Kindern mal ein Lachen oder ein Kopfschütteln entlocken und sie an die Experimente erinnern – und daran, dass man sich damals eben genau so schön fand. Und dann blicken sie hoffentlich in den Spiegel, mit den vertrauten Produkten im Gesicht oder ungeschminkt, und finden sich auch jetzt noch schön.