Zurzeit dominiert ein Becher die sozialen Medien: #StanleyCup. Nicht etwa eine kleine Version der renommierten Eishockeytrophäe aus Nordamerika, nein. Ein Thermobecher, der in allen Farben von Mintgrün bis Hotpink zu haben ist und für den die sogenannten "Stanley-Girls" jeden Tag vor den Geschäftstüren stehen. Denn ein Becher reicht nicht. Was in der Essenz ein einfaches Trinkbehältnis ist, ist für die Käufer und Käuferinnen noch viel mehr: ein Accessoire, eine Lebenseinstellung.
Stanley-Cup steigerte Einnahmen der Firma um das Zehnfache
Stanley, die Marke mit dem geflügelten Bären im Logo, ist in den Vereinigten Staaten zwar für Getränke- und Lebensmittelcontainer bekannt, jedoch bestand die Zielgruppe für die Produkte lange aus Bauarbeitern, Handwerkerinnen und Menschen, die gerne campen und wandern gehen. Denn das Hauptaugenmerk lag auf den robusten Materialien und der Thermofunktion, die auch Eis eine Woche gefroren halten soll.
Doch inzwischen schlürfen Yoga-Mamas, Influencer, Studierende und Grundschulkinder ihre Getränke aus dem überdimensionierten Behälter. Zur Freude des Unternehmens: Im vergangenen Jahr machte Stanley rund 750 Millionen Dollar Umsatz, 2019 waren es noch 70 Millionen Euro.
Der Stanley-Cup fasst 1,2 Liter. Viele Nutzerinnen und Nutzer preisen ihn dafür. "Unnötig groß", kommentieren andere und halten den monströsen Humpen für unhandlich. Aber deshalb gebe es ja den „praktischen“ Griff, halten Fans dagegen. Der verleiht dem Becher zusätzliches Humpen-Feeling. Bayerische Vertreiber mögen schon Potenzial für Neukunden wittern: Die Maß to go könnte auf dem nächsten Oktoberfest das neue Ding werden und der Stanley-Cup wiederum eine ganz neue Zielgruppe finden. Damit wäre auch gleich das Problem mit den Glasscherben gelöst. Allerdings ist der Becher in Deutschland nicht überall oder nur mit hohen Lieferkosten erhältlich. Eine Hürde, die bislang nur Hardcorefans auf sich nehmen.
Trotz Mehrwegbecher mehr Plastikproduktion
In den USA könnte der Trend in Hinsicht auf Umweltschutz positiv gesehen werden – immerhin liegt das Land dem Plastic Waste Makers Index zufolge auf Platz zwei der Weltrangliste für den meisten Einwegplastikgebrauch pro Person. Wären da nicht die Videos, die zeigen, wie eine Frau den Küchenschrank öffnet und gleich 17 der Becher zur Auswahl hat – einer kostet durchschnittlich um die 50 Euro. Passend zum Outfit zieht sie die cremeweiße Version aus dem Regal.
Der Humpen ist praktischer Trinkbecher und modisches Accessoire zugleich. Aber wenn ein Gegenstand so innig von einer großen Gruppe Menschen geliebt wird, ist da doch noch mehr drin. Einerseits wollen alle zum Klub der Stanley-Girls dazugehören, andererseits soll selbst das Trinkgefäß individuell sein. Also müssen personalisierte Namensschilder her, die eigens für die Stanley-Cups angefertigt werden. Kleine Strohhalmhütchen, die den Becher "tropfsicherer" machen sollen. Silikon-Tierchen und Blumen zur Verzierung. Oder noch besser: zweite Halterung drangeschnallt, schon lässt sich der Humpen als Handtasche tragen.
In den USA stürmen die Menschen die Läden
Damit das Ganze nicht als Produkt abgestempelt wird, das lediglich den Zweck eines Getränkebechers erfüllt, gibt es auch noch Snackschalen, die sich auf den Behälter clippen lassen. So bleibt unterwegs noch eine Hand frei, um das Handy zu halten und den Stanley-Cup zu fotografieren. Und was wäre eine gute Auswahl an Accessoires für das Accessoire, wenn es nicht sogar fürs Smartphone eine Halterung gäbe, die sich um den Becher schnallen lässt.
Die Obsession erreicht insbesondere an den Feiertagen kultähnliche Züge. Vom Ansturm auf limitierte Valentinstagseditionen bis zu Weihnachtsvideos, in denen Kinder kreischend herumhüpfen, als sie einen bunten Becher aus dem Geschenkkarton ziehen. Oder ebenfalls kreischend auf dem Boden sitzen, aus Enttäuschung darüber, dass sie keinen Stanley bekommen haben.
Es geht um die Marke, nicht mehr um das Produkt
An amerikanischen Schulen bedeutet der Stanley-Cup Status und nicht alle halten diese Entwicklung für gut. Eine Mutter spricht in einem Video darüber, wie ihre Tochter sich einen No-Name-Trinkbecher ausgesucht hatte. "Sie fand ihn einfach schön, und das ist doch schließlich das, worauf es ankommt", sagt sie. Doch die Freude ihrer Tochter währte nur kurz. In der Schule sei sie aufgezogen worden, weil es "kein echter Stanley ist". Die Mutter kaufte der Tochter daraufhin einen Stanley-Cup, sagt aber auch, dass sie den Hype darum nicht verstehe. Sicher ist wohl nur so viel: Er wird vorbeigehen. Abgelöst vom nächsten Trend-Produkt wird der Becher irgendwann im unteren Küchenschrank landen. Bei den "Hydroflasks", strasssteinbesetzten Starbucks-Bechern und all dem anderen Krempel, der mal angesagt war.