
Beyoncé hat den Anfang gemacht, Taylor Swift hat nachgelegt, bald ist Billie Eilish dran. Drei Sängerinnen, drei neue Alben, drei kulturelle Großereignisse. Swift hat sich mal wieder selbst übertroffen und mit „The Tortured Poets Department“ in sechs Tagen eine Milliarde Spotify-Streams abgeräumt. Beyoncé, 32-fache Grammy-Gewinnerin und unangefochtene Königin des Gegenwartspop, hat mit „Cowboy Carter“ ein politisches Statement für weibliches und afroamerikanisches Empowerment gesetzt. Und Billie Eilish? Veröffentlicht ihre Platte Mitte Mai, hat aber schon mit den letzten beiden Werken gezeigt: Es könnte gut werden. Richtig gut.
Von Gleichberechtigung in der Musikbranche kann keine Rede sein
Die drei Sängerinnen stehen momentan ganz oben im Pop, sie bestimmen das Genre, jede auf ihre Art. Sie haben enorme Macht, Millionen Fans hinter sich und andere Power-Frauen neben sich. Miley Cyrus, Doja Cat, Ariana Grande, SZA, Katy Perry, Olivia Rodrigo, Dua Lipa – rangieren alle ganz oben im Popgeschäft, Letztere veröffentlicht kommende Woche ihr neues Album. Damit ist klar: Guter Pop wird aktuell von Frauen gemacht. Das zeigte sich schon bei den Grammys Anfang Februar, bei der in allen Hauptkategorien Musikerinnen gewannen.
Zwar kann von Gleichberechtigung in der Musikbranche noch lange nicht die Rede sein. Denn auf den großen Festivalbühnen stehen immer noch zu 80 Prozent Männer und hinterm Mischpult sitzen noch mehr. In 66 Jahren Grammy-Geschichte hat noch nie eine Frau den Preis für die beste Pop-Produktion gewonnen, nur sieben waren jemals nominiert. In Rankings der vermeintlich besten Lieder oder größten Alben aller Zeiten werden meist Männer genannt, der Mythos des weißen, männlichen Künstlergenies wird fortgeschrieben. Und Genres wie Rock, Metal oder Hip-Hop sind immer noch klare Männerdomänen.
Egal, wie schrill, bunt und divers, im Pop ist alles erlaubt
Aber den Pop haben Frauen für sich erobert. Kulturell war das Genre immer schon weiblich konnotiert, es gilt als oberflächlich, massentauglich und minderwertig, weil das, was junge Frauen machen und mögen, gerne trivialisiert und abgewertet wird. Mädchenkram eben. Weibliche Fans werden als unreife Groupies abgestempelt und Sängerinnen nach vielem, aber selten nach ihrer Leistung bewertet. Zu brav, zu aufmüpfig, zu freizügig, zu wenig feminin, zu alter Partner, zu viele Partnerwechsel. Dabei war Pop immer schon offener und experimentierfreudiger als andere Genres. Da werden Normen gebrochen, alternative Rollenbilder entworfen und gesellschaftliche Diskurse angestoßen. Egal, wie schrill, bunt und divers, im Pop ist alles erlaubt.
Andere Genres sind da deutlich konservativer. Sich als Frontfrau einer Metalband im Glitzerbody auf die Bühne stellen, undenkbar. Im Abendkleid als Rapperin ernst genommen werden, schwierig. Sich als Rockgitarristin einen Namen machen, nicht leicht. Oder schon mal von Jennifer Batten gehört? Stand zehn Jahre für Michael Jackson auf der Bühne, bekannt wie Slash oder Van Halen ist sie trotzdem nicht. Apropos Michael Jackson, Männer haben im Pop momentan wenig zu melden. Klar, Ed Sheeran, beständiger Superstar und super Songwriter. Harry Styles, macht aber auch nur das, was Lady Gaga schon vor 15 Jahren viel radikaler machte – mit abgedrehten Kostümen die Aufmerksamkeit auf sich lenken. The Weekend, Justin Bieber, auch gefeiert. Aber an den Einfluss einer Taylor, die Perfektion einer Beyoncé oder die Experimentierfreude einer Billie kommt eben keiner ran.
Billie Eilish dekonstruiert das Bild des weiblichen Popsternchens
Billie. Ach, Billie. Weil über Taylor gefühlt schon alles geschrieben wurde, hier mal ein kleines Loblied auf Billie. Sie hat düstere Sounds überhaupt erst massentauglich gemacht, singt flüsternd, als säße sie neben einem im Wohnzimmer und textet wortgewandt übers Älterwerden, über männlichen Machtmissbrauch und vermeintliche Körperideale. Als ihr Song „Ocean Eyes“ 2015 viral ging, war sie gerade mal 13 Jahre alt. Da hatte Swift schon fünf Alben veröffentlicht und 50 Millionen Follower auf Instagram (inzwischen sind es 284 Millionen).
Billie vertritt eine jüngere Generation, sie bricht mit Rollenklischees, dekonstruiert das Bild des weiblichen Popsternchens und erwähnt ganz nebenbei im Interview, dass sie auch auf Frauen steht. Die Coming-out-Debatte, die daraufhin losbricht, kommentiert sie in gewohnt cooler Billie-Manier: „Ich mag Männer und Frauen, wen kümmert’s.“ Ein charmanter Mittelfinger gegen alle, die versuchen, sie zu stereotypisieren. Madonna und Lady Gaga können stolz sein, sie haben es vorgemacht.
Frauen haben Musikgeschichte mitgeschrieben, aber ihre Leistungen wurden oft ignoriert oder kleingeredet. Auch Swift wurde lange als naives Popsternchen abgestempelt und ihre Musik als seicht abgewertet. Erst jetzt, wo sie sämtliche Rekorde bricht und mit ihrer riesigen Fangemeinde selbst die US-Wahlen beeinflussen könnte, wollen Kritikerinnen und Kritiker das Phänomen erklären. Plötzlich wird mit Adorno oder Derrida nach Metaebenen im Taylorverse gesucht. Mit ihren versteckten autobiografischen Botschaften richte sie den Poststrukturalismus zugrunde, analysiert der eine. Ihre Songs seien kleine Romane in drei Minuten, die Traum und Wirklichkeit miteinander verweben, der andere. Man kann viel interpretieren. Oder einfach mal attestieren, dass Frauen den Pop regieren und endlich den Ruhm bekommen, der ihnen gebührt. Es ist noch Luft nach oben in Sachen Gleichberechtigung, aber ganz oben, da geben Frauen den Ton an – zumindest im Pop.