Wiederaufforstungsprojekte gibt es weltweit unzählige – sie sind aber nicht immer sinnvoll, wie drei Expertinnen im Fachmagazin Science warnen. Oft würden Graslandschaften bepflanzt, die keine abgeholzten Landschaften seien, sondern wie die afrikanischen Savannen uralte, natürlich entstandene, funktionierende Ökosysteme. Eine Ursache sei die weithin verwendete Definition für Wald, die zu falschen Einschätzungen führe.
Catherine Parr von der University of Liverpool, Mariska te Beest von der Universität Utrecht und Nicola Stevens von der University of Oxford hatten exemplarisch für die African Forest Restoration Initiative (AFR100) geprüft, auf welche Landschaften sich umgesetzte und geplante Aufforstungsvorhaben beziehen. Das Projekt zielt darauf ab, 100 Millionen Hektar Wald in Afrika bis 2030 durch Anpflanzung und natürliche Regeneration von Bäumen wiederherzustellen. Dabei werde derzeit die Wald-Definition der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) genutzt, bei der jedes Gebiet mit einer Mindestgröße von mehr als 0,1 Hektar, einem Baumbestand von mindestens zehn Prozent und einer Mindestbaumhöhe von zwei Metern als Wald gewertet wird. Dass berge das Risiko, dass offene Systeme mit Bäumen – wie Savannen und tropisches Grasland – fälschlich als Wald eingestuft werden. Es werde dann irrtümlich angenommen, dass die Gebiete entwaldet und degradiert sind und daher Möglichkeiten zur Wiederherstellung bieten.
Eine falsche Einstufung der Gebiete als Wald
Tatsächlich handele es sich aber um natürliche, schon seit sehr langer Zeit bestehende Graslandschaften, erläutern die Wissenschaftlerinnen. Sie mit Bäumen zu bepflanzen bedrohe funktionierende Ökosysteme. Um zu erfassen, wie verbreitet eine falsche Einstufung erfolgt, nutzte das Expertinnentrio die sogenannte Resolve-Klassifizierung von Regionen. Resolve unterschätze die Fläche der Nicht-Wälder zwar teilweise, sei aber eine weithin akzeptierte globale Biomkarte. Bisher seien für AFR100 insgesamt 133,6 Millionen Hektar in 35 Ländern zugesagt worden. Dem Abgleich mit den Resolve-Daten zufolge übersteigt in 18 der 35 Länder die für Wiederaufforstung zugesagte Fläche die eigentliche Waldfläche. Insgesamt entfielen 70,1 Millionen Hektar – also mehr als die Hälfte der vorgesehenen Aufforstungsflächen – auf Nicht-Wald-Ökosysteme, vor allem Savannen und Grasland. Das sei mehr als die Fläche Frankreichs (64,4 Millionen Hektar). Umgekehrt würden in AFR100-Ländern häufig tatsächlich degenerierte Waldgebiete nicht berücksichtigt, hieß es.
Würde die gesamte zugesagte Fläche für die Wiederherstellung auf wirklich degradierte Wälder statt auf Nicht-Wald-Systeme konzentriert, könnten drei Viertel (76 Prozent) der degradierten Wälder in den AFR100-Ländern wiederhergestellt werden, errechnen die Wissenschaftlerinnen. Insgesamt gibt es demnach in diesen Ländern 176 Millionen Hektar degenerierte Waldflächen. Es müsse einen Paradigmenwechsel geben, so die Schlussfolgerung vonParr, te Beest und Stevens: weg von der Fokussierung auf Bäume hin zur Einbeziehung grasbewachsener, nicht bewaldeter Systeme. „Wir müssen handeln, um eine Situation zu vermeiden, in der wir die Savanne vor lauter Bäumen nicht mehr sehen und diese wertvollen Graslandschaften unwiderruflich verloren gehen.“
"Es gibt genug degradierte Wälder, die profitieren würden"
Almut Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), selbst nicht an der Studie beteiligt, erklärt dazu: „Auch wenn die präsentierten Zahlen sicher mit Unsicherheiten behaftet sind, ist die identifizierte Fläche, die in einzelnen Ländern für die Aufforstung von Savannen zumindest vorgesehen ist, immens.“ Dies widerspreche der Zielsetzung von AFR100 „und ist umso bemerkenswerter, als dass es genug degradierte 'richtige' Wälder in Afrika gibt, die von ökologischer Renaturierung tatsächlich profitieren würden“.
In ihrem Beitrag weisen Parr, te Beest und Stevens auf ein weiteres Problemhin: die häufige Verwendung nicht-heimischer Arten im Zuge von Baumpflanzungen. Das berge zahlreiche Risiken für Ökosysteme, aber auch die Menschen der jeweiligen Region. Betroffen seien vor allem im Rahmen von AFR100 angelegte kommerzielle Baumplantagen. Die Beobachtung, dass etwa 60 Prozent der untersuchten Agroforst-Projekte mit nicht-einheimischen Gehölzarten arbeiten, stehe in krassem Widerspruch zum Begriff Restoration, sagte Manfred Finckh von der Universität Hamburg – „denn man kann ja nur etwas wiederherstellen, was vorher bereits da war“. Die Verwendung nicht-heimischer Baumarten trage zur Zerstörung naturnaher Ökosysteme bei. Finckh zufolge bestätigt die Studie die seit etwa zehn Jahren von Wissenschaftlern formulierte Sorge, dass unter dem Begriff „Forest Restoration“ eine großflächige Zerstörung von extrem artenreichen Offenlandökosystemen besonders in tropischen und subtropischen Regionen stattfinden könnte.
Australischer Akazienwald in Afrika? Tot wie ein Maisacker
Auch Tatenda Lemann von der Universität Bern erklärt, dass die „äußerst relevante“ Studie bestehende Befürchtungen mit Blick auf Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen bestätige. Hinzu komme: „Die Aufforstung von Weideland ist keine praktikable Strategie zur Eindämmung des Klimawandels, da sie wenig zusätzlichen Kohlenstoff bindet und sogar zu einem Nettoverlust von Kohlenstoff führen kann.“ Es dominiere die Vorstellung, dass Bäumepflanzen per se gut sei, weil es den Klimawandel bremse, so Finckh. „Wir haben aber zwei große planetare Krisen, und das globale Artensterben wird durch die Zerstörung der tropischen und subtropischen Offenlandökosysteme sehr stark angetrieben.“ Wenn in Afrika Baumarten wie Eukalypten oder australischen Akazien aufgeforstet werden, sehe das Gebiet zwar vielleicht für Laien wie Wald aus, sei am Ende aber so tot wie ein Mais-Acker, denn die ursprüngliche Flora und Fauna verschwinde weitgehend. „Allerdings – für Investoren nicht ganz unerheblich: Man kann nach 20 Jahren bereits Holz ernten und damit Geld verdienen.“
Die Projekte wie AFR100 erhalten beträchtliche Finanzmittel
In Anbetracht der Tatsache, dass Projekte wie AFR100 beträchtliche Finanzmittel von Regierungen und Organisationen weltweit erhalten, sei es entscheidend, sie transparent und rechenschaftspflichtig zu halten, da sonst die Gefahr des Greenwashing – also ein umweltfreundliches Image ohne hinreichende Grundlage – bestehe, betonen Parr, te Beest und Stevens. Speziell bei AFR100 seien es eine Milliarde US-Dollar an Entwicklungsgeldern und 148 Millionen US-Dollar aus dem Privatsektor – von Regierungen des globalen Nordens wie der deutschen sowie der Weltnaturschutzunion, den Vereinten Nationen und Organisationen wie Nature Conservancy. Vom WWF Deutschland, der zu den AFR100-Unterstützern zählt, hieß es in einer Reaktion, es sei elementar, dass umfassende Umwelt- und Sozialstandards eingehalten würden, um etwa die Aufforstung von ökologisch wertvollen Offenflächen wie natürlichem Grasland zu vermeiden. Nur in Einzelfallprüfungen lasse sich feststellen, ob dies jeweils wirklich so sei. „Ganz grundsätzlich ist die Renaturierung und Restaurierung degradierter Landschaften ein immens wichtiges Mittel, um funktionierende Ökosysteme zu erhalten so wie geschädigte wiederherzustellen. Mensch und Tier profitieren hiervon weltweit gleichermaßen.“
In anderen Regionen geschieht dieselbe Fehlentwicklung
Die in Science geschilderte Fehlentwicklung betrifft den drei Autorinnen zufolge nicht nur Afrika. Auch Finckh betont: „Natürlich gibt es andere Regionen der Welt, wo dasselbe passiert.“ Den brasilianischen Savannen des Cerrado gehe es noch schlechter als den afrikanischen, und in Südostasien sei die Lage nicht besser. „Auch in außertropischen Trockengebieten werden 'wertlose' Steppen- oder Gebirgslandschaften gerne mit schnellwachsenden, nicht-einheimischen Baumarten aufgeforstet, und heutzutage wird das dann gerne mit der positiven Klimabilanz gerechtfertigt, was auch hier nicht stimmt.“ Die wirklichen Potenziale für Klima- und Biodiversitätsschutz lägen global im Erhalt noch bestehender Wald- und Savannenökosysteme – aber das sei eine schwierige Baustelle, so der Hamburger Experte: „Schutzkonzepte und nachhaltige Nutzungssysteme müssen nämlich jeweils örtlich mühsam mit Anliegergemeinden und Landnutzern ausgehandelt werden und können nicht am grünen Tisch über viele Millionen Hektar ausgerollt werden.“ (Annett Stein, dpa)