Der südafrikanische Kruger-Nationalpark beheimatet eine der größten Löwenpopulationen weltweit. Doch trotz der starken Präsenz der Raubkatzen haben viele andere im Schutzgebiet lebende Säugetiere deutlich mehr Angst vor menschlichen Stimmen, Hundegebell oder dem Geräusch von Schüssen als vor Löwengeräuschen. Das ist das Ergebnis einer Studie, für die eine nordamerikanische Forschungsgruppe Kamerafallen und Lautsprecher im Park verteilte.
„Normalerweise denken wir, dass sich die großen Raubtiere an der Spitze der Nahrungskette befinden“, erklärt Erstautorin Liana Zanette von der kanadischen Western University in einem Artikel im Fachblatt Current Biology“. „Aber was uns interessiert, ist die einzigartige Ökologie des Menschen als Raubtier in diesem System, denn der Mensch ist extrem tödlich.“
Forschende sichten 15.000 Videos von wilden Tieren
Um herauszufinden, wer mehr Angst auslöst, stellte das Forschungsteam an 21 Wasserlöchern eine Kombination aus Kamerafallen und Lautsprechern auf. Löwen – und auch Menschen, die legal oder illegal im Park jagen – töten ihre Beute oft in der Nähe von Wasserlöchern. Die Forschenden untersuchten dann, wie 19 Säugetierarten auf eine Reihe von Audioaufnahmen reagierten, zu denen Laute von Menschen und Löwen gehörten sowie bellende Hunde und Schüsse.
„Das Wichtigste ist, dass die Löwenlaute ein Knurren und Fauchen zeigen, sozusagen ein Gespräch, kein gegenseitiges Anbrüllen“, erläutert Co-Autor Michael Clinchy. „Auf diese Weise sind die Löwenlaute direkt mit denen von Menschen vergleichbar, die sich unterhalten.“
Um die Reaktion der Tiere auf die Aufnahmen zu beobachten, nutzte das Team speziell angefertigte Systeme. Am Ende der über sechs Wochen während der Trockenzeit durchgeführten Studie hatte die Gruppe 15.000 Videos zu sichten. „Wir haben die Kamera in eine Bärenbox gestellt – nicht, weil es in Südafrika Bären gibt, sondern wegen der Hyänen und Leoparden, die sie gerne anknabbern“, beschreibt Erstautorin Zanette.
Eine berechtigte Vorsichtsmaßnahme: So zeigt eines der Videos einen Elefanten, den eine Löwenaufnahme so wütend macht, dass er angreift und das System zerstört. Wie die Analyse der Clips ergab, war die Wahrscheinlichkeit, dass Tiere bei Menschenstimmen Reißaus nehmen und Wasserlöcher verlassen, doppelt so hoch wie bei den Löwen- oder Jagdgeräuschen. Knapp 95 Prozent der Tierarten – darunter Giraffen, Leoparden, Hyänen, Zebras, Elefanten und Nashörner – rannten häufiger weg oder verließen Wasserlöcher schneller, wenn sie Menschen hörten, als wenn sie Löwen hörten.
Elefanten verteidigen sich meist gemeinsam in der Gruppe gegen Löwen
Das Beispiel von Elefanten zeigt die Unterschiede in der Reaktion: So beobachteten die Forschenden, dass die Dickhäuter bei Löwengeräuschen in mehreren Fällen aufeinander zu rannten, um sich zu einer Gruppe zusammenzuschließen. Diese Gruppe näherte sich dann gemeinsam der Geräuschquelle, was zu früheren Beobachtungen passt, denen zufolge Elefanten sich oft kooperativ und aggressiv gegen Löwen verteidigen.
Bei Menschengeräuschen wurde ein solches Verhalten nicht aufgezeichnet. „Obwohl Löwen junge Elefanten töten können, sind erwachsene Elefanten in der Lage, sich wirksam gegen Löwen zu verteidigen, während dies bei Angriffen durch Menschen nicht der Fall ist“, heißt es in der Studie. Anstatt zu versuchen, sich zu verteidigen, hätten sich die Elefanten deutlich schneller von der Wasserstelle zurückgezogen, wenn sie Menschen hörten.
Soundsysteme könnten Savannentiere vor Wilderei schützen
„Es gibt die Vorstellung, dass sich Tiere an den Menschen gewöhnen, wenn sie nicht gejagt werden. Aber wir haben gezeigt, dass das nicht der Fall ist“, fasst Clinchy zusammen. „Die Angst vor dem Menschen ist tief verwurzelt und allgegenwärtig, deshalb müssen wir uns aus Tierschutzgründen ernsthaft damit auseinandersetzen.“
Als nächstes will das Team untersuchen, ob die Soundsysteme helfen könnten, um gefährdete Tierarten wie das südliche Breitmaulnashorn gezielt von Wildereigebieten in Südafrika wegzulenken. Schon jetzt gelinge es, Nashörner durch den Einsatz menschlicher Stimmen von bestimmten Gebieten fernzuhalten.
„Ich denke, die weit verbreitete Angst in der Gemeinschaft der Savannensäugetiere ist ein echter Beweis für den Einfluss des Menschen auf die Umwelt“, sagt Erstautorin Zanette. Dieser Einfluss drücke sich nicht nur durch den Verlust von Lebensraum, den Klimawandel und das Artensterben aus, was alles wichtige Themen seien, so die Biologin: „Aber allein unsere Anwesenheit in der Landschaft ist ein so starkes Signal, dass die Tiere darauf reagieren. Sie haben eine Todesangst vor dem Menschen – viel mehr als vor jedem anderen Raubtier.“ (Alice Lanzke, dpa)