
Erinnern Sie sich an die Schlagzeilen um Sammy, den Brillen-Kaiman? Oder das randalierende Eichhörnchen, den betrunkenen Elch, vielleicht sogar noch an ähnlich sich gebärdende Nachbarn, die beim eifrigen Verbrennen verbilligter Schweinesteaks und während des rasant steigenden Konsums von Erdbeerbowle, Bier und Edelbrand heute nicht mehr zitierbares Liedgut (Frau Meier) von sich gaben? Ja? Dann dürfen Sie sich glücklich schätzen.
Ich dachte zwar seinerzeit eher, dass wer so singt und lebt, bestimmt zu allem fähig ist. Stattdessen aber ist vielleicht ebenfalls einfach wahr: Es war halt Sommer. Also jene, mitunter irrwitzige Auswüchse hervorbringende, heiße Jahreszeit, auf die früher hingespart wurde, auf die sich alle hingesehnt haben, ob mit verkohlten Steaks und Schnaps im eigenen Garten oder Spaghetti mit Esslöffeln in Cesenatico. Mit anderen Worten: Ein bisschen Auszeit von den Unbilden der Arbeit und Welt, damals noch frei von der Angst, irgendwie anstößig und auffällig zu erscheinen (Löffel! Frau Meier!!!), sozusagen von Sonnencreme und Schweinenacken mehr oder minder sanft zugedeckte Wochen sorgloser Unschuld. Und die waren, trotz großer Ferien, kurz genug. Und scheinen überdies längst Vergangenheit.
Wann gab es das letzte echte Sommerloch?
Klima und Krieg, Koalition und sonstige Katastrophen, dazu der allgegenwärtige Dauerkrawall – wie lange ist es eigentlich her, dass es noch so etwas wie ein echtes Sommerloch gab? Als zwischen Baden und Büfett noch Meldungen wie die über Angela Merkel im Badeanzug, schwäbische Schnappschildkröten oder sonstiges, eingangs erwähntes Getier für etwas prickelnde Abwechslung zwischen den Mahlzeiten sorgten? Vor Kurzem gab es ja wenigstens noch den müden Versuch der Berliner Polizei, eine bei Kleinmachnow als Löwin gesichtete Wildsau durchs mediale Dorf zu treiben. Aber das dauerte nur ein, zwei Tage an, und seien wir ehrlich: Der Sommer hat schon seit geraumer Zeit ein Loch, ist eigentlich keiner mehr.
Und das liegt nicht nur an der Welten- und übrigen Lage, am Wetter, sondern auch an einem übergriffigen, durch das Internet befeuerten Nachrichtenfuror und umgekehrt einer Nachrichtensucht. Ständig piepst was, ständig sendet was, ständig guckt wer, weil es muss ja was los sein, und sei’s nur der Söder. Dagegen kann ich mich noch erinnern, wie der Vater seinerzeit den Adria-Strand allenfalls jeden zweiten Tag verlassen hat, um am Kiosk nicht nur heimlich ein „Peroni“, sondern auch die Bild zu holen, man will ja schließlich ab und an auf dem Laufenden sein, auch wenn es in diesem Fall die Nachrichten von Vorvorgestern waren und es – Sommer! – eigentlich keine gab. Außer vielleicht, dass Mallorca das 17. Bundesland werden soll, aber das war, glaube ich, schon später und würde heute ohnehin keiner mehr wollen – die Hitze!
Die Zeiten ändern sich: Tick, Trick und Track wären heute auf TikTok
Jedenfalls sprang dabei stets ein Tütchen Mais-Flips mit Käse-Aroma für einen raus und meist sogar ein Lustiges Taschenbuch. Heute aber würden Tick, Trick und Track, also die naseweisen Neffen vom alten, weißen Erpel Donald, wahrscheinlich weder Aromastoffe akzeptieren noch einen solchen Urlaub, stattdessen auf TikTok oder sonstigen sogenannten sozialen Medien vermelden, dass sie sich gerade am Brenner festkleben. Und dass denen, die in den Süden fahren, es gerade recht geschieht, wenn es dort dann brennt.
Doch das ist nicht nur besserwisserisch, sondern auch hämisch, zumal gegenüber den Einheimischen. Gleichwohl: Was wir da zuletzt gesehen haben, was da in Echtzeit aus dem Mittelmeerraum auf die immer eingeschalteten, Eilmeldungen kreischenden Smartphones gesendet wurde, war krass, kann man nicht leugnen, damit das ganz klar ist.
Kann man müden Menschen nicht ein paar halbwegs unbeschwerte Tage gönnen?
Aber kann man deswegen all denen, die nicht nur wie früher alleine aufgrund Arbeit, Hausbau, Kinder und so weiter angestrengten, sondern auch wegen der derzeit permanenten und nicht einmal im August aussetzenden Schuld- und Betroffenheitsadressen – Du musst dein Leben ändern! Weniger Schnitzel backen! Eine Wärmepumpe panieren! – mürben, einfach müden Menschen nicht einmal ein paar halbwegs unbeschwerte Tage gönnen? Man tut der Sache, egal ob globales oder gesellschaftliches Klima, jedenfalls keinen Gefallen, so glaube ich. A bisserl Pause, a bisserl Sommer, a bisserl sonnensatten Schwachsinn bitte.
Meine beste Kollegin lacht ja immer, wenn ich mich mal wieder über verregnete, zu kalte, miese Tage beschwere. Andere, ebenfalls ausgeglichene Gemüter sagen wiederum: „Die Natur braucht’s!“ Ich aber mag trotz und gerade wegen des kniehohen Rasens den Hochsommer zurück, 35 Grad, jetzt! Bin ich deswegen ein Unmensch? Im Aufzug und an irgendwelchen Büfetts kann man entgegen der Empfehlung des Knigges ja nicht einmal mehr das Wetter erwähnen. Weil auch dieses, wie ja eigentlich alles, mittlerweile politisch ist: Regen? Klima. Hitze? Klima. Mit Löffeln nicht gegenderte Spaghetti? AfD.
Das Gefühl eines immerwährenden Montags schleicht sich ein
Nein, „all we need is a long long Summer“, wie die Band Element of Crime mal sang, 1988, damals, in Zeiten der Kohl-Ära (und nicht, dass wir diese auch gleich zurückhaben wollten). Doch statt möglichst lange ein Gefühl von Wochenend’ und Sonnenschein herrscht momentan und unabhängig vom Wetter eher so etwas wie: immerwährender Montag.
Ich wünsche das Gegenteil. Einen klaren, ruhigen Morgen ohne Termine, ohne Handy und dort angekündigten Starkregen, ohne politische Soße, bevor die Berliner Pause endgültig vorbei ist und die Bundesliga wieder angeht, einen vielleicht sanft angeschickerten Abend, an dem in der Restsonne nicht ein möglichst gruseliges Medientier, sondern eventuell nur ein Igel entdeckt wird. Oder Glühwürmchen. Die sind schön. Jedenfalls nicht mitpiepsen, stattdessen vielleicht ein leises Lied auf den Lippen, was Sie wollen. Denn nicht über all dem Irrsinn vergessen: Es ist trotz allem Sommer. Machen Sie ihn gut.