Gehirn-Computer-Schnittstellen sollen Menschen etwa nach einem Schlaganfall wieder das Sprechen ermöglichen. Zwei solche Ansätze stellen zwei Forschungsgruppen im Fachjournal Nature vor. In einer Studie konnte eine Patientin durch ihre Gedanken durchschnittlich 62 Wörter pro Minute äußern, in der anderen Arbeit kam eine Frau sogar auf 78 Wörter pro Minute. Das entspricht etwa der halben Sprechgeschwindigkeit im Englischen von 150 Wörtern pro Minute.
In der einen Studie behandelte die Gruppe um Francis Willett von der kalifornischen Stanford University die Patientin Pat Bennett, die an der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose erkrankt ist. Diese führt zu fortschreitenden Muskellähmungen, was auch das Sprechen betrifft. Die Forschenden implantierten ihr vier Mikroelektroden-Arrays in Areale des Großhirns, die mit dem Sprechen in Verbindung stehen. Die Hirnaktivitäten wurden per Kabel an ein Computersystem übertragen, das die Signale in Schrift umwandelte.
Nach vier Monaten war eine Patientin in der Lage, 62 Wörter zu äußern
Etwa zweimal pro Woche trainierte die Patientin mit dem System, indem sie vorgegebene Texte in Gedanken sprach – dabei stellten die Forschenden das System auf ihre Hirnmuster ein. Nach vier Monaten war die Frau in der Lage, 62 Wörter pro Minute zu äußern, indem sie nur daran dachte. Diese Geschwindigkeit übertrifft frühere Systeme um mehr als das Dreifache. „Für Menschen, die nicht sprechen können, bedeutet dies, dass sie mit der größeren Welt verbunden bleiben, vielleicht weiter arbeiten und Beziehungen zu Freunden und Familie pflegen können“, wird Bennett in einer Stanford-Mitteilung zitiert.
Auch die zweite Studie eines Teams um Edward Chang von der University of California in San Francisco beruht auf einer Fallstudie. Diese Frau hatte durch einen Schlaganfall die Sprechfähigkeit verloren. Die Forschenden nutzten bei ihr das Verfahren der Elektrokortikografie: Dabei werden Hirnsignale direkt auf der Hirnoberfläche gemessen, ohne dass Nadeln ins Gehirn gesteckt werden müssen, wie es bei Mikroelektroden-Arrays der Fall ist. Allerdings müssen die Messelektroden bei dem Verfahren auf einen größeren Bereich des Großhirns aufgebracht werden.
Beim Test erklang sogar die ursprüngliche Stimme der Patientin
Die Gruppe um Chang decodierte die Signale, die vom Gehirn an jene Muskelgruppen gesendet werden, die am Sprechen beteiligt sind. Dabei konzentrierte sie sich auch auf 39 Lauteinheiten, sogenannte Phoneme, um die Wörter zu erkennen – dies soll das Erkennen der Wörter beschleunigen. Das Sprechen übernahm dann auf einem Monitor ein Avatar, der in Echtzeit Mund und Lippen entsprechend der decodierten Laute bewegte. Dabei erklingt sogar eine Rekonstruktion der ursprünglichen Stimme der Patientin: Denn für die Sprachmodulation nutzte das Team die Tonaufnahme einer Ansprache, die die Frau bei ihrer Hochzeit gehalten hatte.
„Diese Fortschritte bringen uns der Entwicklung einer echten Lösung für Patienten viel näher“, betont Chang laut Mitteilung seiner Universität. Diese Patientin erreichte einen Durchschnitt von 78 Wörtern pro Minute. Allerdings betrug die Wortfehlerrate bei einem Vokabelumfang von 1024 Wörtern ein Viertel. Das Stanford-Team erreichte bei seiner Patientin eine etwas geringere Fehlerquote von knapp 24 Prozent, bei einem Vokabular von 125.000 Wörtern.
Experten sehen Fortschritt in der Wiederherstellung der Kommunikation
Von einem Gerät, das Menschen im Alltag nutzen können, sei das System noch weit entfernt, betont Stanford-Forscher Willett. „Aber es ist ein großer Fortschritt auf dem Weg zur Wiederherstellung einer schnellen Kommunikation für gelähmte Menschen, die nicht sprechen können.“ In einem Nature-Kommentar schreiben Nick Ramsey von der Universitätsklinik Utrecht und Nathan Crone von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore von einem Wendepunkt in der Entwicklung solcher Technologien. Ein nächster Schritt sei nun, die Elektrodenimplantate mit einer drahtlosen Verbindung auszustatten.
Thorsten Zander von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg sieht einen ingenieurstechnisch klaren Fortschritt. „Die vorgelegten Ergebnisse sind in ihrer praktischen Anwendung sehr vielversprechend.“ Allerdings seien sie nur an Menschen getestet worden, die mehrere Wochen trainiert hätten. Surjo Soekadar, Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neurotechnologie an der Berliner Charité, spricht von einem Meilenstein in der Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen. Aber auch er betont, dass die beiden Patientinnen speziell für die Studien ausgewählt wurden. „Es ist also noch ein langer Weg, bis der Einsatz dieser Technologien in der Breite vorstellbar ist.“