zurück
Trockenblumen
Trockenblumen im Trend: Warum verdorrte Blüten ihr verstaubtes Image verloren haben
Kornblumen, Disteln, Pampasgras: Trockenblumen galten lange als altbacken. Doch inzwischen zieren sie Großstadtcafés und hippe Wohnzimmer. Denn in den floralen Bouquets steckt eine klare Botschaft.
Felicitas Lachmayr
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:29 Uhr

Ein Strauß dürrer Disteln steht auf dem Tisch, im Bilderrahmen an der Wand kleben selbst gepresste Gänseblümchen. Kaffeeklatsch bei der Großmutter? Falsch gedacht. Trockenblumen vervollständigen nicht mehr das altbackene Ambiente aus floralem Perserteppich und rosenverziertem Ohrensessel, sondern gehören längst zum Interieur hipper Großstadtcafés. Sie hängen an Wohnzimmerwänden, thronen auf Holzkommoden und schmücken die Hochsteckfrisuren modebewusster Fashionistas. Ob als Haarkranz oder Tischdeko – das verdörrte Blütenwerk ist vom Staubfänger zum Blickfang mutiert. 

Trockenblumenboutiquen handeln mit verdörrten Mimosen, verkaufen Pampasgras aus Südamerika und verbinden Kornblumen, Schleierkraut und Sonnenhüte zu dekorativen Sträußen. Über Pop-up-Stores werden "Dried Flowers" unters Volk gestreut. Fotos von pompösen Trockenblumen-Arrangements fluten die sozialen Medien. Davon sind auch Hochzeitspaare angetan. Sie besiegeln den Bund der Ehe mit einem für die Ewigkeit konservierten Blütengesteck. Dann müssen sie wenigstens nicht dabei zusehen, wie der Hochzeitsstrauß, einst blühendes Zeichen der Verbundenheit, zum lästigen Staubfänger zerfällt. 

In der Münchner Kunsthalle sind 200.000 getrocknete Blumen ausgestellt

Auch in der Kunst- und Modewelt sind die trendigen Trockenblumen angekommen. Dürre Models staksen mit dürren Gestecken um den Hals über den Laufsteg, um Mäntel mit Wildblumenprints zu präsentieren. Die britische Künstlerin Rebecca Louise Law hat sich auf überdimensionierte Pflanzen-Installationen spezialisiert. Eines ihrer Dörrwerke ist gerade in der Münchner Kunsthalle zu sehen. 200.000 getrocknete Blumen schweben in Form eines begehbarer Blütenkelchs von der Decke. Was Law durch die Blume sagt: Schont die Ressourcen und macht was aus dem, was da ist. 

So gesehen sind Trockenblumen auch ein Auswuchs der Do-it-yourself-Kultur. Zu den selbst gehäkelten Kissenbezügen, der gestrickten Decke und den getöpferten Tassen gesellen sich handverlesene getrocknete Blümchen. Das Netz ist voll mit Dörrtipps: kopfüber aufhängen, in einem dunklen Raum, für zwei bis vier Wochen. Sonnenlicht bleicht, Haarspray versiegelt. 

Zu Kränzen gewickelt, in Rahmen gespannt oder an die Wand drapiert sind Trockenblumen das angesagteste Accessoire, das die biedere Boho-Ästhetik zu bieten hat. Denn die setzt auf Natürlichkeit. Gedeckte Farben, naturbelassene Hölzer. Dezent, geräuschlos, unauffällig. Frische Blumen wirken da wie ein Dorn im Auge, denn die satten Farben stechen heraus aus dem beigen Einheitsbrei. Von grell glänzenden Plastikblumen mal ganz abgesehen. Aber so ein verdörrtes Sträußchen fügt sich diskret in seine Umgebung ein. Zwischen sandfarbenem Korbstuhl, eierschalenfarbenem Esstisch und cremefarbenem Schrank blühen die verschrumpelten Blütenköpfe erst richtig auf. Sanfte Farbtupfer im monotonen Beige.

Wohlfühlsprüche kommen stilbewussten Deko-Fans nicht ins Haus

Auf Holzbretter gesteckt wirken sie wie Miniatur-Blühstreifen fürs Wohnzimmer. Lebendiges ziehen die dürren Stängel nicht mehr an, aber gerade ihr morbider Charakter fasziniert. Überraschend ist das nicht. Deko-Trends treiben immer wieder seltsame Blüten. Mal hängen schirmlose Glühbirnen von der Betondecke und verleihen dem Wohnzimmer den Charme einer Industriebrache. Mal wird der Verfall eigenhändig beschleunigt und die Farbe vom Regal gekratzt für den Shabby Chic. Wände werden mit Wohlfühlsprüchen tapeziert, um daran zu erinnern, dass es zu Hause doch am schönsten ist. Hakuna Matata! 

Aber solche plakativen Binsenweisheiten kommen stilbewussten Deko-Fans nicht ins Haus. Sie verschönern ihre Wohnlandschaft lieber mit verdörrten Binsen und Blumen. Denn auch in den floralen Bouquets steckt eine Botschaft: Sie suggerieren Bescheidenheit und Natürlichkeit ganz im Sinne der Nachhaltigkeit. Frische Tulpen aus Holland? Rosen aus Kenia? Reinste Wegwerfgewächse. Zwar wird auch manch dürres Blümchen um die Welt gekarrt und mit duftenden Chemikalien präpariert, aber man kann nicht alles richtig machen. Don't worry, be happy! 

Vergängliches wird bewahrt und die Schönheit der Natur konserviert. Neben Duftkerzen und gehäkelten Stoffdeckchen entfalten die Trockenblumen eine nahezu therapeutische Wirkung. Sie strahlen Ruhe und Beständigkeit aus: Draußen Krise, drinnen das Knistern der dürren Stängel. Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude. Sie sind nett anzuschauen, verwandeln das Zuhause in eine kleine, heile Welt. Cocooning nennt sich dieser Rückzug ins Private. Sich einspinnen wie der verdörrte Hochzeitsstrauß. Tee trinken und Blumen trocknen. Kein Gießen, kein Umtopfen. Einfach mal nichts tun! Kein Wunder, dass das Geschäft mit dem natürlichen Nippes blüht.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Blumen
Eßtische
Weitere Hochzeitsausdrücke
Wohnzimmer
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen